In den deutsch-israelischen Beziehungen kann trotz zahlreicher Kontakte in allen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen immer noch nicht von einer Normalisierung gesprochen werden; es sind Beziehungen sui generis. Dies kann auch nach der Katastrophe, die im Zweiten Weltkrieg in deutschem Namen über das europäische Judentum gebracht wurde, nicht anders sein. Folglich konnte eine Annäherung zwischen Israel und Deutschland nur zögerlich erfolgen.
Es dauerte bis 1965, bis beide Länder Botschafter austauschten. Seither haben sich diese Beziehungen schrittweise verbessert; augenblicklich befinden sie sich in einem ausgezeichneten und harmonischen Zustand. Ein Blick auf die ersten Annäherungsversuche zeigt jedoch, welche Schwierigkeiten es zu überwinden galt.
Endlich liegt eine erste Gesamtdarstellung der deutsch-israelischen Beziehungen in Form der Dissertation von Markus A. Weingardt vor. Er hat die Geschichte dieser besonderen Beziehungen minutiös und sehr detailliert nachgezeichnet. In zehn Kapiteln beschreibt er eine Gratwanderung, die von zahlreichen Turbulenzen erschüttert wurde. Zu diesen kam es, weil immer wieder mit der Vergangenheit unsensibel umgegangen wurde. Den roten Faden, der sich durch dieses Buch zieht, bilden die verschiedenen deutschen Regierungen, deren gemeinsames Charakteristikum die besondere Verantwortung und der Einsatz für die Existenz des Staates Israel ist.
Die ersten schwierigen Schritte in Richtung Aussöhnung wurden von Konrad Adenauer getan. Ein Glücksfall für die noch junge Bundesrepublik, dass auf israelischer Seite ein Politiker vom Format eines David Ben-Gurion Ministerpräsident war. Obwohl Adenauer die deutsche Schuld bewusst war, benötigte die Bundesregierung über zwei Jahre, bis sie sich zu einem "offiziellen Bekenntnis von Schuld und Verantwortung" durchringen konnte. Dies geschah jedoch nicht aus freien Stücken, sondern auf "Ermutigung" der drei Hohen Alliierten Kommissare. In der Erklärung war von konkreter Schuld nirgends die Rede. Israel wurde nur "als Hafen heimatlos gewordener Juden" bezeichnet; dennoch akzeptierte Israel dieses Dokument als das geforderte Zeichen des Versöhnungswillens. Hätte es auf israelischer Seite nicht einen weitsichtigen Politiker wie Ben-Gurion gegeben, wäre eine Annäherung wesentlich komplizierter verlaufen. Die Adenauer-Regierung stand sich mit der Anwendung der "Hallstein-Doktrin", dem deutschen Alleinvertretungsanspruch in den bilateralen Beziehungen, in ihrer Nahostpolitik oft selbst im Wege. "Der große Verlierer der Hallstein-Doktrin war Israel." Das Land wurde zum "Bittsteller", und die Bundesregierung "diktierte die Bedingungen", so der Autor. Adenauer und später sein Nachfolger Ludwig Erhard benutzen die deutsche Nahostpolitik, um Wirtschaftsbeziehungen und Reputation Deutschlands zu fördern. Realpolitische Überlegungen kamen vor moralischen Erwägungen.
Mit der sozialliberalen Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt gab es ein Stück "Normalisierung" in den bilateralen Beziehungen. Außenminister Walter Scheel sorgte mit seiner Behauptung, dass die Beziehungen zu Israel so normal wie zu jedem anderen Land seien, für erhebliche Irritationen in Israel. Bundeskanzler Brandt konnte diese Verstimmungen dadurch beenden, dass er von "normalen Beziehungen mit besonderem Charakter" sprach. Zu erneuten Störungen kam es durch die Ölkrise 1973 und die Tatsache, dass die deutsche Nahostpolitik zusehends im europäischen Kontext betrieben wurde. Brandt genoss aufgrund seiner Vita in Israel höchstes Ansehen. Mit seinem Rücktritt ging auch in der "Israelpolitik eine Ära zu Ende", so der Autor.
