Technologiekonzerne wie Google, Facebook, Amazon und Apple haben eine große Marktmacht. Das beobachtet auch Jürgen Kühling, Vorsitzender der Monopolkommission. "Wir beobachten leider, dass Monopole auf digitalen Märkten wiederkommen." Man spreche hier auch von Winner-takes-it-all-Märkten. Am Ende setze sich ein Konzern durch. Auf dem Suchmaschinenmarkt sei das Google, im Onlinehandel Amazon, bei den sozialen Medien Facebook. "Das ist eine Entwicklung, die den digitalen Märkten leider immanent ist."
Doch ist eine Zerschlagung nötig? Man beobachte, dass in den USA dieser Weg eingeschlagen werde, so Kühling. Die Kartellaufsicht und 48 Bundesstaaten haben dort ein Zerschlagungsverfahren eingeleitet. "Ich halte das für die Ultima Ratio", die Zerschlagung sei der letzte Weg, so der Vorsitzende der Monopolkommission.
Die Anbieter hätten fantastische Produkte, deswegen setzten sie sich durch. "Wir müssen aufpassen, dass wir ein Kartellrecht - eine Kontrolle - haben, die dafür sorgt, dass Missbräuche verhindert werden. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht überziehen". In Deutschland sei man mit der jüngsten Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen den moderateren und besseren Weg gegangen. "Wir wollen auch weiter Zalandos dieser Welt haben, die eine Chance haben gegen Amazon." Es dürfe eben nicht geschehen, dass solche Unternehmen behindert würden. Man sei in Deutschland und Europa auf einem guten Weg.
Das Interview in ganzer Länge
Jürgen Zurheide: Herr Kühling, wenn ich gerade gesagt habe Marktmacht, wie viel Marktmacht haben denn die großen vier, über die man in aller Regel redet?
Jürgen Kühling: Ja, wir beobachten tatsächlich das Phänomen auf digitalen Märkten, dass ein sogenanntes neudeutsch formuliertes Tipping erfolgt, das heißt Märkte, auf denen nur noch ein Unternehmen eine ganz dominante Stellung einnimmt. Für uns als Monopolkommission gewissermaßen beobachten wir leider, dass Monopole auf den digitalen Märkten wiederkommen. Man spricht auch davon, dass das "The winner takes it all"-Märkte sind, also es gibt am Ende nur einen. Auf dem Suchmaschinenmarkt ist das dann Google, auf dem Onlinehandel-Plattformmarkt beobachten wir, dass Amazon ganz einfach auch aufgrund hervorragender Angebote sich zu einem marktdominanten Unternehmen entwickelt, und im Social-Media-Bereich eben dann Facebook. Das ist eine Entwicklung, die den digitalen Märkten leider immanent ist.
Es benötigt ein "schlagkräftiges Kartellamt"
Zurheide: Die Frage ist ja, dass das möglicherweise auch irgendwann negative Konsequenzen hat, wissen wir aus der Geschichte, jetzt gibt es zwei Themenfelder, die ich nacheinander abhandeln möchte: Erstens, kann man diese Marktmacht begrenzen, die zweite Frage wird sein, welche Auswirkungen hat das zum Beispiel auf die mediale Situation. Fangen wir mit der ersten Situation an: Ich erinnere dann mal an den US-amerikanischen Präsident Roosevelt in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, der hat damals Ölfirmen zerschlagen, und wenn ich das jetzt als Analogie nehme, frage ich Sie, brauchen wir heute so was wie einen neuen Roosevelt oder ist das eine falsche Analogie?
