Fußball-WM 2030
Marokko holt die Bulldozer

Marokko hostet 2025 den Africa Cup, 2030 zusammen mit Spanien und Portugal die Fußball-WM. Nun wird alles abgerissen, was nicht ins moderne Marokko-Bild passt: von Hippie-Bauten in Surfer-Orten bis hin zu Wohngegenden einkommensschwacher Menschen.

Von Dunja Sadaqi |
    Spanien, Portugal und Marokko tragen gemeinsam die Fußball-WM 2030 aus.
    Spanien, Portugal und Marokko tragen gemeinsam die Fußball-WM 2030 aus. (picture alliance / HMB Media / Joaquim Ferreira)
    Ende Juli 2024: Im Künstlerkomplex Oulja in Salé, einen Katzensprung von Marokkos Hauptstadt Rabat entfernt: Bagger zerstören Geschäfte und Werkstätten von Töpfern, Korbmachern und Lampen- und Teppich-Verkäufern. Angekündigt war die Zerstörung des Künstlerdorfes schon länger - trotzdem habe der Abriss Handwerker und ihre Familien verzweifeln lassen, erzählt Hassan El Idrissi dem marokkanischen Fernsehen, während er in den Trümmern seiner Töpferwerkstatt steht.

    Künstler wurden vertrieben

    "Uns wurde gesagt, dass wir neben einen Baumarkt ziehen würden. Ich gehöre aber nicht zu den Begünstigten. Ich habe meine Sachen in einer Garage gelassen. Sie haben mir gesagt, wir bekommen einen Arbeitsplatz. Nachdem die Handwerker ihre Waren transportiert hatten und sie dort waren, wurde uns gesagt, wir sollten unsere Öfen mitnehmen und suchen, wo wir sie hinstellen könnten. Sie haben uns nicht gesagt, wohin wir gehen sollen. Jetzt stehe ich auf der Straße, ich bin verheiratet und habe Kinder und kann jetzt nicht für sie sorgen.“
    Die Sorge der Künstler: Für sie ist kein Platz mehr in der Nähe des Tour Mohammed VI, ein silbernes, 250 m hohes futuristisches Hochhaus - für Hotel-, Büro- und Wohnfläche sowie Geschäfte. Was mit Oulja passiert, ist kein Einzelfall. Im Königreich rollen seit mehreren Monaten die Bagger.
    Im Frühjahr sorgten Zerstörungen an Küstenorten für Aufruhr. Ob das Surferparadies Imsouane oder Fischerdörfer wie Tifnit im Süden oder Kleinstädte wie Bouznika im Norden, überall entlang Marokkos Küste werden derzeit reihenweise Häuser abgerissen. Nach Aussagen der Bewohner bleibt vielen nur kurz Zeit, ihre Häuser zu verlassen - und sich um eine andere Einnahmequelle zu kümmern. Dieser Bewohner des Hippie-Surfer-Hotspots Imsouane hatte dort ein kleines Geschäft aufgebaut, wie er im Frühjahr marokkanischen Medien erzählte: 
     "Das Problem ist, dass es hier Tausende von Jugendlichen gibt, die in diesen Projekten arbeiten, die abgerissen werden. In jedem Projekt gibt es fünf bis sechs Personen, die dort arbeiten. Wenn das alles weg ist, wo sollen diese Jugendlichen hingehen? Wo sollen sie arbeiten? Es gibt keine Alternativen.”

    Bauten gelten als illegal und werden abgerissen

    Der Plan ist: bis zum Jahr 2025 sollen entlang der Küste alle illegalen Bauten abgerissen werden. Auch viele andere, oft eher kleine Orte entlang der Küste oder auch einige Vororte von Städten wie Casablanca sind davon betroffen. Die offizielle Begründung lautet: Die Bauten seien illegal. Das erklärt der Soziologe für Städtebau von der Universität Marrakesh, Driss Ait Lhou. Der Abriss sei absolut gesetzmäßig, so der Soziologe, der Staat tue nur seine Pflicht: 
    “Mehrere dieser städtebaulichen Skandale sind darauf zurückzuführen, dass entweder die Gesetze nicht eingehalten wurden, oder die Siedlungen illegal waren  oder dass sogar auf öffentlichem Grund gebaut wurde. Also beim Wohnungsbau, da darf man nicht mit dem Gesetz spielen!"

    Marokko steht vor zwei großen Fußball-Turnieren

    Was viele spekulieren: Marokko bereite sich damit auf zwei Mega-Sportevents vor. 2025 wird das Land den Africa Cup ausrichten, 2030 zusammen mit Spanien und Portugal die Fußballweltmeisterschaft. Vermutlich auch dafür wird zurzeit massiv investiert: Nicht nur neue Stadien werden gebaut und alte modernisiert. Straßen, Autobahnen, Bahnnetz und Flughäfen, Hotelkapazitäten hochgeschraubt.  Für Marokko eine große Herausforderung, von der man sich auch neue Investitionen in den Wirtschaftsstandort verspreche, sagt Mustapha Azaitraoui, Professor für Geographie an der Sultan Moulay Slimane Universität in Khouribga. Dennoch beobachtet er diesen Trend mit Sorge:
    “Diese Aktionen werfen Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Fairness in der Stadtentwicklungspolitik auf. Der Abbau dieser Gebiete ist zwar Teil umfassenderer Bebauungspläne, zeugt aber von einer wachsenden Spannung zwischen städtischen Modernisierungsprojekten und der Bewahrung traditioneller Lebensweisen und des kulturellen Erbes. Dies hat Auswirkungen zunächst auf die lokalen Gemeinschaften, die häufig ohne angemessene Entschädigung oder geeignete Alternativen umgesiedelt werden. Dies kann zu einem Verlust an sozialen und kulturellen Bindungen sowie zu einer verminderten Lebensqualität führen.”
    Das sehen auch die Betroffenen selbst so. Viele umgesiedelte Menschen beklagen, sie seien zu weit weg von ihrem ursprünglichen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt.

    Künstler sind derzeit eingeschränkt

    Auch die Künstler von Oulja sind umgesiedelt worden. In eine Art Messehalle in Salé. Das hat vorerst viele beruhigt, sagt dieser Töpfer, aber: “Der Unterschied besteht darin, dass wir in Oulja unsere Produkte auch hergestellt haben.  Hier arbeiten wir nur im Verkauf.  Was uns Töpfer betrifft, bitten wir die Verantwortlichen, einen Ort für unsere Arbeit bereitzustellen, bisher gibt es nichts. Schauen Sie sich den Laden an, er ist nicht voll, weil wir nicht arbeiten, können wir nicht mit Neuware auffüllen.”
    18 Monate etwa sollen die Bauarbeiten im alten Oulja laufen - dann sollen moderne Geschäfts- und Ausstellungsräume entstehen und die Handwerker und Künstler wieder zurückkehren.