Zu erheblichen Störungen zwischen Israel und Deutschland kam es in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Der Kanzler war der erste, der sich für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser einsetzte. Dafür wurde er von Israels Ministerpräsident Menachem Begin heftigst kritisiert. Bei beiden Politikern stimmte die politische Chemie überhaupt nicht. Weingardt erinnert daran, dass es in der Regierungszeit von Schmidt und Hans-Dietrich Genscher andere geschichtsträchtige Ereignisse wie das Camp David-Abkommen, die Annexion Ost-Jerusalems und der Golan-Höhen sowie den Libanonkrieg gegeben hat – geendet mit dem Massaker von Sabra und Shatila und dem Rücktritt von Verteidigungsminister Sharon und später auch von Ministerpräsident Begin. Selbst diese schwierige Phase überstanden die bilateralen Beziehungen unbeschadet. Der Autor hebt besonders hervor, dass diese Ereignisse die Hemmschwelle der Israelkritik erheblich herabgesenkt hätten.
Mit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl trat Deutschland in eine Phase "neuer Normalität" ein. Kohl benahm sich zu Beginn seiner Amtszeit etwas linkisch, sprach in Israel von "der Gnade der späten Geburt". Nicht ganz zu Unrecht befürchtete die politische Klasse Israels eine Neuausrichtung deutscher Politik. Die von Kohl zur Schau getragene "demonstrative Normalität" wurde von ihm in seiner politischen Wirkung "unterschätzt". Kohl korrigierte sie umgehend durch ein Übermaß an Israelloyalität. Wie Weingardt aber darlegt, hatte Israel in Kanzler Kohl den besten Verbündeten in Europa. Er war es, der Israel zu seiner privilegierten Position in der EU verhalf. Kohl unterstützte auch kritiklos die US-amerikanische Nahostpolitik und sprach niemals vom Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser.
. In der Regierungszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder sei Deutschland eine "erwachsene Republik" geworden. Seine Nahostpolitik stand ganz im Zeichen von Kontinuität. Die rot-grüne Bundesregierung unterstützte den Friedensprozess vorbehaltlos. Außenminister Joschka Fischer agierte als Vermittler sowohl bilateral als auch im Rahmen der EU und der UNO, nicht ganz ohne Erfolg. Einen eigenständigen Vermittlungsbeitrag wollte man bewusst nicht leisten. Fischer unterstützte die Politik aus historischer Einsicht vorbehaltlos, "was" – so der Autor - "für einen Politiker der Grünen nicht selbstverständlich war". Weiter heißt es:
"In den deutsch-israelischen Beziehungen hat sich ein so enges Geflecht entwickelt, dass ihr Bestand und ihre Qualität weitgehend unabhängig ist von gegenseitigem Verständnis der jeweiligen Regierungspolitiker. Zu wichtig sind die Staaten und Regierungen füreinander, zu viel hat sich entwickelt, zu viel verbindet sie."
Zählen die Kapitel der Politik der einzelnen Bundesregierungen zu den Stärken dieses Buches, ist die Darstellung des Friedensprozesses im Nahen Osten unzureichend. Zu affirmativ und völlig unkritisch wird das wiedergegeben, was von offizieller Seite verlautbart wird. Eine kontroverse Diskussion findet nicht statt. Auch der Diskurs über eine mögliche Kritik einiger Aspekte israelischer Politik, insbesondere gegenüber den Palästinensern, bleibt auf Persönlichkeiten beschränkt, welche die bekannten Standardargumente immer wieder vortragen. Die Frage, ob diese nicht zu Ritualen erstarrt sind, stellt sich für den Autor gar nicht.
Leider hat der Autor keine kritische Stimme aus Israel zitiert, wo es zahlreiche Persönlichkeiten gibt, die wesentlich Erhellenderes und Weitreichenderes zum deutsch-israelischen Verhältnis geschrieben haben. Sie warnen immer wieder vor einseitiger, israelischer Instrumentalisierung des Holocausts, um dadurch jedwede Kritik an der Politik der israelischen Regierung abzuwürgen. Diese Behauptung hätte intensiver behandelt werden müssen. Der Mangel an kritischer Literatur und die Auseinandersetzung mit kontroversen Thesen ist denn auch das Hauptmanko dieses ansonsten sehr nützlichen Buches.
