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Marokko
Als Frau allein durch Marrakesch

Shorts und enge Blusen bleiben besser daheim, wenn westliche Frauen allein in Marrakesch unterwegs sind. Denn vor Ort tragen Frauen mehrheitlich den Hidschab. Die Reiseführer sind dagegen alle männlich - und fragen auch schon mal, warum die Touristinnen solo unterwegs sind.

Von Heike Braun |
Der zentrale Marktplatz Jemaa el Fna in Marrakesch, Marokko.
Suqs in Marrakesch ist der größte Basar Afrikas - ein Labyrinth, in das sich Touristen besser mit Reisführer begeben (imago / imagebroker)
Der Muezzin ruft "Allahu Akkbah - Gott ist am Größten" und der Kutschenfahrer Hassan hält am Gauklerplatz von Marrakesch an und bittet seine Fahrgäste entweder auszusteigen, oder in der Kutsche zu warten, bis er sein Gebet beendet hat. Nachdem er selbst vom Kutschbock abgestiegen ist, trotten seine Pferde selbständig weiter. Bis zu einem Brunnen, um zu trinken. Die Tiere scheinen das Prozedere zu kennen.
"Das hat er uns schon zu Beginn der Fahrt gesagt"
"Ja, er sagte, er hat schon drei Gebete ausgelassen, weil er uns herum fährt und dieses will er aber auf jeden Fall einhalten."
Sarah und Glenda sind Studentinnen aus den USA. Sarah ist 58, Glenda 25 Jahre alt. Beide sind zierlich und blond. Sarah ist Architektin. Glenda studiert Kunstgeschichte. Sie haben sich erst in Marokko kennengelernt und kurzerhand zusammen getan.
"Ich war schon drei Mal in Marokko und bin nie ernsthaft belästigt worden. Aber die Männer fragen immer wieder mal nach, warum eine Frau alleine reist. Jetzt, wo wir zu zweit sind, ist das Reisen doch einfacher."
Ihre Reisegefährtin Glenda ist zum ersten Mal in Marokko. Sie trägt eine lange Hose und ein hoch geschlossenes, locker herunter hängendes T-Shirt. Eng anliegende oder weit ausgeschnittene T-Shirts blieben in den USA. Auch Shorts hat sie keine mitgenommen. Glenda hatte sich vor Reisebeginn über die Kleiderordnung in Marokko informiert. Sie ist trotzdem erstaunt:
"Gefühlt 90 Prozent der Frauen tragen Hidschab, ein Kopftuch, das Ohren, Haare, Hals und Ausschnitt bedeckt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich persönlich habe in Marokko auch noch nicht eine einzige Frau gesehen, die Reisegruppen leitet. Wenn man sich jetzt hier auf dem großen Platz umschaut, sieht man nur Männer, die ihr Land erklären."
"Yalla, Yalla!"
Inzwischen ist Hassan zurückgekommen. Er ist Fremdenführer und Kutscher in einer Person.
"Yalla, Yalla!"
Labyrinth Suqs
Es geht weiter, in Richtung Suqs, dem größten Basar in Afrika. Frauen, die alleine nach Marrakesch reisen, sind gut beraten, eine professionell geführte Tour zu buchen. So wie Glenda und Sarah. Auch einen Führer durch die Suqs sollte man vorher buchen. Wer sich alleine in das Labyrinth enger Gassen traut, sollte ein gutes Gedächtnis haben und vor allem nicht zu oft seinen Fotoapparat zücken. Gerade die Suqs-Händler mögen das gar nicht, erklärt der Kutscher Hassan seinen beiden Fahrgästen:
"Männer und Frauen treiben in den Suqs, Handel. Keiner von ihnen möchte gerne fotografiert werden. Hier gibt es hunderte Gassen. Sie sind labyrinthartig angeordnet und nach Zünften unterteilt. Es gibt Gassen mit Schlossern, welche mit Schuhmachern oder Bäckern und Eierverkäufern. In dieser engen Gasse hier sind tausende Eier auf Eselskarren und Moped- Anhängern gestapelt. Dann gibt es natürlich die Gewürzhändler und auch immer mehr Schals und Souvenirs, die von den Touristen gerne gekauft werden. Viele Europäer gehen ohne Führer in die Suqs. Ich würde behaupten: Fast alle verlaufen sich. Und wenn sie dann spontan jemanden bitten, dass er sie rausführen soll, dann kann es teuer werden."
Ein Kutscher von hinten mit Blick auf dem Gauklerplatz und die Hauptmoschee in Marrakesch
Kutscher und Fremdenführer Hassan ist bemüht, nicht zu viele Gebete ausfallen zu lassen (Deutschlandradio / Heike Braun)
Die meisten Suqs-Besucher starten und beenden ihre Tour am sogenannten Platz der Gaukler. Hier gibt es Schlangenbeschwörer, Affenbesitzer, Märchenerzähler und verschleierte Frauen, die Hidschab tragen und Henna-Tattoos anfertigen. Hassan, der Kutscher, schüttelt den Kopf, als die beiden amerikanischen Studentinnen ihn bitten, an einem Henna-Stand anzuhalten:
"Viele amerikanische und europäische Frauen reagieren allergisch auf die Farbmischungen, die hier am Gauklerplatz verwendet werden. Ich rate immer davon ab."
