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Mario Adorf
"Ich will kein Heesters werden"

Mario Adorf gehört zu Deutschlands bekanntesten Filmschauspielern, doch er hat auch schon oft auf der Theaterbühne gestanden - seine Paraderolle war stets die des Bösewichts. Im DLF erläuterte der 84-Jährige, was der Wechsel in andere Rollen mit seiner Haarfarbe zu tun hat und wie er sich sein Karriereende vorstellt.

Oliver Kranz im Gespräch mit Mario Adorf |
    Schauspieler Mario Adorf auf dem roten Teppich.
    Mario Adorf 2014 bei der Berlinale. (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Arbeitsmüde ist Mario Adorf noch nicht: "Ich möchte solange weitermachen, wie ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin. Ich will kein Heesters werden."
    Aktuell liest er auf deutschen Bühnen aus seinem Buch "Schauen Sie doch mal böse". Ein Satz, den der amerikanische Regisseur Robert Siodmak einst zu ihm sagte. Damit spielt er mit seinem lange Zeit festgelegten Rollenfach des Bösewichts, die er allerdings nie als böse empfand: "Es waren oft kranke Menschen und ich habe mich gefragt, warum ist der so geworden? Welche Umstände haben ihn böse werden lassen?"
    Dass er später auch Rollen wie die eines Patriarchen, väterliche Figuren oder gesetztere Männer spielte, schreibt er seiner Haarfarbe zu: "Als ich schwarzhaarig war, sah das natürlich typischer aus für die Bösewichtrollen."

    Das Interview in voller Länge:
    Oliver Kranz: Herr Adorf, Sie haben sich in letzter Zeit ein bisschen rar gemacht auf dem Theater. Ist das jetzt Ihre Abschiedstournee?
    Mario Adorf: Es könnte durchaus sein, dass es noch mal eine gibt. Also ich weiß es nicht - je nachdem, wie erfolgreich sie sein wird. Klar.
    Kranz: Es wird angekündigt, Sie tragen Geschichten aus Ihrem Schauspielerleben vor. Worum wird es gehen?
    Adorf: Es geht in erster Linie um meine Anfänge. Das ist offenbar etwas, was die Menschen mehr interessiert als die Erfolgsgeschichten der späteren Jahre. Es ist natürlich auch sehr schön, wenn junge Menschen mich fragen: wann hast du gemerkt, dass du Schauspieler werden willst? Wie hast du es geschafft? - Das sind Fragen, die mir gestellt werden, die ich gern beantworte.
    "Dann war es ihm nicht böse genug"
    Kranz: "Schauen Sie doch mal böse" - das ist der Titel. Natürlich hat das auch mit ihrem Karriereanfang zu tun. Wann haben Sie diesen Satz gehört?
    Adorf: Das war eine Geschichte des Regisseurs Robert Siodmak, damals ein berühmter amerikanischer Regisseur. Der suchte nun einen Hauptdarsteller und das erste, was er zu mir sagte, war - da ich einen Bösewicht spielte. Es war ja gar keiner. Es war ein Massenmörder, aber der war ein kranker Mensch - da sagte er zu mir: schauen Sie mal böse. Ich versuchte dann, böse zu schauen und er wollte noch böser und noch böser und noch böser. Dann war es ihm nicht böse genug.
    Kranz: Das finde ich spannend, weil wenn einer sagt: noch böser, noch böser, das muss doch dann die reinste Karikatur werden.
    Adorf: Natürlich. Das wurde auch wahrscheinlich eine. Darum geht es ja auch: wie kommen solche Dinge zustande? Wie kommt man zu einer Rolle? Wie ticken Menschen? Was wollen Sie von einem? Und was hat sie selber zu versenden?
    Kranz: Sie sind aufgewachsen als Kind einer alleinerziehenden Mutter und da sie nicht viel Geld hatte und arbeiten musste und sie nicht mitnehmen konnte, musste sie sie ins Waisenhaus geben. Das klingt für heutige Eltern unglaublich hart. Haben Sie darunter sehr gelitten?
