Frankreich
Marine Le Pen darf nicht bei Präsidentschaftswahl 2027 kandidieren

Die französische Politikerin Marine Le Pen wurde verurteilt, EU-Gelder in Millionenhöhe veruntreut zu haben. Das Gericht verhängte für sie ein fünfjähriges Verbot, bei politischen Wahlen anzutreten. Das Urteil könnte ein politisches Erdbeben auslösen.

    Marine Le Pen verlässt den Gerichtssaal.
    Marine Le Pen verlässt den Gerichtssaal. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Thibault Camus)
    Die französische Rechtsnationalistin Marine Le Pen ist in einem Betrugsprozess um die Veruntreuung von EU-Geldern schuldig gesprochen worden. Ein Gericht in Paris verurteilte sie zu vier Jahren Haft, davon kann sie zwei mit einer elektronischen Fußfessel unter Hausarrest ableisten, zwei werden auf Bewährung ausgesetzt. Hinzu kommen 100.000 Euro Bußgeld.

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    Was politisch jedoch höhere Wellen schlägt: Le Pen wird für fünf Jahre das passive Wahlrecht entzogen. Das bedeutet: Die prominenteste Figur des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) darf bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 nicht antreten. Dabei wurden Le Pen hohe Chancen eingeräumt, die Wahl zu gewinnen. Denn bei der Europawahl 2024 und den vorgezogenen Parlamentswahlen im selben Jahr holte die Partei zuletzt etwa 30 Prozent der Stimmen.

    Was genau wurde Marine Le Pen vorgeworfen?

    Neben Marine Le Pen standen 26 weitere Personen und auch ihre Partei vor Gericht. Im Prozess vor einem Pariser Strafgericht ging es um ein System zur Veruntreuung von EU-Mitteln: die mutmaßliche Scheinbeschäftigung von Assistenten im EU-Parlament zwischen 2004 und 2016.
    Laut Ermittlungen von OLAF, der Anti-Betrugsbehörde der EU, sollen insgesamt 20 Mitarbeiter von Le Pens Partei zu Unrecht mit EU-Geldern bezahlt worden seien. Denn sie hätten gar nicht für EU-Parlamentarier gearbeitet, sondern für den Parteiapparat.
    Insgesamt sollen so mehr als 4,5 Millionen Euro Steuergelder in die Parteikasse umgeleitet und betrügerisch zweckentfremdet worden sein. Da OLAF nicht die Befugnisse einer Staatsanwaltschaft hat, hat die Anti-Betrugsbehörde die französische Justiz eingeschaltet, die die Vorwürfe zehn Jahre lang untersucht hat.
    Marine Le Pen selbst soll drei Mitarbeiter zu Unrecht aus EU-Mitteln bezahlt haben.
    In der Urteilsbegründung heißt es, dass es keinen Zweifel daran gebe, dass die Partei von Le Pen ein System errichtet habe, um Gelder der EU zu veruntreuen. Marine Le Pen sei im Herzen dieses Systems gewesen, der Schaden für das EU-Parlament summiere sich auf 4,1 Millionen Euro. Die Beweislast vor Gericht war erdrückend.
    Vergleichbare Rechtsbrüche sind immer wieder im Europaparlament aufgeflogen, fast ausschließlich bei rechten oder rechtspopulistischen Parteien.

    Wie lautet das Urteil im Prozess gegen Marine Le Pen?

    Marine Le Pen ist schuldig, das verkündete das Gericht in Paris am 31. März 2025. Ihr wurde mit sofortiger Wirkung das passive Wahlrecht entzogen. Fünf Jahre lang kann Le Pen nicht mehr für politische Ämter kandidieren.
    Außerdem verhängte das Gericht vier Jahren Haft. Ins Gefängnis muss die RN-Politikerin allerdings wohl nicht: Sie kann zwei Haftjahre mit einer elektronischen Fußfessel unter Hausarrest ableisten, zwei wurden auf Bewährung ausgesetzt. Hinzu kommen 100.000 Euro Bußgeld.
    Acht weitere EU-Abgeordnete ihrer Partei Rassemblement National (RN) wurden ebenfalls schuldig gesprochen.
    Marine Le Pen kann gegen das Urteil in Berufung gehen, das hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. Dass Richter gegen Mandatsträger eine Unwählbarkeit mit sofortiger Wirkung erlassen können, hatte der französische Verfassungsrat noch am 28. März 2025 bestätigt: Er wies die Klage eines davon betroffenen französischen Lokalpolitikers ab.

    Was bedeutet das Urteil für Le Pen?

