Ein schick designter Laden in Berlin-Charlottenburg, der Name IQOS prangt in großen blauen Lettern über der Eingangstür. Gleich um die Ecke liegt der Kudamm, schräg gegenüber das berühmte Café Kranzler. Hier, im Zentrum des alten Westberlin, präsentiert Philip Morris International – der zweitgrößte Tabakkonzern der Welt – das, was es als Zukunft des Rauchens deklariert hat. "Die neue Art Tabak zu genießen" steht in großen Lettern an der Wand.
"Hallo, grüß Gott". "Hallo, guten Tag."
"Ich bin heute hier und wollte mich mal informieren, was es mit der Iqos auf sich hat."
Ein Kunde ist an den Tresen getreten, eine der Verkäuferinnen hat sofort Zeit für den Interessenten:
"Sind Sie denn Raucher?"
"Ja leider, seit meinem 15. Lebensjahr."
"Okay, gut. Dann zeig ich Ihnen mal ein bisschen, was Iqos ist. Das hier ist unser Device."
Erhitzen statt Verbrennen
Die Mitarbeiterin nimmt ein elegantes schwarzes Etui vom Tresen. Innen steckt eine Art dicker Kugelschreiber, der sich herausziehen lässt. Vorne hat er eine Öffnung. Hier lassen sich die sogenannten Heets einführen: Das sind kleine Tabaksticks, die wie Minizigaretten aussehen.
"Iqos ist ganz anders als die herkömmliche Zigarette, die Sie kennen. Und zwar ist Iqos ein Tabakerhitzer."
Erhitzen statt Verbrennen. Das ist hier die neue Devise. Der Raucher kann am Filter des Tabaksticks ziehen wie an einer Zigarette, das Gefühl an den Lippen ist das Gleiche wie beim klassischen Rauchen. Und damit anders als bei einer elektronischen Zigarette, wo statt Tabak eine nikotinhaltige Flüssigkeit verdampft. Der Tabakstick steckt auf einem Heizblatt, das sich im Inneren des dicken schwarzen Stifts befindet und den Tabak auf 300 Grad erhitzt. Der Raucher pustet dann weißen, nikotinhaltigen Dampf in die Luft, das sogenannte Aerosol.
"Das ist eine viel niedrigere Temperatur als in einer Verbrennungszigarette, die sich bei sechs bis achthundert Grad befindet", sagt Alexander Nussbaum. Früher hat der Biochemiker zu Lungenkrebs und Impfstoffen geforscht, jetzt präsentiert er für Philip Morris die medizinischen Erkenntnisse zum rauchfreien Tabak-Konsum.
Milliarden für Forschung in neue Produkte
"Das Schädliche beim Rauchen ist die Inhalation der Verbrennungsprodukte des Tabaks, das ist international anerkannt. Hierin findet dann keine Verbrennung mehr statt, sondern das Herauslösen in einen Tabakdampf von Aromastoffen und Nikotin. Was wir messen in unserem Tabakdampf vom Tabakerhitzer Iqos, ist, dass die schädlichen und potenziell schädlichen Schadstoffe um Levels 90 bis 95 Prozent reduziert sind."
In den letzten zehn Jahren hat Philip Morris dreieinhalb Milliarden Euro investiert, um Produkte zu entwickeln, die die Risiken des Rauchens reduzieren sollen. Dazu beschäftigt der Tabakkonzern über 300 Wissenschaftler in zwei Forschungs- und Entwicklungszentren im schweizerischen Neuchatel und in Singapur.
Mit seiner Kampagne zur rauchfreien Zukunft hat Philip Morris aber auch die ökonomische Notbremse gezogen – es geht um das wirtschaftliche Überleben. Denn in der westlichen Welt greifen immer weniger Menschen zur Zigarette. In Deutschland wurden im Jahr 2000 noch 140 Milliarden Zigaretten verkauft, im letzten Jahr war es nur noch etwas mehr als die Hälfte. Ein Markt bricht ein.
Das hängt unter anderem mit einer immer strengeren Regulierung und steigenden Preisen zusammen. Eine Entwicklung, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt wird, die am Donnerstag den Weltnichtrauchertag 2018 begeht.
