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Martin Baltscheit: "Der kleine Prinz feiert Weihnachten"
Die Fortsetzung eines Mythos

"Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry ist ein Klassiker der Literatur. Der Autor und Illustrator Martin Baltscheit setzt ihn fort: Der Prinz kehrt auf die Erde zurück! Und zwar zur Weihnachtszeit in eine deutsche Stadt des 21. Jahrhunderts.

Von Dina Netz |
    Buchcover: Martin Baltscheit: "Der kleine Prinz feiert Weihnachten"
    "Der kleine Prinz" ist kein Buch, sondern ein Mythos (Karl Rauch Verlag)
    Den "kleinen Prinzen" gibt es als Taschenbuch, als gebundenes Buch, als Hörbuch. Es gibt ihn in mehreren Fassungen, die die komplexen Weisheiten des Buches für Kinder vermitteln. Es gibt den "kleinen Prinzen" in deutschen Übersetzungen von Peter Stamm und Hans Magnus Enzensberger. Es gibt eine Fassung auf Klingonisch und eine Fernsehserie. Oder, wie die Krähe, mit der sich der kleine Prinz in Martin Baltscheits Buch anfreundet, beim Blick in das Schaufenster einer Buchhandlung erstaunt feststellt:
    "'Du bist ein Hörspiel, eine Tasse, ein Teller, Kochgeschirr, da feierst du sogar Weihnachten! Prinz als Puppe, Badehaube und Vitaminbonbon. Nur Prinzenkekse sehe ich nicht.' Sie starren auf die Warenkarawane, und der Vogel zählt weiter auf: 'Dein Freund war fleißig. Spieluhr, Spardose, Schneekugel, Reisekoffer, Lätzchen, Nachtlicht, Filzpantoffel.'"
    "Der kleine Prinz" als Kulturbeutel, Smartphone-Tasche und Schlüsselanhänger seien noch ergänzt. Bei einem solchen Komplett-Merchandising nimmt es schon fast Wunder, dass bisher nicht regalmeterweise Fortsetzungen des Klassikers von Antoine de Saint-Exupéry vorliegen. Aus der Filmbranche weiß man ja, dass Sequels von Blockbustern immer ganz erfolgreich sind, wenn sie auch nicht an das Original heranreichen.
    Im Falle des "Kleinen Prinzen" ist der immense Erfolg des Buches vielleicht genau der Grund dafür, warum sich bisher nur eine Handvoll Autoren an eine Fortschreibung gewagt hat: "Der kleine Prinz" ist kein Buch, sondern ein Mythos. Es gehört ziemlich viel Chuzpe dazu, die Geschichte eines solchen Denkmals weiterzuerzählen. Der Düsseldorfer Autor und Illustrator Martin Baltscheit ist nicht davor zurückgeschreckt, dass man ihn der Anmaßung zeihen könnte.

    Alle sind im Stress, niemand hat Zeit

    Er lässt den kleinen Prinzen wieder zur Erde zurückkehren. Auf dem Planeten B 612 ist nach der Rückkehr des Prinzen aus der Wüste einiges schiefgegangen: Das Schaf, das sein Piloten-Freund ihm gezeichnet hatte, konnte sich vom Maulkorb befreien. Es hat die Rose gefressen, die Freundin des kleinen Prinzen. Er hat das Schaf zur Strafe ins All geworfen, woraufhin die Affenbrotbäume so stark gewachsen sind, dass sie seinen Planeten gesprengt haben.
    Nun ist der kleine Prinz also zur Erde zurückgekehrt, voller Kummer und Schuldgefühle und auf der Suche nach seinem alten Freund. Nur landet er nicht wie erhofft in der Wüste bei seinem Piloten, sondern im 21. Jahrhundert in einer weihnachtlich dekorierten deutschen Stadt. Alle sind im Vorweihnachtsstress, weder der Bäcker noch der Müllmann noch der Weihnachtsmann haben Zeit oder Lust, dem Prinzen eine Rose zu zeichnen, die ihn über den Verlust der Rose auf seinem Planeten hinwegtrösten soll. Nur das Christkind, das in einer Kirche in der Krippe liegt, hört ihm zu:
    "'Wie willst du deinen Freund denn finden?'
    'Solange suchen, bis wir uns umarmen können.'
    'Hier oder draußen?'
    'Auf der ganzen Welt, wenn es nötig ist.'
    Da geht ein Ruck durch das Kind in der Krippe.
    'Dann nimm mich mit!', sagt es. 'Ich bitte dich. Eines Tages kann ich Wunder. Das könnte helfen. Und wenn wir deinen Freund gefunden haben, feiern wir Weihnachten und schenken uns Dinge, die wir gebrauchen können: ein Navi, ein Kanu, ein Dreirad. Komm! Nimm mich mit und wärme mich mit deinem schönen Lachen. Ich sehe es, du bist ein guter Mensch.'"

    Ein Kinder- oder Erwachsenenbuch?

