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Marion Gräfin Dönhoff zum 100. Geburtstag

Marion Gräfin Dönhoff war das, was man eine prägende Gestalt der deutschen Publizistik nennt. Am Mittwoch wäre Marion Gräfin Dönhoff, die vor sieben Jahren gestorben ist, 100 Jahre alt geworden. Das Ereignis wurde in der Akademie der Wissenschaften in Berlin begangen.

Von Frank Hessenland | 03.12.2009
    Man kann Struktur und Wirkung der gestrigen Erinnerungsveranstaltung an die vielleicht einflussreichste und streitbarste deutsche Journalistin und Herausgeberin der "Zeit", Marion Gräfin Dönhoff, vielleicht am Besten in Anlehnung an Nietzsches "antiquarische Historie" beschreiben. Danach erreicht der Geschichtsschreiber ein "einfaches, rührendes Lust- und Zufriedenheitsgefühl", wenn seine Erinnerung keine Verpflichtung für die Gegenwart enthält. Die Rolle eines solchen biedermeierlichen Gedenkers übernahm gestern Theo Sommer, der, wie Gräfin Dönhoff, selbst ebenfalls einmal Herausgeber der "Zeit" gewesen war. Vielleicht hatte er nur einen müden Tag, doch es schien, dass wann immer einer der hochkarätigen Geladenen ein Thema anschnitt, das Gräfin Dönhoff in ihrem Schreiben mehr als wichtig war, Sommer die Diskussion darüber im gemütlich Anekdotischen enden ließ. Helmut Schmidt versuchte es mit der Finanzkrise, die Dönhoff vorahnte:

    "Ich glaube, dass sie so wie manch anderer auch im Laufe der 90er-Jahre diese krankhaften Entartungen des Finanzkapitalismus deutlich gesehen hat. Wir haben uns oft unterhalten, aber sie hat der Sache diesen Namen gegeben. Dieser Kapitalismus muss zivilisiert werden! Oder anders gesagt: Das müssen anständige Buerger sein und keine Finanzspekulanten."

    Theo Sommer: "Sie hat natürlich letztlich gesagt, der Mensch muss sich ändern: Wie sind da die Aussichten?"

    Richard von Weizsäcker schnitt das Thema an, dass mit Gräfin Dönhoff eine der unabhängigsten, demokratischsten und dezidiert moralischsten Instanzen in der deutschen Publizistik dahingegangen sind

    "Sie hat keine Vorgänger und sie hat keinen Nachfolger."

    Theo Sommer ließ wenig Ursachenforschung zu.

    "Das letztere ist natürlich traurig"

    Der Historiker Fritz Stern strich heraus, wie sehr sich Dönhoff auch gegen den Widerstand der deutschen Bevölkerung früh für die Erinnerung an den Aufstand der deutschen Offiziere eingesetzt hatte, viele davon mit ihr persönlich befreundet. Beim Moderator Sommer hörte sich dies beinahe gelangweilt an.

    "Sie hat 56 Jahre lang jedes Jahr zum 20. Juli geschrieben in der Zeit und ich glaube dem schulden wir, dass der Widerstand gegen Hitler in unseren Gründungsmythos eingegangen ist und zu unserem nationalen Erbe gehört. Ich glaube das ist eine ihrer großen publizistischen Leistungen!"

    Die ostpreußische Gräfin Dönhoff, die noch Adenauer dafür anklagte beim Moskaubesuch 1955, die Deutschen in der DDR verraten zu haben und statt der deutschen Vereinigung nur ein paar tausend Kriegsgefangene gegen die diplomatische Anerkennung der Sowjetunion eingetauscht zu haben, entwickelte sich in den 60er-Jahren zu einer Verfechterin der Versöhnungspolitik mit den östlichen Nachbarn. Antje Vollmer:

    "Ich glaube, dass die ganz großen, auch politischen Initiativen ihres Lebens immer auch mit der Verarbeitung von Trauer zu tun hatten. Also nicht einfach Opfer der eigenen Trauer zu sein und natürlich ist der Abschied von Friedrichstein und von Ostpreußen für sie ein großer Punkt von Trauer gewesen, aber sie wusste, dass man das nach vorne hin verarbeiten muss. Deswegen ist diese Versöhnungspolitik verarbeitete Trauerpolitik. Daher kommt auch so ein Satz, wie 'das ist Lieben ohne zu besitzen'."

    Für Dönhoff, die am 20. Juli 1944 die meisten ihrer Freunde und am 8. Mai 1945 ihre Heimat in Ostpreußen verloren hatte, war die deutsche Geschichte niemals etwas antiquarisches oder rührendes. Das Leiden daran war ihr auch kein privates. Sie machte die Überwindung der bösen Vergangenheit im Sinne des kantischen Imperativs zu einer öffentlichen Aufgabe. Und Sie wurde auch deswegen so geachtet, weil sie mit ihren Mitteln das öffentliche Bewusstsein im Sinne von Demokratie, hoher Moral und Versöhnung bearbeitete, wo sie nur konnte. Für diese Rolle hat sich weder in der "Zeit" noch sonst wo ein ähnlicher Nachfolger gefunden. Antje Vollmer:

    "Mir fehlt sie ganz besonders auch als Journalistin, weil ich glaube solche Journalisten, die Neues eröffnen, nicht ein vampirmäßiges Verhältnis auch zur Politik haben, sondern die Neues eröffnen, auch politisch Schwieriges, die fehlen mir am allermeisten. Und das war sie und manchmal auch Rudolf Augstein."