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Marktwirtschaft auf kubanisch

An diesem Sonntag jährt sich zum fünften Mal die Übertragung der Führung in Kuba vom erkrankten Revolutionsführer Fidel Castro auf seinen Bruder Raúl. Was als Übergangslösung gedacht war, wurde zur ständigen Aufgabe. Und Raúl setzte - wenn auch vorsichtig - neue Akzente.

Von Martin Polansky | 30.07.2011
    Ein Gang durch die Straßen von Havanna genügt, um den sozialistischen Wandel zu sehen. An jeder Ecke werden jetzt kleine Geschäfte gemacht. Hier ein neuer Friseur, dort ein Pizza-Verkäufer, eine Frau legt Karten. Und jede Menge Souvenirhändler, die den vielen Touristen in der Stadt etwas verkaufen wollen. Reynaldo hat an seinem Stand Bilder und kleine Holzschnitzereien. Miniaturmarktwirtschaft im Sozialismus:

    "Es entwickelt sich etwas. Alle Länder, auch China, haben ein Wirtschaftsystem, in dem sie ihre Produkte auf dem Markt anbieten. Und China ist ein sozialistisches Land."

    320.000 Kubaner haben bereits eine Lizenz für die Arbeit auf eigene Rechnung. Manche Rentner verdienen sich so etwas dazu, andere Jüngere haben ihren Job verloren und müssen nun sehen, wie sie zu Geld kommen. Eine Million Staatsbedienstete sollen absehbar entlassen werden.

    "Aktualisierung des Sozialismus" nennt das Präsident Raúl Castro. Vor fünf Jahren hat er die meisten Führungsämter im Land von seinem Bruder Fidel übertragen bekommen. Und vor gut einem Jahr leitete er spürbare Reformen der Wirtschaft ein - mehr Effizienz ist nun gefordert:

    "Es kann niemanden entgehen, dass diese Maßnahmen ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsdisziplin sind. Wir müssen ein für alle Mal diese Vorstellung aufgeben, dass Kuba das einzige Land ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten."

    Raus aus Havanna - Fahrt in die Provinz. Grün und fruchtbar ist die Insel. Aber die Landwirtschaft macht der Staatsführung um Raúl Castro mit die meisten Sorgen. In den letzten Jahren wurde immer weniger angebaut. Die meisten Lebensmittel müssen daher teuer importiert werden. Ein Grund für Kubas Staatsschulden, die zeitweise kaum noch bedient werden konnten.

    Auch hier auf dem Land soll mit mehr Markt der Sozialismus bewahrt werden. Bauern dürfen jetzt ein paar Hektar pachten und die eigenen Bananen, Zwiebeln oder Avocados frei verkaufen. So wie Luis mit seinem Stand am Straßenrand:

    "Es gibt jetzt viel mehr Produkte - ganz verschiedene. Früher haben einige Leute nur für sich angebaut, aber die Dinge landeten nicht auf den Märkten. Jetzt kommen sie da an."

    Aber richtig in Schwung kommt die neue kleine Marktwirtschaft noch nicht, meint ein anderer Bauer. Es fehle einfach an zu vielen Dingen:

    "Wir haben zu wenige Hilfsmittel. Etwa Treibstoff für die Fahrzeuge. Wenn es mehr gäbe, könnte damit auch viel mehr angebaut werden."

    Und viele klagen über die Steuern und Lizenzgebühren. Denn der Staat will etwas abhaben von den Einnahmen der neuen Selbstständigen. Für einige kein gutes Geschäft. Denn manches wurde schon vorher schwarz angebaut oder verkauft. Das war zwar illegal. Aber es hat sich mitunter mehr gelohnt.

    Staatsfeiern in Ciego de Avila - einer Provinzstadt 400 Kilometer östlich von Havanna. Pünktlich zum 26sten Juli haben sich hier tausende versammelt. Der Tag gilt traditionell als Beginn der Revolution in Kuba. Überlebensgroße Bilder von Fidel und Raúl. Ein Spruchband beschwört den Sieg der Ideen. Manche hier schwenken kleine Fahnen und bekunden ihr Vertrauen in die Partei- und Staatsführung:

    "Alles ist sehr gut. Wir sind stolz an diesem Jahrestag. Ich bin sehr zufrieden."

    "Es ist ein Versprechen. Wir schreiten weiter voran. Bis zum Sieg."

    In der ersten Reihe sitzt die Partei- und Staatsführung. Präsident Raúl Castro, gerade 80 geworden, die Rede hält sein Stellvertreter Jose Ramon Machado Ventura, ebenfalls 80. Und überall das Konterfei von Fidel, der zu schwach ist, um noch an Staatsakten teilzunehmen. Nach wie vor ist er der lebende Mythos der Revolution. Im August wird er 85. Auch fünf Jahre nach seinem Rückzug aus der ersten Reihe haben die Kommunisten keinen erkennbaren Generationswechsel vollzogen. Aber keine Kritik daran auf der Revolutionsfeier. Der 19-jährige Student Aidel sagt es so:

    "Es gibt ein Sprichwort: Erfahrung ist der beste Lehrmeister. Und aufgrund ihrer Erfahrung macht unsere Regierung eine gute Arbeit. Ich glaube, ihr Alter bedeutet nicht, dass sie das Land schlecht regieren."

    Politisch bewegt sich nicht viel in Kuba. Immerhin: Raúl Castro hat die meisten Dissidenten aus den Gefängnissen entlassen - und ins Exil geschickt. Letztendlich eine Schwächung der schon vorher kaum vorhandenen Opposition. Menschenrechtsgruppen beklagen weiter fehlende Freiheiten, wer politisch auffalle, werde drangsaliert wie eh und je.

    In den Straßen von Havanna genießen die Touristen die Sonne, die Musik und die einmalige Atmosphäre - Urlaub zwischen Traumstrand und sozialistischer Zeitreise. Die wichtigsten Kunden für Straßenverkäufer Reynaldo. Im Jahr 53 der Revolution bemüht er sich jetzt vor allem ums Geschäft. Und er ist froh, dass die Möglichkeiten dafür jetzt besser sind. Wie es weitergeht mit Kuba, weiß er nicht, sagt Reynaldo. Hauptsache, das Land gehe seinen eigenen Weg:

    "Wenn wir Kubaner zusammenstehen, schaffen wir es. Vielleicht ist in Kuba nicht alles perfekt, aber die Absicht war gut. Und das zählt, hat einen kubanischen, menschlichen Wert. Unsere Wirtschaft muss vorankommen, aber wir müssen auch zu schätzen wissen, was wir erreicht haben."