    Le Pen selbst hatte vor der Urteilsverkündung gesagt: "Es ist mein politischer Tod, der gefordert wird". Ob und wie sie ihre Karriere in der Politik nach dem Urteil fortsetzen wird, ist unklar.
    Bis zum Ende der Wahlperiode kann Le Pen aber weiter als Abgeordnete im Parlament sitzen, wo sie Fraktionsvorsitzende ist. Le Pen hat angekündigt, in Berufung zu gehen, hat dabei aber betont, dass das für sie nutzlos sei, weil das Urteil durch die Berufung nicht aufgehoben wird.
    Le Pen hat das Urteil als eine Beschädigung des Rechtsstaats bezeichnet. Es gehe darum, sie als Favoritin von der Präsidentschaftswahl 2027 abzuhalten. Millionen von Franzosen seien um ihre Kandidatin gebracht worden. Sie beteuerte zudem ihre Unschuld.
    Juristen diskutieren in Frankreich intensiv, ob es Auswege aus der Unwählbarkeit für Le Pen geben könnte. Nach Einschätzung eines der ranghöchsten Justizbeamten Frankreichs, Rémy Heitz, wäre ein rechtzeitiges Berufungsverfahren theoretisch möglich, darüber müsse ein Berufungsgericht entscheiden.
    Dass Le Pen noch einen Zugang zur Präsidentschaftswahl 2027 findet, gilt aber als unwahrscheinlich. Auch weil nicht davon auszugehen ist, dass ein Berufungsverfahren zu einer anderen Einschätzung käme. Die Beweislast vor Gericht war erdrückend.

    Welche Bedeutung hat der Prozess für die französische Politik?

    Das Urteil ist ein politisches Erdbeben für Frankreich. In der politischen Landschaft sind die Reaktionen darauf sehr gemischt, parteiübergreifend gibt es kritische Stimmen. Premierminister François Bayrou sei beunruhigt, heißt es aus seinem Umfeld. Der Gründer des linkspopulistischen Wahlbündnisses La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon sagte, die Entscheidung gewählte Politiker abzusetzen, müsse durch das Volk getroffen werden.
    Der ehemalige Präsident und heutige sozialistische Abgeordnete der französischen Nationalversammlung, François Holland, hat das Urteil hingegen verteidigt. Die Strafe sei schwer, doch die Taten auch, die Unabhängigkeit der Justiz müsse gewahrt bleiben. 
    Der frühere grüne Europa-Abgeordnete Cohn-Bendit findet die Kritik der französischen Rechtspopulistin Le Pen an dem Urteil gegen sie unangemessen. Sie inszeniere sich als Opfer, obwohl ihre Partei das Anti-Korruptionsgesetz mit verabschiedet habe.
    Inès Bernard von der Anti-Korruptionsvereinigung Anticor hatte vorab die Gleichheit vor dem Gesetz betont: „Wir engagieren uns in vielen Prozessen, bei denen etwa Bürgermeister, für die Veruntreuung von viel geringeren Summen als die des RN, zur Unwählbarkeit verurteilt werden - mit sofortiger Wirkung“, betont Bernard.
    Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Arnaud Benedetti wird die voraussichtliche Unwählbarkeit von Marine Le Pen ein politisches Erdbeben auslösen: „Es geht hier immerhin um die wichtigste Politikerin der stärksten Oppositionspartei in Frankreich. Das hätte nicht nur Konsequenzen für den Rassemblement National, sondern für unser gesamtes politisches Leben“, hatte Benedetti vor dem Urteil gesagt. „Es würde eine Menge Fragen aufwerfen, auch für das Funktionieren unserer Demokratie.“

    Wie stellt sich der Rassemblement National nun auf?

    Anstelle von Le Pen könnte Jordan Bardella kandidieren. Le Pen hat ihn nach dem Urteil als „großartigen Trumpf“ bezeichnet. Sie betonte aber auch, man hoffe, ihn nicht nutzen zu müssen.
    Der Politikwissenschaftler Arnaud Benedetti gibt aber zu bedenken, dass man sich darüber in der Partei nicht einig sei: „Das hat mit Bardellas Profil zu tun: Er ist jung und hat nicht die Erfahrungen, die man als Präsidentschaftskandidat des RN haben müsste. Der RN würde also unausweichlich in eine Phase der Unsicherheit treten.“ Bardella wird im September 2025 30 Jahre alt.
    Aber die Kandidatur Bardellas könnte auch Vorteile für den RN haben, sagte Stefan Seidendorf vom Deutsch-französischen Institut. Er sei unbelastet im Vergleich zu allen, die den Namen Le Pen tragen. Wenn Marine Le Pen ihn als Kandidaten sehen wolle, sei Bardella gesetzt. Denn die Partei funktioniere nach dem Führerprinzip und Le Pen stehe weiter ganz oben.
    Als Szenario wird diskutiert, dass Bardella Marine Le Pen im Falle seiner Wahl zum Präsidenten als Premierministerin ernennen könnte. Sie ist zwar zur Unwählbarkeit verurteilt worden, ernannt werden kann sie allerdings. Im Wahlkampf könnte Le Pen ihre Popularität für Bardella in die Waagschale werfen. Le Pen hat Fragen von Journalisten dazu bisher allerdings nicht beantwortet.
    Der Rassemblement National bereitet sich zudem darauf vor, Protest zu initiieren. Parteichef Bardella hat zu „friedlicher Volksmobilisierung“ aufgerufen, die Partei hat eine Plakat- und Flugblattkampagne angekündigt, außerdem gibt es bereits eine Petition gegen das Urteil.

    jfr , pto