Kühling: Ja, wir beobachten ja tatsächlich, dass in den USA dieser Weg eingeschlagen wird. In den USA hat die zuständige Kartellaufsicht, die Federal Trade Commission, und auch 48 Bundesstaaten haben ein solches Zerschlagungsverfahren eingeleitet. Das ist nur ein sehr langwieriges Verfahren, das wird jetzt die Gerichte in den USA beschäftigen. Möglicherweise wird es dann irgendwelche Deals geben und die betroffenen Unternehmen, und es geht ja vor allem um Facebook, wird dann möglicherweise mit Zugeständnissen reagieren, um diese Verfahren zu beenden, das ist aber alles vollkommen offen. Ich halte das für die Ultima Ratio, das ist wirklich das letzte Mittel, das ich jetzt anfange, Unternehmen zu zerschlagen, denn man muss natürlich eins sehen vielleicht mal als Ausgangspunkt bei allen kritischen Entwicklungen: Zunächst mal haben diese Diensteanbieter natürlich einfach fantastische Produkte, und deshalb setzen sie sich durch. Wir müssen auf jeden Fall aufpassen, dass wir ein Kartellrecht, eine Kontrolle haben, die tatsächlich dafür sorgt, dass Missbräuche verhindert werden, dass wir ein schlagkräftiges Kartellamt haben, aber wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht überziehen. Ich glaube, dass wir da jetzt in Deutschland mit der jüngsten Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen einen etwas moderateren und ich glaube auch besseren Weg gehen.
Verfahren gegen Amazon und Facebook
Zurheide: Nur die entscheidende Frage ist ja, Herr Kühling, wenn ich dazwischengehen darf, wo ist sozusagen diese Marktmacht, wo führt die eben zu dieser ja missbräuchlichen Nutzung der Marktmacht, die am Ende nur noch dem einen Unternehmen dient und damit den Wettbewerb behindert, oder wenn man in diesen Fällen wahrscheinlich fragen muss, welche Algorithmen haben die da, welche benutzen die, wer wird begünstigt, wer wird nicht begünstigt. Sind diese Plattformen neutral?
Kühling: Genau, machen wir es mal an zwei Beispielen fest. Nehmen wir mal Facebook, das Verfahren des Bundeskartellamts, was ja schon durchgeführt worden ist und jetzt beim Bundesgerichtshof anhängig ist beziehungsweise beim Oberlandesgericht: Da ging es darum, dass Facebook ganz einfach in seine Nutzungsbedingungen reinschreibt, dass es Daten verwenden darf und zusammenführen darf bei einem Facebook-Account, die es außerhalb der eigentlichen Facebook-Dienste zusammensammelt und in der weiten Welt des Internets einsammelt, auch über die Werbeallianzen, ob diese Datensätze dann beim Nutzer zusammengeführt werden dürfen, um mehr über den Nutzer zu erfahren und ihn damit gewissermaßen etwas gläserner noch zu machen und damit noch attraktiver für die Werbewirtschaft. Da hat das Kartellamt gesagt, dass das nicht so einfach geht, dass Facebook das nicht darf, und diese Macht, die es hat, einerseits eben als Anbieter von Diensten gegenüber den Facebook-Nutzern direkt, aber andererseits auch als Unternehmen, was über ganz viele Werbemechanismen auch ganz andere Daten sammeln kann, sondern dass Facebook anbieten muss, dass diese Zusammenführung auch nicht erfolgt.
Das wäre so ein ganz konkretes Instrument, was jetzt auch nach der neuen Novellierung des Kartellrechts für das Kartellamt einfacher wird, das zu untersagen. Da haben wir einen Paragrafen, mit dem es schneller agieren kann und das unterbinden kann. Und ein weiteres, vielleicht noch schlagenderes Beispiel, über das wir gerade bei der Europäischen Kommission streiten, das ist ein Verfahren, das gegen Amazon geführt wird, und da steht die Behauptung im Raume, dass Amazon eben Daten verwendet von unabhängigen Anbietern, von Händlern, um sich dann mit seinen eigenen Produkten Vorteile zu verschaffen, also diese Doppelrolle, die Amazon hat, einerseits Marktplattformbetreiber, andererseits Anbieter von eigenen Produkten, dass es diese Doppelrolle nicht missbraucht. Wie das Verfahren jetzt im Weiteren sich entwickeln wird, werden wir sehen, aber das ist ein Verfahren, wo wir eben im konkreten Fall sehen müssen, dass Amazon seine Marktmacht nicht ausnutzt, um anderen Anbietern den Marktzugang zu verengen und deren Marktzutritt zu verhindern. Ein konkretes Beispiel: Wir wollen auch weiterhin Zalandos dieser Welt haben, die eine Chance haben gegen Amazon, und die sind ja zurzeit hervorragend positioniert. Sie sind im Handel, im Onlinehandel für Bekleidung eben hervorragend aufgestellt. Und das müssen wir verhindern, dass solche Unternehmen behindert werden, und dafür brauchen wir ein schlagkräftiges Kartellrecht.
