Archiv

Mariupol
Bloß nicht zwischen die Fronten geraten

In der ostukrainischen Stadt Mariupol herrscht gespannte Ruhe. Manchmal wird sie von Schüssen unterbrochen, wenn sich Separatisten und Armee Scharmützel liefern. Die schweren Waffen aber schweigen derzeit. Die Menschen dort hoffen, dass es nicht mehr zu einem solch massiven Beschuss kommt wie im Januar, als es viele Tote gab.

    Blick aus einem von Kugeln zerstörten Fenster in der ostukrainischen Stadt Mariupol am Asowschen Meer
    Blick aus einem zerstörten Fenster in der ostukrainischen Stadt Mariupol (afp / Daniel Mihailescu)
    Kaum jemand traut sich, Mariupol zu verlassen. Richtung Westen, auf der Straße nach Dnepopetrowsk, fährt nur vereinzelt ein Fahrzeug. In Richtung Osten verlässt niemand die Stadt: Zu groß ist die Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten. Dennoch: "Derzeit wirkt die Bevölkerung geradezu erleichtert", berichtet DLF-Korrespondent Henryk Jarczyk, der die Stadt am Asowschen Meer besucht hat.
    Eine ältere Dame erzählt ihm, dass sie in der vergangenen Nacht erstmals seit Wochen durchgeschlafen habe. Diesmal wurde sie nicht von Gefechtslärm geweckt.
    Evakuierungsübungen in der Schule
    "Die Menschen haben sich an die ständige Bedrohung gewöhnt", so Jarczyk. Aber die Bedrohung hat tiefe Auswirkungen auf den Alltag. Jarczyk berichtet von Schülern, die in Evakuierungsmaßnahmen für den Fall von Granatenbeschuss geschult werden. "Flächen im Schulgelände, in denen man sicher Schutz suchen kann, sind grün angestrichen. Plätze, die man bei Beschuss auf jeden Fall meiden soll, sind rot."
    Die jungen Leute wollen weg
    Auch wenn die Menschen in Mariupol sich derzeit nicht trauen, die Stadt zu verlassen: Viele sehen ihre Zukunft auf Dauer woanders. Zwei Studentinnen sagen, dass sie nach Erreichen ihres Abschlusses so bald wie möglich in den Westen der Ukraine gehen wollen - und das haben viele junge Menschen in der Stadt vor. "Man hat hier so oder so keine Zukunft, ob es weiter Krieg gibt oder nicht.", sagt Jarczyk. In einer Stadt in diesem Konfliktgebiet werde niemand investieren und Arbeitsplätze schaffen.
    Hält der Waffenstillstand in Mariupol? "Das ist eine Frage der Definition", meint Jarczyk. Die Ukrainer seien schon zufrieden, wenn es keine weiteren Toten gibt, und das sei in Mariupol derzeit der Fall. Denn massiven Beschuss wie im Januar gibt es nicht, dafür aber immer wieder Scharmützel.
    Waffenabzug schwer zu überprüfen
    Kaum zu überprüfen ist, ob die schweren Waffen, wie im Minsker Abkommen vereinbart, tatsächlich aus der Region abgezogen werden. "Die Separatisten laden uns Journalisten ein, den Abzug zu filmen." Doch niemand wisse, ob das Kriegsgerät tatsächlich zurück in die Kasernen gebracht oder einfach nur an eine andere Stelle der Front transportiert wird.