    Adorf: Kann ich nicht sagen. Ich hatte natürlich dadurch, dass ich eine Mutter hatte, die ich sehen konnte am Sonntag, unterschied ich mich von den anderen Waisenkindern im Allgemeinen. Es gibt Dinge, an die ich mich erinnere, dass ich zum Beispiel von einer Frau verprügelt wurde. Die hat mich eingesperrt in ein Badezimmer und hat mich dann mit dem Besenstil malträtiert. Das Merkwürdige war, dass ich mich darüber nie beschwert habe. Ich bin nie irgendwo hingelaufen und habe gesagt: "Die hat mich geschlagen." Merkwürdig, nicht?
    "Du musst dich nicht klein machen. Du bist jemand"
    Kranz: Was ist das Wichtigste, was Sie von Ihrer Mutter gelernt haben?
    Adorf: Sie hat in dieser Situation, wenn man also ohne Vater aufwächst, also als uneheliches Kind, da hat sie mich immer bestärkt und gesagt: "Du musst dich nicht klein machen. Du bist jemand."
    Kranz: Es ist eine schöne Anekdote aufgeschrieben, schon in Ihrem vorhandenen Erinnerungsbuch, dass Sie schon bei einem Ihrer ersten Drehs eine eigene Garderobe verlangt haben, obwohl Sie eigentlich keine große Rolle spielen mussten. War das schon das Selbstbewusstsein, dass Ihre Mutter angemahnt hat?
    Adorf: Sicher. Der Film ist ja nicht feinfühlig. Im Theater hatte ich natürlich als Schauspieler, als junger Schauspieler, eine Garderobe. Zwar nicht allein, aber mit anderen Schauspielern. Nicht mit der Komparserie zum Beispiel. Und dann wurde ich am ersten Drehtag so in einen Saal geführt mit 50 Leuten drin und es roch auch gar nicht gut. Dann habe ich gesagt: "Nein, das mache ich nicht. Es gibt eine Garderobe mit Schauspielern."
    Kranz: Das muss man sich erst einmal trauen. Es hätte ja auch sein können, dass die sagen: "Sie können jetzt gleich wieder gehen."
    Adorf: Ich weiß nicht, ob ich da was riskiert habe, aber jedenfalls haben sie es gemacht. Sie haben mir dann eine Garderobe gegeben und dann haben sie mich beim Drehen gerufen mit der Rolle. Das war "08/15". Da hieß ich Wagner und die riefen immer: "Wagner. Wo ist dieser Wagner?!" Dann habe ich nicht reagiert. Dann kamen sie endlich zu mir und sagten: "Wir rufen Sie die ganze Zeit, warum kommen Sie denn nicht! Das sagte ich: "Ich heiße Adorf und nicht Wagner. OK?"
    "Ich habe Bösewichte nie als böse gesehen"
    Kranz: OK, haben die sich dann vermutlich gemerkt. Ein paar Filme später "Nachts, wenn der Teufel kam", der Film, über den wir schon gesprochen haben, da haben Sie einen Bösewicht gespielt. Einen Mörder. Das hat Sie gleich festgelegt auf das Rollenfach.
    Adorf: Ich habe ihn ja gar nicht als Bösewicht gesehen, sondern als das, was er letzten Endes war: ein kranker Mensch. Ich habe Bösewichte nie als böse gesehen, als einseitig böse. Ich habe mich immer gefragt: warum ist der so geworden? Er ist ja nicht so auf die Welt gekommen. Welche Umstände haben ihn böse werden lassen? Das hat mich interessiert.
    Kranz: Im Theater sind die Bösewichte meistens die viel reizvolleren Figuren - "Richard der Dritte", weil die so viele Facetten haben - oder ja Jago spielt Othello regelmäßig an die Wand. Aber bei den Karl-May-Filmen, da haben sie den Santer gespielt, also den Schurken, der die Schwester von Winnetou tötet. Der ist nur einfach nur böse. Das ist ihnen richtig auf die Füße gefallen, was die Popularität betrifft?
