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Marthalers Sprachlabor

Man hatte fast schon vergessen, wie lustig Christoph Marthaler sein kann. In Basel, der Stadt seiner ersten Erfolge, ist er nun auch zu seinen inszenatorischen Ursprüngen zurückgekehrt: dem irgendwie völlig abgedrehten, surreal-komischen Liederabend.

Christian Gampert |
    Nachdem einen Tag zuvor "My fair Lady" über die große Bühne ging, liefert Marthaler auf der kleinen Bühne die (wahrscheinlich viel bessere) Grotesk-Fassung nach. Marthalers Lieblingsbühnenbildnerin Anna Viebrock hat einen dieser bösartigen 60er-Jahre-Wartesäle gebaut - hier als schallgedämmte Schale für ein Sprachlabor, in dem der gelernte Kopfstimmen-Virtuose Graham Valentine als Professor Higgins einen ganzen Chor von Schülern in der englischen Hochsprache unterrichtet. Ritual-Fetischist Marthaler macht daraus gleich mal einen Wechselgesang wie in der katholischen Kirche:

    - "How many days are in November?"

    Hinten laufen auf einem Monitor die neuesten Angebote aus dem Verkaufsfernsehen, und vorn läuft dann das, was man seit neuestem Casting-Show nennt: die Zurichtung von Menschen, von Sängern auf bestimmte Gesten und Posen, die gefallen sollen. Das ist unsagbar traurig und unsagbar komisch zugleich, also echt marthalerisch. Es gibt nicht nur eine Eliza Doolittle, die sprachbehandelt wird; es gibt gleich mehrere – und an der Bühnenseite Mihai Grigoiu als orgelspielendes Frankenstein-Monster, das uns freundlich signalisiert: Show Business is Zombie Business.

    Die Higgins-Doolittle-Liebespaarung wird von Marthaler also verdreifacht: Sprachlehrer Valentine schiebt eine stets etwas unlustige 60-Jährige, nämlich die ihre (hergestellte) Bärbeißigkeit voll auskostende Nikola Weisse, auf einem Bürostuhl durch die Gegend. Der Tenor Karl-Heinz Brandt turnt mit der am Oberarm lädierten Carina Braunschmidt die Treppe runter – Slapsticks aus dem beschädigten Leben. Stars des Abends aber sind Tora Augestad und Michael von der Heide, ein völlig verschüchtertes, graumäusiges Paar, das aber mit anzüglich wiegendem Becken Weihnachtslieder singt. Oder auch, händchenhaltend, Bryan Adams.

    In Marthalers Laboratorium der falschen Gesten und Gefühle wird zwischendrin sehr unterhaltsam zungengebrechert und gekalauert – Rain in Spain stays mainly in the plain -; aber es ist nicht nur die Dinner-for-One-Mechanik, die von Marthaler bedient wird. Der Großmeister des skurrilen Humors zoomt gerade die Hochkultur immer wieder hingebungsvoll hinunter ins Alltagsbanale: ausgiebig werden Cézanne-Äpfel gekaut; wer mal austreten muss, singt auf dem Klo "Fließet, meine Tränen" des Elisabethaners John Dowland; und der famose Karl-Heinz Brandt verliest eine deutschnationale Zauberflöten-Interpretation. Der Pianist Detlef Bendixen steht bisweilen wie ein Denkmal in Karajan-Heldenpose, spielt dann aber wie der Teufel Schumann und Ravel. Außerdem Lohengrin, Freischütz, Manon – aber eben nur als Übung im Gesangslabor der Casting-Posen.

    Verklemmte Menschen singen Liebeslieder und demontieren sich selbst – das ist als Grundrezept offenbar völlig ausreichend für einen Abend, der den erotischen Reigen dann ins Greisenalter weiterdreht und Parkinson-geschädigte Pärchen kopfwackelnd in die Disco entlässt. Ein Theater der Zitate und Verweise, der rhetorischen, sängerischen und gestischen Perfektion. Das Ganze ist absolut Theatertreffen-verdächtig. Ein großer Quatsch. Und ein Triumph - der Liebe, der Ironie, der Leichtigkeit!

    - "Ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt, und bring die Liebe mit ... "