Bis in den Westen Sibiriens drang der Dichter Pjotr Jerschow vor, als er auf der Suche nach den alten Volksmärchen und Sagen seiner Heimat in den 1830er Jahren von Dorf zu Dorf zog. Unter diesen Erzählungen, die Jerschow nach dem Vorbild von Puschkins "Eugen Onegin" in Verse brachte war auch das Märchen vom buckligen Zauberpferdchen. Hierin lachen die Bauern über einen alten, hässlichen und wirklichkeitsfremden Zaren, der so dumm ist, in einen Zuber kochend heißen Wassers zu steigen in dem Glauben, er werde dem Kessel jung, schön und als Bräutigam der bezauberndsten Prinzessin entsteigen.
Das konstruktivistische, in sanften Farben und geometrischen Formen gehaltene Bühnenbild der Mariinsky-Fassung von 2009 zeigt ein weiß gerahmtes mannshohes Aquarium, in dem über klarem Wasser Schaumberge schaukeln.
Grausames Märchenballett
Recht grausam geht das Märchenballett mit dem alten eingebildeten blaublütigen Narren um. Das Bad im vermeintlichen Schönheitsbrunnen überlebt er nicht. Zum neuen Zaren gekrönt wird Iwan, der Bauernjunge, in den die Prinzessin eh schon verliebt ist.
Doch was Iwan in den Augen des Volkes legitimiert, ist nicht nur seine bäuerliche Abstammung, sein munteres Wesen und das gute Aussehen seiner Braut, deren adlige Herkunft für beide reichen muss. Es ist vielmehr Iwans Verbindung zu den mythologischen Quellen magischer Kräfte.
Das Zauberpferdchen mag klein sein, braune Ohren und ein fliederfarbenes, braun geschecktes Tanzkostümfell tragen, aber es hilft Iwan, diverse magische Gegenstände zu bergen und die Prinzessin vor den eitlen Zaren zu führen. Das charmante Tier kennt sich nicht nur bei den Feuervögeln am Rande der Welt aus, es kann sich sogar in eine Amphibie verwandeln, um bei den Meereswesen nach dem Ring zu suchen, ohne den die Prinzessin keinen Zaren heiraten mag, sei er nun alt oder jung.
Geschichte voller seltsamer Fabelwesen
Während der erste Akt der Fassung von Alexei Ratmansky mit pantomimischen Unterhaltungen zwischen Iwans Vater, seinen Brüdern und drei weiteren Pferden auf den ungeübten Betrachter eher verwirrend wirken kann, ist der zweite geprägt von dem, was die fabelhaften Mariinsky-Tänzer, allen voran Alina Somova als Prinzessin, wirklich fantastisch beherrschen: Während des Tanzens mit Blicken, kleinen Neigungen des Kopfes oder ironisch gehobenen Augenbrauen zu spielen, und so eine alte und etwas komplizierte Geschichte voller seltsamer Fabelwesen mit neuem Leben zu erfüllen.
Auf den sanfteren Melodien Rodion Schtschedrins im zweiten Akt choreografiert Ratmansky mit seinem unnachahmlichen Sinn für physische Details und schauspielerische Nuancen wunderschöne einfallsreiche Pas de deux. Und auch das Spiel der jungen Verliebten mit dem alten Narren, der sich zwischen sie drängt, ist witzig und voller Überraschungen.
Für das Baden-Badener Publikum, das mit weihnachtlichen Mariinsky-Aufführungen des "Nussknackers" und von "Schwanensee" bereits bestens vertraut ist, ist das Betreten des tanzhistorischen Bodens des Buckligen Zauberpferdchens ein ästhetisches Abenteuer, auf das es sich willig einlässt. Valery Gergiev verleiht selbst Rodion Schtschedrins etwas Humtata-hafter Jugendmusik Geheimnis.
Die wahre Magie des Abends aber besteht in der Entdeckung, dass ein aus dieser Ballettwelt stammender Alexei Ratmansky seine choreografische Fantasie auch an Stoffen und Melodien entzünden kann, auf deren Wiederentdeckung niemand wirklich gewartet haben kann.