Zurheide: Vielleicht ist es leichter – ich weiß es nicht, ob es leichter ist – bei dem zweiten Thema, was ich gerne mit Ihnen ansprechen würde: Diese digitalen Plattformen, die geben vielen Menschen die Chance, teilzuhaben an der öffentlichen Debatte, und Professor Korte, der Politikwissenschaftler, hat kürzlich hier in der Sendung ja von den sogenannten deregulierten Meinungsmärkten gesprochen. Wohin das politisch führt, das haben wir mehr als einmal diskutiert. Die Frage ist ja, welche Regeln kann es geben. Wir haben gesehen, in den Vereinigten Staaten haben dann Milliardäre am Ende entschieden, ob der Präsident noch weiter twittern und sonst was darf. Also da sind wir uns wahrscheinlich schnell einig, dass es nicht die Rolle von einzelnen Milliardären sein kann, so was zu entscheiden, oder?
Kühling: Ganz genau, und ich glaube, auch hier sind wir in Deutschland auf einem wirklich guten Weg. Wir haben ja erste Gesetze gemacht, die das gewährleisten, was ich – und das ist auch das, was Herr Korte, glaube ich, andeutet – für richtig halte. In einem demokratischen Rechtsstaat muss das am Ende auf der Basis von Gesetzen und durch Gerichte entschieden werden. Auch dieser Begriff der deregulierten Märkte ist völlig treffend, das ist unser Ausgangspunkt gewesen, und das wird der gegenwärtigen Situation nicht mehr gerecht. Ich glaube, spätestens seit dem Sturm auf das Kapitol und dann das Abschalten von Facebook und Twitter für Trump, mit denen er quasi hochgefahren ist und dann haben sie ihn fallen lassen, das kann nicht unser Weg sein in Deutschland und Europa. Und ja, wir haben ja gute Maßnahmen ergriffen in Deutschland, aus meiner Sicht vor allem das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das hilft uns, Hate Speech, also Hassrede im Netz zu reduzieren, und das muss jetzt weiter ausgebaut werden.
Luft nach oben beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Zurheide: Die Frage ist, die dahintersteht, sind das am Ende Medienunternehmen? Wenn ich hier auf dem Sender Menschen beleidige, dann können die zu einer Gerichtsbarkeit gehen, und dann gibt es das Instrument der Gegendarstellung und so weiter und so weiter, und wir haben hier auch eine innere Ordnung, dass so was hoffentlich nicht passiert. Muss das nicht auch da gelten, und wo stößt sich das denn mit der Pluralität der Meinungen oder wo gibt es da eine Grenze, auf der einen Seite Meinungspluralität herzustellen und dann eben nicht in die Zensur zu verfallen, wir wollen das nicht machen wie Russland und China.
Kühling: Genau, und ich glaube, der goldene Mittelweg ist, dass wir daran jetzt anknüpfen, also strafbare Inhalte müssen die Diensteanbieter schon löschen, darauf kann man sich schnell einigen, und da haben wir gute Mechanismen installiert. Im nächsten Schritt muss es jetzt um die Frage gehen …
Zurheide: Darf ich, Entschuldigung, da eben zwischengehen, Herr Kühling: Wird das auch genügend durchgesetzt?