Markus A. Weingardt: Deutsche Israel- und Nahostpolitik. Die Geschichte einer Gradwanderung seit 1949 ist erschienen im Campus-Verlag, Frankfurt am Main. Es hat 504 Seiten und kostet 49 Euro 90.
Es dauerte bis 1965, bis beide Länder Botschafter austauschten. Seither haben sich diese Beziehungen schrittweise verbessert; augenblicklich befinden sie sich in einem ausgezeichneten und harmonischen Zustand. Ein Blick auf die ersten Annäherungsversuche zeigt jedoch, welche Schwierigkeiten es zu überwinden galt.
Endlich liegt eine erste Gesamtdarstellung der deutsch-israelischen Beziehungen in Form der Dissertation von Markus A. Weingardt vor. Er hat die Geschichte dieser besonderen Beziehungen minutiös und sehr detailliert nachgezeichnet. In zehn Kapiteln beschreibt er eine Gratwanderung, die von zahlreichen Turbulenzen erschüttert wurde. Zu diesen kam es, weil immer wieder mit der Vergangenheit unsensibel umgegangen wurde. Den roten Faden, der sich durch dieses Buch zieht, bilden die verschiedenen deutschen Regierungen, deren gemeinsames Charakteristikum die besondere Verantwortung und der Einsatz für die Existenz des Staates Israel ist.
Die ersten schwierigen Schritte in Richtung Aussöhnung wurden von Konrad Adenauer getan. Ein Glücksfall für die noch junge Bundesrepublik, dass auf israelischer Seite ein Politiker vom Format eines David Ben-Gurion Ministerpräsident war. Obwohl Adenauer die deutsche Schuld bewusst war, benötigte die Bundesregierung über zwei Jahre, bis sie sich zu einem "offiziellen Bekenntnis von Schuld und Verantwortung" durchringen konnte. Dies geschah jedoch nicht aus freien Stücken, sondern auf "Ermutigung" der drei Hohen Alliierten Kommissare. In der Erklärung war von konkreter Schuld nirgends die Rede. Israel wurde nur "als Hafen heimatlos gewordener Juden" bezeichnet; dennoch akzeptierte Israel dieses Dokument als das geforderte Zeichen des Versöhnungswillens. Hätte es auf israelischer Seite nicht einen weitsichtigen Politiker wie Ben-Gurion gegeben, wäre eine Annäherung wesentlich komplizierter verlaufen. Die Adenauer-Regierung stand sich mit der Anwendung der "Hallstein-Doktrin", dem deutschen Alleinvertretungsanspruch in den bilateralen Beziehungen, in ihrer Nahostpolitik oft selbst im Wege. "Der große Verlierer der Hallstein-Doktrin war Israel." Das Land wurde zum "Bittsteller", und die Bundesregierung "diktierte die Bedingungen", so der Autor. Adenauer und später sein Nachfolger Ludwig Erhard benutzen die deutsche Nahostpolitik, um Wirtschaftsbeziehungen und Reputation Deutschlands zu fördern. Realpolitische Überlegungen kamen vor moralischen Erwägungen.
Mit der sozialliberalen Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt gab es ein Stück "Normalisierung" in den bilateralen Beziehungen. Außenminister Walter Scheel sorgte mit seiner Behauptung, dass die Beziehungen zu Israel so normal wie zu jedem anderen Land seien, für erhebliche Irritationen in Israel. Bundeskanzler Brandt konnte diese Verstimmungen dadurch beenden, dass er von "normalen Beziehungen mit besonderem Charakter" sprach. Zu erneuten Störungen kam es durch die Ölkrise 1973 und die Tatsache, dass die deutsche Nahostpolitik zusehends im europäischen Kontext betrieben wurde. Brandt genoss aufgrund seiner Vita in Israel höchstes Ansehen. Mit seinem Rücktritt ging auch in der "Israelpolitik eine Ära zu Ende", so der Autor.