Schadstoffbelastung im Aerosol reduziert
"Der gesamte Tabakmarkt wandelt sich, und wir als Philip Morris sind im Endeffekt Treiber dieser Entwicklung", so die Kommunikationschefin des Unternehmens, Iris Brand. Vor rund anderthalb Jahren trat der Konzern mit einer überraschenden Botschaft an die Weltöffentlichkeit:
"Wir haben eine Vision, das ist die Vision einer rauchfreien Zukunft. Wir sprechen in Deutschland von 17 Millionen Rauchern. Und das ist unsere Zielgruppe. Wir versuchen alle erwachsenen Raucher, die sonst weiterrauchen würden, davon zu überzeugen, zu möglichen besseren Alternativen zu wechseln."
"Was wir zumindest zum aktuellen Zeitpunkt sagen können, dass es schon so aussieht, als wäre die Schadstoffbelastung im Aerosol deutlich reduziert im Vergleich zu Tabakrauch."
Ute Mons, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum, zeigt sich gegenüber den Studien von Philip Morris eher zurückhaltend. Schließlich habe der Hersteller ein Interesse an positiven Forschungsergebnissen, um sein neues Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Inzwischen hätten aber unabhängige Studien im Wesentlichen die Ergebnisse des Konzerns bestätigt:
"Die große Frage, die sich für uns jetzt daraus stellt, ist: Geht eben diese reduzierte Schadstoffbelastung auch tatsächlich mit einem reduzierten Gesundheitsrisiko einher? Und da muss man eben aufpassen, 90 Prozent reduzierte Schadstoffbelastung heißt nicht unbedingt, dass auch das Risiko um 90 Prozent reduziert ist. Aber nichtsdestotrotz, es ist schon zu vermuten."
Restrisiko bleibt
Trotzdem: Risikoreduziert bedeute nicht risikofrei, meint Mons:
"Vor allem weil tatsächlich auch in diesen Tabakerhitzern weiterhin krebserregende Substanzen enthalten sind. Und bei krebserregenden Substanzen ist es eben so, dass es keinen unteren Grenzwert gibt, den man angeben könnte, unter dem kein Risiko besteht. Das heißt, ein Krebsrisiko ist bei diesen Produkten mit Sicherheit gegeben."
Krebs entwickelt sich über viele Jahre. Es könnte also noch viel Zeit vergehen, bis man hier absolute Klarheit und valide Studienergebnisse hat.
Ute Mons vom Deutschen Krebsforschungszentrum interessiert sich darüber hinaus aber auch für Substanzen, die im Zigarettenrauch bisher nicht enthalten waren:
"Also beispielsweise Metalle, die dadurch entstehen, dass da eben Teile im Gerät korrodieren, oder auch Plastikteile. Das ist eben ein elektronisches Gerät, von dem Teile auf dreihundert Grad erhitzt werden. Also es ist durchaus denkbar, dass da völlig neue Schadstoffe entstehen, die im Aerosol enthalten sind."
Der Körper regeneriert sich erstaunlich schnell
Inhalierte Gifte und Dämpfe können unter Umständen eine toxischere Wirkung entfalten als das, was zum Beispiel über die Nahrung in den Verdauungstrakt gelangt.
Unabhängig davon gilt: Wenn jemand mit dem Rauchen aufhört, regeneriert sich der Körper erstaunlich schnell – schon 20 Minuten nach der letzten Kippe sinkt der Blutdruck auf Normalwert. Nach acht Stunden werden die Organe wieder besser mit Sauerstoff versorgt. Nach zwei Tagen riecht und schmeckt alles besser und intensiver. Zwei Wochen später löst sich der Schleim in den Atemwegen, man kommt nicht mehr so schnell aus der Puste.
Philip Morris erforscht, ob all das auch passiert, wenn Raucher konsequent auf Tabakerhitzer umsteigen.
Eine auf drei Monate angelegte Studie mit 160 Probanden wurde bei bereits abgeschlossen. Jetzt ist eine Ein-Jahres-Studie mit tausend Teilnehmern in Arbeit, sagt Alexander Nussbaum:
"Was wir schon in der Drei-Monats-Studie gemessen haben, dass man schon nach drei Monaten des Umstiegs Verbesserungen sieht im Lungenvolumen, in Gerinnungsfaktoren im Blut, in Blutfettwerten und so weiter. Wir hoffen, dass die Ein-Jahres-Studie dann dort auch eine statistische Signifikanz zeigen kann. Wir sind da guter Hoffnung."
Kritik an Studien der Tabakindustrie
Aber Studienergebnisse aus der Tabakindustrie sind immer wieder umstritten. Etwa sechs Millionen Menschen sterben laut WHO jährlich am Zigarettenkonsum. In Deutschland beziffert man die rauchbedingten Todesfälle auf rund 13 Prozent – also rund 120.000 Menschen. Jahrzehntelang haben die Tabakkonzerne diese Tatsachen verschleiert:
"Eigentlich ist seit den 60er-, 70er-Jahren klar, dass Zigaretten tödlich sind. Das ist eigentlich nicht umstritten."
