Figürliche Adaptionen der europäischen Malerei - von Eduard Manet, Henri Matisse, Pablo Picasso, den Surrealisten, auch von antiker Malerei - standen am Beginn von Mark Rothkos künstlerischer Laufbahn in den 1930er Jahren. Erst nach und nach lässt sich eine thematische Fokussierung erkennen, als Rothkos Interesse sich zunehmend auf den Raum hinter den Figuren richtet. Und da wird für ihn auch die romantische Landschaftsmalerei wichtig, zum Beispiel eines Caspar David Friedrich. Mal unterteilt Rothko den Bildhintergrund in abstrakte Flächen, mal vertieft er ihn mit dunkel glühenden Farben in eine räumliche Unendlichkeit.
Mitte der Vierziger Jahre setzt die entscheidende Entwicklung ein: Auch der Vordergrund wird zu einem abstrakten Farbfeld und Vorder- und Hintergrund somit zu gleichberechtigten Ebenen der Wahrnehmung. Rothkos Formate werden größer, die darauf verteilten Farbflächen vermitteln dem Betrachter die Erfahrung eines gestaffelten Farbraumes, der insbesondere auch den Raum vor den Bildern transzendieren soll.
Wie Säulen eines Tempels
Gerade bei Auftragswerken für bestimmte Orte, wie das Ensemble der Seagram Murals, die als Ausstattung für ein Restaurant gedacht waren, wirkt dieses Ausgreifen der Farbfelder in den realen Raum besonders suggestiv. Wie Säulen eines Tempels scheinen sich dunkel leuchtende Farbfelder in einen fast schwarzen Bildgrund zu öffnen und ziehen den Blick des Betrachters hinein. Und Jasper Sharp als Kurator dieser ersten Retrospektive Rothkos in Österreich hat alles getan, um Rothkos Vorstellung von dieser suggestiven Wirkung seiner Bilder so nahe wie möglich zu kommen: Abgedimmte Saallichter oder die Präsentation einzelner Bilder in kapellenartigen Nischen, um den Blick von jeder Ablenkung freizuhalten. Dazu Jasper Sharp:
"Weil Rothko selbst ungern über seine Arbeit sprach und das reine Schweigen für ihn ohnehin der beste Kommentar zu seinem Werk war, haben wir in der Ausstellung weitgehend auf Wandtexte verzichtet, so dass man die Werke betrachten kann, ohne dass der Eindruck durch solche Wandtexte verwischt würde."
Das Kunsthistorische Museum, dessen Sammlung vom 18. Jahrhundert bis in das fünfte Jahrtausend vor Christus zurückreicht, hat erst vor wenigen Jahren beschlossen, auch Kunst aus dem 20. Jahrhundert zu zeigen. Für das Werk Mark Rothkos, der sich sein ganzes Leben lang mit alter Kunst beschäftigt und sie auch auf langen Reisen durch Europa immer wieder selbst aufgesucht hat, ist eine solche Retrospektive hier grundsätzlich plausibel, auch wenn Kritiker bemängeln, das Kunsthistorische Museum mache auf der Suche nach Blockbuster-Ausstellungen nun nicht einmal mehr vor der Moderne halt.
Von kritischen Fragen verschont
Der beeindruckende, auratische Schummer, den Kurator Jasper Sharp hier Rothkos Arbeiten verpasst hat, verschont das Publikum in Wien allerdings auch mit kritischen Fragen anderer Art, denen sich Rothkos Werk immer schon ausgesetzt sah. Genervt vom Gewese um seine angeblich absolute Malerei, die die ganze Kunstgeschichte zusammenfassen will, halten so manche Kritiker sein Werk für schlichtweg illustrativ. Sein Verwischen von Farbflächen in einem eigentlich sehr konventionellen Tafelbildformat mit extrem dünnflüssiger Farbe haben so manche als das Färben von Textilien verspottet.
Rothkos Malerei lebt von der Spannung, das objektiv Erkennbare und subjektiv Erlebbare für den Betrachter in der Schwebe zu halten und sich so einer Deutung zu entziehen. Die unerhörten Preise, die Rothkos Bilder auf Kunstauktionen zeitweilig zu den teuersten eines Künstlers des 20. Jahrhunderts gemacht haben, tragen freilich ebenso zur Auratisierung bei. Einer distanzierten Bestandsaufnahme dieser Malerei und ihrer Rezeption, die in Museen für Moderne Kunst schon längst geschehen ist, stellt sich das Kunsthistorische Museum leider nicht einmal im Katalog.