    Adorf: Ja, ich wollte den Film eigentlich gar nicht machen. Es gab einen Kritiker, der mir vorher einmal die Laudatio geschrieben hatte für den Bundesfilmkreis als Nachwuchsschauspieler. Dieser Kritiker sagte mir eines Tages, als ich sagte, "Ich mache diesen Film nicht", und der sagte dann, es war hier in Berlin, "Karl May müssen Sie spielen. Karl May ist Kulturgut, deutsches Kulturgut." Und er hat mich sozusagen überredet. Das ist auch die Rolle, die mich am wenigsten interessiert hat.
    Kranz: Also wie gesagt, der Bandit, der eine Sympathieträgerin, Winnetous Schwester, erschießt. Man könnte sagen: das gehört einfach zur Geschichte. Hätten Sie jemals gedacht, dass Leute Ihnen das übel nehmen?
    Adorf: Das habe ich schnell gemerkt. Das war eine richtige Welle. Das ging über Generationen weiter. Es gibt auch heute noch Menschen, die sagen: "Dass Sie Nscho-tschi erschossen haben, das habe ich Ihnen lange nicht oder nie verziehen."
    "Ich habe es auf meine Haarfarbe geschoben"
    Kranz: Das ging dann weiter. Sie haben oftmals die bösen, die dunklen Charaktere gespielt, bis irgendwann mal ein Wechsel kam. Dann waren es auf einmal die Patriarchen, die gesetzten Männer, die väterlichen Figuren. Wie kann dieser Wechsel?
    Adorf: Ich habe es auf meine Haarfarbe geschoben. Als diese dunklen Haare langsam grau wurden dachte ich, das liegt wohl daran. Schwarzhaarig sehe ich typischer aus für Bösewichtrollen. Später mit den helleren Haaren hat sich herausgestellt, dass ich auch eine andere Seite habe.
    Kranz: Jetzt haben Sie schon so viele Filme gemacht - ich glaube, es sind mittlerweile über 200 - was fehlt Ihnen noch? Welche Rolle würden Sie sich wünschen für die Zukunft?
    Adorf: Ich wünsche mir keine bestimmten Rollen. Die gibt es ja auch nicht. Die Rollen sind ja nicht wie am Theater, wo man sagt: ich will diese oder jene Rolle als Altersrolle noch spielen. Beim Film wartet man immer auf eine interessant geschriebene neue Rolle. Das tue ich weiterhin.
    Kranz: Bei großen Theaterschauspielern gibt es immer den Mythos, die seien so mit der Bühne verwachsen, die wollen am liebsten während der Vorstellung sterben. Wollen Sie vor der Kamera sterben?
    Adorf: Nicht unbedingt. Nein. Ich würde weitermachen, solange es möglich ist und solange ich selber glaube, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte bin. Wenn ich irgendwie nachlassen würde, sodass es peinlich wird oder schwierig, dann würde ich es nicht weiter treiben. Also ich will kein Heesters werden, ehrlich gesagt.
    Kranz: Das mit dem Vollbesitz der Kräfte ist überhaupt keine Frage. So wie Sie hier vor mir sitzen, da denkt man: der hat gerade mal sein Rentenalter erreicht. Wie machen Sie das, dass Sie so fit bleiben?
    Adorf: Ich schiebe es auf die Gene. Es ist kein Verdienst dabei. Ich gehörte allerdings noch nie zu der Generation - altersmäßig schon - die noch sehr zum Beispiel Alkohol benötigte. Ich habe viele Kollegen, die leider am Alkohol zugrunde gegangen sind. Das habe ich nicht mitgemacht und das war eine Sache, die mir wahrscheinlich geholfen hat.
    Kranz: Vielen Dank, für das Gespräch.
    Adorf: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.