"Wollüstige Menschen jeglichen Alters und jeden Geschlechts, Euch widme ich diesen Text. Macht Euch seine Prinzipien zu eigen, sie befördern Eure Leidenschaften. Leidenschaften, aus denen kalte und platte Moralprediger Euch ein Schreckbild zu machen suchen."
Kein Zweifel, dies ist ein Aufruf. Kurze Zeit später geht es handfest zur Sache.
"Es könnte nicht besser sein, das ist es, was ich wollte, bewegen Sie nun Ihre schönen Ärsche mit allem Feuer der Lüsternheit, heben und senken Sie sie. Gut, gut, das ist herrlich."
"Die Philosophie im Boudoir" lautet der Titel dieses Werkes, es erschien 1795 ohne den Namen des Verfassers, der damals bereits mehrfach für seine Laster im Kerker hatte büßen müssen. Seine Schriften riss man sich dennoch aus den Händen. Pikante Szenen zwischen Frauen und Männern, Frauen und Frauen, Männern und Männern, Erniedrigungen, Sodomie, Inzest, Mord, unterbrochen von moralphilosophischen Erörterungen und Rechtfertigungen eines radikalen Egoismus – darauf verstand sich der Marquis de Sade. Dieser Mann übertraf alles, was einem Libertin im 18. Jahrhundert erlaubt war. Sein Streben nach Genuss und Macht war grenzenlos. Er selbst sah sich als Befreier.
"Galilei wurde verfolgt, weil er die Geheimnisse des Himmels entdeckt hatte; Ignoranten wurden seine Quälgeister. Ich werde verfolgt, weil ich die Geheimnisse des menschlichen Bewusstseins gelüftet habe – und die Tölpel tyrannisieren mich."
De Sade erlebte Kriegsgräuel
Am 2. Juni 1740 als Sohn eines Adelsgeschlechts geboren, wurde Donatien Alphonse François de Sade mit knapp 16 Offizier der Kavallerie. Ab 1756 kämpfte der anziehende junge Mann im Siebenjährigen Krieg und stellte seine Tapferkeit mehrfach unter Beweis. Es gab wohl kaum ein Gräuel, dessen er nicht Zeuge wurde – geschändete Körper, abgeschlagene Gliedmaßen, Leichenberge. Zurück in Paris verbot ihm seine Familie aus finanziellen Erwägungen die Eheschließung mit Anne-Prospère de Montreuil, die er eigentlich liebte, stattdessen wurde 1763 die Heirat mit deren älterer Schwester Renée Pélagie verfügt. Die Mitgift war atemberaubend, und von seinem Reichtum konnte der Marquis bald einen ausschweifenden Lebensstil finanzieren. Die Spezialität des vehementen Gegners der Aufklärung waren Orgien mit allem, was der menschliche Körper hergab.
"Ach, mein Engel, es ist so köstlich, Herr über Leben und Tod der anderen zu sein!"
So lässt de Sade einen seiner Helden räsonieren. Er wollte die zerstörerische Kraft des Triebes aufdecken, der er sich selbst immer wieder hinzugeben schien. Schon im Jahr seiner Heirat wurde er erstmals verhaftet. Es folgte eine Anklage wegen Giftmord mit Todesurteil. Der Marquis war längst nach Italien geflohen.
Seine Hauptwerke verfasste er in der Bastille
1777 kerkerte man ihn auf der Festung von Vincennes ein. Seine Schwiegermutter bewirkte zwar eine Aufhebung des Todesurteils, doch in Freiheit wollte sie den berüchtigten Verwandten keinesfalls wissen. Man verlegte ihn in die Bastille, wo de Sade seine Hauptwerke verfasste – von "Justine" bis zu "Die 120 Tage von Sodom", mangels Papier in winziger Schrift. Kurz vor dem Sturm auf die Bastille landete der Marquis wegen aufrührerischer Reden im Irrenhaus von Charenton. Ein Teil seiner Manuskripte ging verloren.
Nach seiner Entlassung 1790 wurde er Jakobiner und rettete sogar seine Schwiegereltern vor der Guillotine, entkam dann aber während der Säuberungen nur knapp der Hinrichtung. Sieben Jahre später nahm man ihn wieder in Haft. Seine Familie konnte die Verlegung nach Charenton bewirken, wo de Sade mit Insassen auch unter Parisern begehrte Theateraufführungen veranstaltete. Er starb am 2. Dezember 1814. Kaum ein anderer Schriftsteller hat die Philosophen und Künstler des 20. Jahrhunderts so sehr beschäftigt wie de Sade. Eines ist fraglos: der Marquis de Sade zeigt den Menschen von seiner grausamsten Seite.