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Marley - der Mensch hinter den Legenden

Gerade einmal 36 war der jamaikanische Sänger und Gitarrist Bob Marley, als er am 11. Mai 1981 an Krebs starb. Marleys Songs mit ihren politischen und religiösen Inhalten wie "Get Up, Stand Up" oder "One Love" bewegen weiterhin Menschen auf der ganzen Welt. Grund genug für den britischen Dokufilmer und Oscar-Preisträger Kevin Macdonald, dem legendären Musiker einen Film zu widmen.

Von Jörg Albrecht |
    Gerade einmal 36 war der jamaikanische Sänger und Gitarrist Bob Marley, als er am 11. Mai 1981 an Krebs starb. Während das Schaffen vieler anderer Musiker meist schon wenige Jahre nach ihrem Tod Patina ansetzt und einem allenfalls die Hits in Erinnerung bleiben, ist Bob Marley heute immer noch aktuell. Seine Songs mit ihren politischen und religiösen Inhalten wie "Get Up, Stand Up" oder "One Love" bewegen weiterhin Menschen auf der ganzen Welt. Grund genug für den britischen Dokufilmer und Oscar-Preisträger Kevin Macdonald, der Legende Bob Marley einen Film zu widmen.

    Womit beginnt eine Filmbiografie über eine berühmte Person, über eine Ikone der Musik? Welches ist das erste Bild?
    "This is the Cape Coast Castle ... where enslaved Africans were shipped to the Caribbean, to North America and other places in the world. ..."
    Regisseur Kevin Macdonald hat sich für Ghana entschieden, für das Cape Coast Castle - eine von zahlreichen europäischen Festungen an der westafrikanischen Küste, die als Handelsstützpunkte dienten. Von diesen Festungen aus wurden Millionen Afrikaner in die Karibik und nach Nordamerika verschleppt, wie der Fremdenführer berichtet.
    "Whoever went to the door had no chance of coming back."

    Wer Wesen und Wirken Bob Marleys verstehen will, muss weit vor der Geburt des Musikers ansetzen. Denn Marleys Lebensentwurf - so unterstreicht Kevin Macdonald von Anfang an - ist eng verknüpft gewesen mit seinen afrikanischen Vorfahren und ihrer kulturellen Identität. Anfang des 16. Jahrhunderts brachten die spanischen Kolonialherren die ersten Sklaven nach Jamaika. Geboren 1945 als Sohn einer Afro-Jamaikanerin und eines weißen britischen Offiziers, ist Marley ein Außenseiter.
    " Did he get teased for being mixed? - Yeah. - Worsed than teased. ... You can call it rejected. "
    Ob man ihn gehänselt habe, weil er ein Mischlingskind war, fragt Kevin Macdonald. Neville Livingston, Marleys ältester Freund und Mitglied seiner Band The Wailers antwortet, dass es noch viel schlimmer gewesen sei. Bob sei geradezu abgelehnt worden.
    "My father is a white and my mother is black. Them call me half-caste or whatever. Me don't deh pon nobody's side. Me don't deh pon the black man's side nor the white man's side. Me deh pon God's side, the one who create me and cause me to come from black and white."
    Er stehe weder auf der schwarzen noch auf der weißen Seite. So Marley in einem Interview. Er stehe auf Gottes Seite, auf der Seite des Schöpfers, der ihn erschaffen habe aus den Farben Schwarz und Weiß.

    Archivaufnahmen wie diese, in denen Marley selbst zu Wort kommt, sind eher die Ausnahme. Die zweieinhalbstündige Dokumentation ist geprägt von den Gesprächen, die Kevin Macdonald mit Marleys Angehörigen, Freunden und Musikerkollegen geführt hat. Das Destillat aus über 50 Interviews bildet den roten Faden einer chronologisch gegliederten Filmbiographie.

    Trotz der konventionellen Dramaturgie nimmt die Person Bob Marley im Verlauf des Films immer mehr Konturen an. Die Dokumentation erstellt kein endgültiges Persönlichkeitsprofil, an dem nicht mehr gerüttelt werden darf. Es ist vielmehr die Annäherung an eine oft verklärte Persönlichkeit. Klischees wie das vom Marihuana rauchenden Frauenheld werden relativiert.

    Ziel eines Films wie "Marley" sei es letztlich, sagt Macdonald, dass man die Musik noch einmal neu entdeckt und dass man versteht, woher diese Musik kam und was uns Marley mit ihr sagen wollte.

    Der Künstler als Philosoph und Prophet, als Überbringer einer Botschaft, die vor allem an diejenigen gerichtet ist, die sich unterdrückt, benachteiligt und ausgenutzt fühlen. Eine zeitlose Botschaft, die Marley in seinen Songs verpackt hat.

    Apropos die Musik: Auch die kommt selbstverständlich nicht zu kurz. Immer wieder vermitteln Schallplattenaufnahmen, Konzertmitschnitte und Fernsehauftritte einen Eindruck von Marleys Genialität - angefangen mit seiner ersten Aufnahme von 1962 bis zum letzten Konzert im September 1980 in Pittsburgh.
    Vor allem Musikproduzent Lee "Scratch" Perry hatte nachhaltigen Einfluss auf die musikalische Entwicklung Marleys. Auf Macdonalds Frage, warum die Menschen Marleys Musik so gern hören, antwortet Perry, dass es an den Geschichten liege, die er zu erzählen hat und wie er es tut.

    Marley sei ein ganz besonderer Mensch gewesen, sozusagen gesegnet - aber auch orientierungslos und auf der Suche nach jemandem, der ihm eine Richtung gibt. Perry hat ihm damals gesagt: Wenn er mit ihm arbeiten wolle, müsse er auch auf ihn hören. Seine Vision sei Jah Rastafari. Die Rastafari-Bewegung, die im äthiopischen Kaiser Haile Selassie den Messias sieht, war der gemeinsame Nenner von Perry und Marley. Aus der damals üblichen Tanzmusik des Ska entwickelten die Beiden einen neuen Musikstil, den Reggae.

    Die Dokumentation "Marley" wird auch zu einer Reise in die Geschichte der populären Musik der 1960er- und 70er-Jahre, zu den Wurzeln des Reggaes und in die jüngere Vergangenheit Jamaikas nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1962 - dem Jahr, in dem Bob Marley seinen ersten Song aufgenommen hat.

    Regisseur Kevin Macdonald gelingt es, den Menschen hinter den Legenden und Mythen zum Vorschein zu bringen. Das Ergebnis sind zweieinhalb facettenreiche, spannende und unterhaltsame Stunden, die nicht nur für Marley-Fans ein Genuss sind.