Zu erheblichen Störungen zwischen Israel und Deutschland kam es in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Der Kanzler war der erste, der sich für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser einsetzte. Dafür wurde er von Israels Ministerpräsident Menachem Begin heftigst kritisiert. Bei beiden Politikern stimmte die politische Chemie überhaupt nicht. Weingardt erinnert daran, dass es in der Regierungszeit von Schmidt und Hans-Dietrich Genscher andere geschichtsträchtige Ereignisse wie das Camp David-Abkommen, die Annexion Ost-Jerusalems und der Golan-Höhen sowie den Libanonkrieg gegeben hat – geendet mit dem Massaker von Sabra und Shatila und dem Rücktritt von Verteidigungsminister Sharon und später auch von Ministerpräsident Begin. Selbst diese schwierige Phase überstanden die bilateralen Beziehungen unbeschadet. Der Autor hebt besonders hervor, dass diese Ereignisse die Hemmschwelle der Israelkritik erheblich herabgesenkt hätten.
Mit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl trat Deutschland in eine Phase "neuer Normalität" ein. Kohl benahm sich zu Beginn seiner Amtszeit etwas linkisch, sprach in Israel von "der Gnade der späten Geburt". Nicht ganz zu Unrecht befürchtete die politische Klasse Israels eine Neuausrichtung deutscher Politik. Die von Kohl zur Schau getragene "demonstrative Normalität" wurde von ihm in seiner politischen Wirkung "unterschätzt". Kohl korrigierte sie umgehend durch ein Übermaß an Israelloyalität. Wie Weingardt aber darlegt, hatte Israel in Kanzler Kohl den besten Verbündeten in Europa. Er war es, der Israel zu seiner privilegierten Position in der EU verhalf. Kohl unterstützte auch kritiklos die US-amerikanische Nahostpolitik und sprach niemals vom Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser.
. In der Regierungszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder sei Deutschland eine "erwachsene Republik" geworden. Seine Nahostpolitik stand ganz im Zeichen von Kontinuität. Die rot-grüne Bundesregierung unterstützte den Friedensprozess vorbehaltlos. Außenminister Joschka Fischer agierte als Vermittler sowohl bilateral als auch im Rahmen der EU und der UNO, nicht ganz ohne Erfolg. Einen eigenständigen Vermittlungsbeitrag wollte man bewusst nicht leisten. Fischer unterstützte die Politik aus historischer Einsicht vorbehaltlos, "was" – so der Autor - "für einen Politiker der Grünen nicht selbstverständlich war". Weiter heißt es:
"In den deutsch-israelischen Beziehungen hat sich ein so enges Geflecht entwickelt, dass ihr Bestand und ihre Qualität weitgehend unabhängig ist von gegenseitigem Verständnis der jeweiligen Regierungspolitiker. Zu wichtig sind die Staaten und Regierungen füreinander, zu viel hat sich entwickelt, zu viel verbindet sie."
Zählen die Kapitel der Politik der einzelnen Bundesregierungen zu den Stärken dieses Buches, ist die Darstellung des Friedensprozesses im Nahen Osten unzureichend. Zu affirmativ und völlig unkritisch wird das wiedergegeben, was von offizieller Seite verlautbart wird. Eine kontroverse Diskussion findet nicht statt. Auch der Diskurs über eine mögliche Kritik einiger Aspekte israelischer Politik, insbesondere gegenüber den Palästinensern, bleibt auf Persönlichkeiten beschränkt, welche die bekannten Standardargumente immer wieder vortragen. Die Frage, ob diese nicht zu Ritualen erstarrt sind, stellt sich für den Autor gar nicht.
Leider hat der Autor keine kritische Stimme aus Israel zitiert, wo es zahlreiche Persönlichkeiten gibt, die wesentlich Erhellenderes und Weitreichenderes zum deutsch-israelischen Verhältnis geschrieben haben. Sie warnen immer wieder vor einseitiger, israelischer Instrumentalisierung des Holocausts, um dadurch jedwede Kritik an der Politik der israelischen Regierung abzuwürgen. Diese Behauptung hätte intensiver behandelt werden müssen. Der Mangel an kritischer Literatur und die Auseinandersetzung mit kontroversen Thesen ist denn auch das Hauptmanko dieses ansonsten sehr nützlichen Buches.
Markus A. Weingardt: Deutsche Israel- und Nahostpolitik. Die Geschichte einer Gradwanderung seit 1949 ist erschienen im Campus-Verlag, Frankfurt am Main. Es hat 504 Seiten und kostet 49 Euro 90.