Laura Graen arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Unfairtobacco, die sich immer wieder mit der Tabakindustrie anlegt und auf deren Methoden aufmerksam macht.
"Aber die Tabakindustrie hat massiv daran gearbeitet, dass das umstritten wird. Das macht man, indem man Zweifel streut. Es reicht ein paar Studien zu finanzieren, die irgendwie verzerrte Ergebnisse bringen, und dann zum Beispiel sagen: Ja, Passivrauchen, das kann man gar nicht nachweisen, dass das schädlich ist."
Als ein amerikanischer Untersuchungsausschuss 1994 die Chefs der sieben größten US-Tabakkonzerne fragte, ob Rauchen süchtig mache, antworteten sie alle mit: Nein. Obwohl sie es besser wussten.
Messungen lassen sich reproduzieren
Heute, wo die Gewinne wegzubrechen drohen, zeigen sich die Konzerne einsichtig und reumütig. Kein Wunder, dass den Tabakkonzernen kaum Vertrauen entgegen gebracht wird:
"Oft wird die Meinung vertreten, Studien der Tabakindustrie müsse man aufgrund ihrer nachweislich unrühmlichen Historie misstrauen", sagt der Toxikologe Bernd Mayer von der Universität Graz. "Dazu möchte ich anmerken, dass die Tabakindustrie auch in ihrer dunkelsten Phase keine gefälschten Werte publiziert hat, sondern wesentlich subtiler getrickst hat. Im aktuellen Fall des Iqos geht es um Messungen, die man mit sehr einfachen Mitteln reproduzieren kann."
Bernd Mayer hält die Studien von Philip Morris deswegen für vertrauenswürdig. Es ist sein Job, Gutachten öffentlich zu beurteilen, darunter auch solche zu risikoreduzierten Dampfprodukten. Er wurde dabei selbst zum überzeugten Dampfer.
E-Zigarette nebenher genutzt
"Anfang 2012 wurde mir für ein Fachgutachten zu E-Zigaretten ein Starterset von einer Firma geschickt. Als lebenslanger starker Raucher habe ich damals bereits gut ein Dutzend erfolgloser Entwöhnungsversuche hinter mir gehabt und irgendwann aufgegeben. Ich habe mich als lebenslanger Raucher betrachtet und hatte auch keinerlei Ambitionen mehr, mit dem Rauchen aufzuhören, habe aber die E-Zigarette spaßeshalber im Büro sozusagen nebenher benutzt."
Irgendwann fiel Mayer auf, dass er seine Zigaretten nicht mehr brauchte und es ihm gesundheitlich besser ging:
"Der morgendliche Raucherhusten war weg. Ich hatte zuvor mindestens die Hälfte des Jahres an Atemwegsinfektionen gelitten, die waren wie weggeblasen, die Kondition war verbessert."
Dampfprodukte als Alternative
Mit der elektronischen Zigarette gelänge der Umstieg quasi nebenher, behauptet Mayer. Denn weil das Aerosol von E-Zigaretten und Tabakerhitzern weiterhin Nikotin enthält, entfallen die Entzugserscheinungen. Millionen von Rauchern in aller Welt seien so von Zigaretten weggekommen:
"Ich halte es daher für ungemein wichtig, diese Botschaft klar und deutlich der Bevölkerung zu kommunizieren, anstatt Raucher durch Verzerrung und Verschleierung der Tatsachen zu verunsichern, sodass diese dann sozusagen sicherheitshalber weiterhin rauchen."
In Großbritannien werden elektronische Zigaretten bereits offiziell von der Gesundheitsbehörde zur Rauchentwöhnung empfohlen. Auch die deutsche Ärztezeitung schrieb im April, dass der Umstieg auf Dampfprodukte eine Alternative sei, wenn die Raucherentwöhnung wiederholt gescheitert sei:
"Es ist unbestritten, dass die E-Zigaretten und auch die Verdampfprodukte weniger schädlich sind als Zigaretten. Das ist schlicht unbestritten. Die Studienlage ist diesbezüglich ganz klar", sagt der Gesundheitsexperte der SPD-Fraktion, Karl Lauterbach.