Muezzine in Marrakesch damals blind
Der Muezzin ruft zum Nachmittagsgebet. Auf dem Djemaa-el-Fna, dem Gauklerplatz, geht der Betrieb unverändert weiter. Gläubige Muslime, die ein Gebet ausgelassen haben, müssen es später am Tag nachholen. Der Platz gehört zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe. In früheren Jahrhunderten hatten marokkanische Häuser hier oft keine Dächer. Im Mittelalter war es darum gar nicht so einfach in Marrakesch ein Muezzin zu sein, erklärt der deutschsprachige Reiseführer Murrat Joundaoui.
"Damit der Muezzin nicht nach drinnen guckt, wie die Frauen sind, musste der Muezzin in den letzten Jahrhunderten blind sein, oder ein Tuch um die Augen tragen. Das war eine von den Traditionen von Marokko im 11. und 12. Jahrhundert. Ein neugieriges Auge darf nicht sehen, was drinnen im Haus passiert. Das hat immer mit Intimität der Frauen zu tun. Mit Respekt vor Frauen zu tun."
Haram und Harem
Murrat Joundaoui, hat sich auf deutschsprachige Führungen spezialisiert. Er trägt einen langen dunkelblauen Djellaba, das lange Gewand der marokkanischen Männer. Einige der Reiseführer kleiden sich betont westlich. Aber ein edler, traditioneller Djellaba zieht viel mehr Blicke auf sich. Murrat erklärt einer Touristin aus Deutschland den Unterschied zwischen Harem und Haram:
"Haram kann man in der arabischen Sprache in zwei Stellungen benutzen. Haram als Substantiv oder als Adjektiv. Haram ist als Adjektiv alles, was für den Moslem verboten ist. Wein zu trinken, Schwein zu essen, zu lügen, oder jemanden zu schlagen. Das ist Haram. Das ist Tabu. Eine Sünde. Dann gibt es als Substantiv den Haram. Bei ihnen zu Hause zum Beispiel. Ihr Haus verfügt über einen Salon, Badezimmer, Küche, Garten, Garage, Schlafzimmer. All das, ist Ihr Haram. Das ist ein heiliger Ort."
In einem solchen Haus, also in einem Haram, gab es den Harem. Das war der Ort, wo zum Beispiel der Pascha, König oder Wesir seine Frauen unterbrachte.
"Zu dem Harem gehörten die Frauen, die Eunuchen, die Exklaven, die legitimen Frauen, die Konkubinen auch. Die Mutter, die Schwester, die Cousinen vielleicht, die unter dem Schutz des Pascha, des Königs oder Wesirs lebten. Das ist der Unterschied, zwischen Haram und Harem."
Ein Haram hat heutzutage immer noch jedes Haus. Harems gibt es im modernen Marokko so gut wie keine mehr, versichert Murrat:
"Bevorzugung bei Frauen, ist im Islam verboten. Wenn man vier Frauen hat, müssen sie alle gleich behandelt werden. Aber Mensch ist Mensch und Mann ist Mann. Natürlich, unser König Mohammed VI, als er den Thron geerbt hat, hat er neue Reformen für die Polygamie gemacht. Madame, das ist sehr selten, dass man heute in Marokko einen Mann mit zwei, drei Frauen findet. Wirklich selten."
Gleichstellung von Frauen
Murrat Joundaoui ist ein arabischstämmiger Reiseführer. Hassan, der Fremdenführer von Sarah und Glenda ist ein Berber. Beide Männer sind gläubige Muslime. Sarah hatte ihren Fremdenführer drei Monate vor Reisebeginn über das Internet kontaktiert. Sie durfte einige Tage bei Hassans Familie im Atlasgebirge wohnen.
"Das war ein großartiges Erlebnis. Ich habe mich mit Hassans Frau angefreundet und hätte mich gerne von ihr durch Marrakesch führen lassen. Die Familie von Hassan hat das aber einstimmig abgelehnt. Mir wurde gesagt: Berber-Frauen werden zu nichts gezwungen. Aber manche Dinge machen sie einfach nicht."
Marrokanischer Berber bereitet Tee vor
Im nordafrikanischen Atlasgebirge leben viele Berber (Deutschlandradio / Heike Braun)
"Wir sind Berber. Berber sind freie Menschen. Bei uns werden die Frauen nicht unterdrückt. Bei uns tragen Frauen auch nur Kopftuch, wenn es draußen kalt ist."
"Ich war jetzt insgesamt drei Mal im Atlasgebirge, wo viele Berber leben. Ich persönlich habe niemals eine Berberfrau ohne Kopftuch getroffen. Auch nicht, wenn es angenehm warm war. Ich glaube, die muslimischen Marokkaner fürchten vor allem unsere westlichen Vorurteile, wenn sie so etwas erzählen."
"Das müssen sie aber nicht. Ich zum Beispiel habe kein Problem mit Frauen, die sich verhüllen. Ich bin römisch-katholisch und in einem Kloster in Colorado aufgewachsen. Ich kenne es also."