Kühling: Ja, ich glaube, da haben wir noch Luft nach oben, weil der Witz ist in gewisser Weise zum Beispiel, Facebook löscht im Wesentlichen nicht nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz strafbare Inhalte, sondern Facebook hat seine eigenen Nutzungsbedingungen und löscht viel mehr auf der Basis von diesen Nutzungsbedingungen. Und da müssen wir jetzt in einem nächsten Schritt ran. Wir müssen da meines Erachtens einen Rahmen schaffen, wie diese Nutzungsbedingungen ausgestaltet werden dürfen, da müssen die Unternehmen gewisse Freiheiten haben, aber eben nicht im rechtsfreien Raum agieren. Und wir müssen vor allem auch Grundvorgaben machen, was passiert denn, wenn Politiker gegen diese Nutzungsbedingungen verstoßen, unter welchen Voraussetzungen dürfen die sanktioniert werden. Da brauchen wir einen Rechtsrahmen, der das ein bisschen steuert, Leitplanken einzieht, ohne jetzt den Unternehmen alles im Einzelnen vorzuschreiben, weil sonst ist die Alternative, die wir gegenwärtig haben, das wird vor den Gerichten ausgestritten. Wir haben gerade beim OLG Nürnberg ein Verfahren anhängig gehabt, wo wirklich üble fremdenfeindliche Äußerungen von Facebook gelöscht worden sind – wie ich finde zu Recht –, und man streitet sich jetzt darüber, der Kläger will jetzt durchsetzen, dass er das wieder online stellen darf mit dem Argument eben Meinungsfreiheit und so weiter, es könne doch nicht sein, dass in den Nutzungsbedingungen ihm das untersagt wird. Und dafür, damit wir das nicht den Gerichten überlassen und dann am Ende dem Bundesverfassungsgericht, in das ich zwar großes Vertrauen hab, sollten wir ein paar parallele rechtliche Rahmenbedingungen einziehen. Da sind wir in Deutschland, glaube ich, gut aufgestellt und auf einem guten Weg, die Diskussion geht in diese Richtung.
Zurheide: Zum Schluss ganz kurz: Das Ganze reicht aber eben nicht in Deutschland, das muss ja mindestens europäisch sein, oder?
Kühling: Genau, wir haben parallel auf europäischer Ebene den sogenannten Digital Services Act, also genau den Akt, der das jetzt auch verschärfen soll, auch da haben wir gute Ansätze drin. Da haben wir zum Beispiel, was ich auch sehr wichtig finde, Verpflichtung zum Risikomanagement, die müssen Auditierungen einziehen, also gerade die guten großen Anbieter, denen werden weitere Pflichten auferlegt. Das ist aber jetzt erst ganz am Anfang, dieses Gesetzgebungsvorhaben, das ist im Dezember gestartet. Das wird sich jetzt ein, zwei Jahre hinziehen, aber ich glaube, Deutschland kann sich hier gut einbringen mit seinen Erfahrungen und seinen Ideen aus dem Bereich der Medienregulierung.
Zurheide: Haben Sie die Hoffnung, dass das dann rüberschwappt über den Atlantik, denn in Amerika gibt es ja auch entsprechende Diskussionen?
Kühling: Als Amerika-affiner Mensch muss ich leider sagen, dass ich da skeptisch bin, weil das amerikanische Gesetzgebungssystem ist sehr, sehr verkantet. Jetzt haben wir ja zwei Jahre vielleicht die Gelegenheit, solange die neuen Wahlen nicht wieder die Mehrheitsverhältnisse ändern, dass vielleicht die Demokraten dort mal was vorantreiben können, aber meine Beobachtung des US-amerikanischen Regulierungsansatzes ist, dass das Gesetzgebungsverfahren sehr, sehr schwerfällig ist. Dort gibt es sehr weite Privilegierungen für die Intermediäre, und ich glaube, da wird sich so schnell nichts ändern, weil die nicht so schlank und flexibel sind wie wir in der deutschen Regulierung.
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