Einstieg für Kinder ins Rauchen
"Trotzdem ist es so, ob man sich mit diesen Produkten einen Gefallen tut oder nicht, hängt ganz davon ab, wie sie eingesetzt werden. Sie machen nur dann Sinn, wenn es darum geht, einen starken Raucher zu entwöhnen. Sie sind allerdings gleichzeitig auch gefährlich, weil sie den Einstieg für Kinder, insbesondere für Schüler in die Nikotinabhängigkeit, also das spätere Rauchen auch fördern."
Beispiel USA: Juuling nennt sich der neue Hype an den amerikanischen Highschools. Juuling ist nach der Juul-Kartusche benannt, die wie ein verlängerter USB-Stick aussieht und von Jugendlichen als cool angesehen wird. Das Problem: Die Juul-Kartusche enthält viel Nikotin, der Kick sei sogar härter als bei einer Tabakzigarette, verspricht der Hersteller. So geraten die Jugendlichen im Rekordtempo in die Nikotinabhängigkeit.
Karl Lauterbach erinnert auch sich noch gut an die Marlboro-Werbung: "Don‘t be a maybe", mit der der Hersteller Philip Morris gezielt Jugendliche zum Rauchen animieren wollte:
"Jeder junge Mensch, der mit dem Rauchen beginnt, ist ein Dauerkunde. Jeder einzelne junge Kunde ist so viel wert wie Goldstaub für die Industrie. Und daher finde ich es völlig unglaubwürdig, wenn hier ein Repräsentant der Zigarettenindustrie so tut, als wenn irgendetwas geplant wäre, aus dem Verkauf sich zu verabschieden."
Und nur noch auf Tabakerhitzer zu setzen.
Kinderarbeit in jeder Zigarette
"Aber der Industrie glaube ich überhaupt gar nichts", ergänzt Laura Graen von Unfairtobacco. Die Nichtregierungsorganisation kommt aus der Entwicklungsarbeit. Das Produkt Tabak sei bereits schmutzig, bevor man es überhaupt angezündet habe:
"Fangen wir mal mit dem Thema Kinderarbeit an. Ich würde sagen, es gibt eigentlich keine Zigarette, in der nicht ein Stück Kinderarbeit zu finden ist. Tabak wird zu 90 Prozent in den Ländern des Südens angebaut, zum Beispiel Brasilien, Malawi, Simbabwe, Indonesien. Unter Ausbeutung von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, zum Teil sklavenartigen Bedingungen, mit gleichzeitig auch massiver Beeinträchtigung von Umwelt, zum Beispiel durch Abholzung."
Dass Kleinbauern ihre Kinder in die Tabakfelder schicken müssten, liege vor allem daran, dass sie von den Konzernen nicht angemessen bezahlt würden, sagt Laura Graen.
Rund eine Milliarde Menschen weltweit rauchen, darunter viele in den Anbauländern. Mehr als 80 Prozent der Süchtigen leben in Staaten mit mittleren und niedrigen Einkommen. Und das sind genau die Länder, in denen die großen Konzerne auch weiterhin neue Märkte für konventionelle Zigaretten erschließen.
Weitere Produkte in der Testphase
Iris Brand, Kommunikationschefin von Philip Morris, begründet das damit, dass man sich in einer Übergangsphase befinde und keine Marktanteile an die Konkurrenz verlieren wolle. Ein risikoreduziertes Produkt, wie etwa der Tabakerhitzer Iqos, kostet hundert Euro. Für einen Simbabwer oder eine Indonesierin ist dieser Preis kaum erschwinglich. Iris Brand:
"Was Iqos angeht, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen, ob dieses Produkt für jeden regionalen Markt das richtige Produkt ist und von Rauchern als Alternative zum Weiterrauchen akzeptiert würde. Daher entwickeln wir in unserer Pipeline übrigens auch Tabakerhitzer ohne Elektronik und innovative Formate von E-Zigaretten. Diese Produkte sind aktuell noch der Testphase."
Dennoch gilt: Beim Kampf gegen das Rauchen hat Philip Morris ärmere Länder bisher nicht unterstützt. Ganz im Gegenteil: Im Jahr 2013 hatte der Konzern Togo mit einer Klage vor einem internationalen Schiedsgericht gedroht. Togo wollte neutrale Zigarettenschachteln einführen, auf denen die Markennamen kaum noch zu erkennen sind. Das arme Land zog den Plan zurück, aus Angst vor den Kosten des Verfahrens. Bei einer vergleichbaren Klage gegen Uruguay und Australien entschied das Gericht am Ende gegen Philip Morris.
35 Milliarden Dollar Gewinn pro Jahr
Bis jetzt machen die fünf größten Tabakkonzerne der Welt, dazu gehören unter anderem auch British American Tobacco und Japan Tobacco International, zusammen immer noch einen Gewinn von rund 35 Milliarden Dollar pro Jahr. Die angekündigte Wende zu einer rauchfreien Zukunft überzeugt Laura Graen von Unfairtobacco deshalb nicht:
"Das liegt auch daran, dass nur, weil man ein Produkt verändert, man nicht ein besserer Konzern wird. Man muss seine Strategien ändern. Das sieht man von Philip Morris zum Beispiel überhaupt gar nicht."
Laura Graen bezieht sich auf geleakte Dokumente von Philip Morris, die der Nachrichtenagentur Reuters zugespielt worden waren.
"Da drin stehen eben auch die Strategien für die nächsten zehn Jahre. Zum Beispiel Normalisierung, Lobbyarbeit."
Lobbyarbeit gegen Tabakabkommen
Normalisierung bedeutet: Der Konzern will sein Image aufbessern und damit zurück an die internationalen Verhandlungstische. Zum Beispiel, um strengere Regulierungen für risikoreduzierte Rauch-Produkte zu verhindern. Aus der geheimen Unternehmensstrategie von Philip Morris geht hervor, dass der Konzern gegen das globale Tabakrahmenabkommen vorgehen und dessen Ziele untergraben will. Dieses Abkommen wurde von 168 Ländern, darunter Deutschland, unterzeichnet. Darin ist zum Beispiel das Rauchverbot in öffentlichen Räumen geregelt sowie Warnhinweise auf Zigarettenpackungen. Laura Graen:
"Wir wissen, dass in den letzten internationalen Verhandlungen zu diesem Tabakkontrollabkommen – jedes Mal schickt Philip Morris große Delegationen und versucht von außen, diese Verhandlungen zu beeinflussen. Das sind alles Strategien, solange die das anwenden, nehme ich denen gar nichts ab."
Im Umfeld solcher internationaler Treffen besuchen Heerscharen von Tabak-Lobbyisten Politiker, um die Gesetzgebung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Gleiches passiert auch im politischen Alltag in Deutschland. Die Bundesrepublik ist das einzige EU-Land, in dem immer noch kein Außenwerbeverbot für Zigaretten gilt.
Werbeverbot aus Koalitionsvertrag gestrichen
"Bei mir wird wahrscheinlich kaum ein Lobbyist vorstellig werden. Also ich gelte ganz allgemein als Lobbyschreck, kann man sagen", betont SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach:
"Aber bei anderen Kollegen wird das sicher etwas anders aussehen. Wir beobachten ja, dass zum Beispiel das jetzt vom ehemaligen Gesundheitsminister Gröhe und von mir in den Koalitionsvertrag eingebrachte Werbeverbot für Tabakprodukte, womit wir Kinder und Jugendliche schützen wollten, dass das in den Koalitionsverhandlungen auf den letzten Metern von der CDU gekippt worden ist. Daher muss es der Tabakindustrie offenbar gelingen, also lobbyistisch noch erfolgreich zu sein."
Auch bei den Steuern macht die Industrie bisher ein gutes Geschäft: Die Tabaksticks für das Iqos-Gerät werden als Pfeifentabak versteuert. Statt 3,26 Euro wie bei einer Zigarettenschachtel fließen bei den etwa gleichteuren Heets nur 88 Cent in die Staatskasse. Rund 500 Millionen gingen dem Fiskus so verloren, hat die Welt am Sonntag vorgerechnet. Karl Lauterbach sieht aber hier vorerst keinen Handlungsbedarf:
Gesundheitssystem könnte Kosten sparen
"Wenn wir 500 Millionen Euro verlieren an Steuereinnahmen, indem wir die Gesundheit der Kränkesten und der Ärmsten in der Bevölkerung deutlich verbessern, dann ist das gut eingesetztes Geld. Da geben wir im Gesundheitssystem mehr aus für viel geringere Zwecke."
Denn vor allem bei Menschen mit niedrigen Einkommen ist das Rauchen besonders verbreitet. Wenn die auf risikoärmere Rauchprodukte umstiegen, könne das dem Staat bares Geld sparen, so Lauterbach.
Die "rauchfreie Zukunft" ist für Philip Morris das Mittel der Wahl, um die eigenen Gewinne langfristig zu sichern. Und auch wenn Nichtregierungsorganisationen den Konzern für seine Praktiken und Produkte weiterhin kritisieren: Die Raucher, die auf Tabakerhitzer oder E-Zigaretten umsteigen, profitieren davon – zumindest gesundheitlich.