    Bis heute diskutiert die Leserschaft die Frage, ob Antoine de Saint-Exupérys "Kleiner Prinz" ein Kinderbuch ist oder nicht. Dagegen spricht, dass die darin enthaltenen Weisheiten und auch die augenzwinkernden Seitenhiebe auf die Skurrilität der Menschheit für Kinder nicht leicht verständlich sein dürften. Das gilt allemal für Martin Baltscheits Buch, das voller Erwachsenen-Witze ist und am Schluss auch noch die im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge thematisiert.
    Ein Argument für das Kinderbuch ist de Saint-Exupérys klare, einfache und stark dialogische Sprache. Im Vergleich ist Martin Baltscheit geradezu geschwätzig. Zum Beleg – die Eingangsszene:
    "Eine Krähe schreitet durch den Schatten eines winterlichen Hofes, den Blick fest auf das einzige beleuchtete Fenster einer Backstube gerichtet. Ihr Revier reicht genau bis an die Tür. Der Duft von Keksen, Kuchen und Stollen ist umsonst, macht aber nicht satt. Die Krähe weiß, Geduld wird belohnt – manchmal. Der Bäcker, der beste von allen, so verspricht das Schild über seinem Laden, ist ein Mann, der bei der Arbeit stets ein Liedchen pfeift, um die Magie der Musik in die Kekse zu backen, wie er sagt. Heute pfeift er 'Oh, Tannenbaum', und stellt sich ein Bäumchen vor, mit goldenen Münzen geschmückt, denn was der Bäcker noch mehr liebt als den Geschmack von Keksen, ist der Gewinn von Geld. Darum beginnt er auch früher als sonst und arbeitet härter als gewohnt, denn die Feiertage können nur gelingen, wenn man sich vorher auch total erschöpft hat. Die Krähe steht dem Bäcker darin nicht nach; sie ist fleißig mit 'Warten'. Warten auf Abfall und Krumen und an guten Tagen sogar auf einen Rest Kekse. Am besten diese Engelsdinger, die sind, was Menschen ein 'Gedicht' nennen, und eigentlich ist der Bäcker ein Dichter, und seine Kekse sind die besten Reime auf großes Glück und Seligkeit. Aber manchmal lässt das große Glück eben sehr lange auf sich warten, und der härteste Teil der Krähenarbeit ist die Ungeduld, vor allem, wenn man ein nervöses Magenbiest unter seinen Federn wohnen hat."
    Das "Magenbiest", das ein Movens der Geschichte werden wird und das er als winzigen Vogel mit riesigem Schnabel und Zähnen zeichnet, ist eine von Martin Baltscheits witzigeren Ideen.
    Außer bei der Sprache imitiert Baltscheit Stil, Form und Themen der Vorlage sehr genau – er hat seinen "Kleinen Prinzen" intensiv studiert: Er beginnt das Buch mit einer Widmung an den Verfasser der Vorlage. Er stellt seiner Geschichte mit wenigen Strichen gefertigte Zeichnungen zur Seite, die so naiv-schön, so einfach und doch so wirkungsvoll sind wie die von de Saint-Exupéry, indem sie sich auf das Wesentliche konzentrieren.

    In der Ellenbogen-Gesellschaft

    Martin Baltscheits Buch hat aber, außer der zum Teil dahinplappernden Sprache, noch ein weiteres Problem: das der Haltung. Antoine de Saint-Exupéry schrieb seinen "Kleinen Prinzen" Anfang der 1940er-Jahre als eine Art humanistisches Manifest, als Gegenentwurf zur realen Welt, in der die Völker einander bekriegten. Baltscheits Buch ist ein typisches Produkt des 21. Jahrhunderts, denn er beschreibt eine Ellenbogen-Gesellschaft, in der alle nur auf ihren Vorteil bedacht sind. Der kleine Prinz landet sogar im Gefängnis und in der Irrenanstalt. Die Krähe nordet ihn gleich zu Beginn des Buches entsprechend ein:
    "'Ich wollte zur Erde', sagt der Junge.
    'Glückwunsch! Du bist angekommen, ganz auf dem Boden trüber Tatsachen.'
    Der Junge in Uniform und mit langem, rotem Schal sieht sich um. Der Hof ist groß, die Wände sind steil, und nur das eine Fenster ist erleuchtet.
    'Wohnst du alleine hier?'
    'Hier im Revier bin ich allein, aber der Planet ist voller Lebewesen. Jedes will das beste Stück für sich, und niemand gibt was ab. Es ist eine Wüste der Herzlosigkeit, und auch der Krähe erbarmt sich keiner.'"
    So sieht bei weitem nicht nur die Krähe die Welt. Und auch wenn sie sich des Prinzen schließlich erbarmt, er seinen Freund Antoine am Ende einer langen Odyssee findet, so bleibt Martin Baltscheits Geschichte doch irgendwie nüchtern und abgeklärt im Vergleich mit dem auch nach Jahrzehnten noch zugleich witzigen und rührenden Original de Saint-Exupérys.
    Man wird Martin Baltscheit unerschrocken nennen müssen, sich an diesen literarischen Klassiker gewagt zu haben. Er hat sich nicht direkt daran verhoben, aber seine Fortschreibung des "Kleinen Prinzen" bleibt doch blass im Vergleich zum Original, ohne erkennbaren eigenen Mehrwert und deshalb - entbehrlich.
    Martin Baltscheit: "Der kleine Prinz feiert Weihnachten"
    mit Zeichnungen des Verfassers
    Nach einer Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry
    Verlag Karl Rauch, Düsseldorf
    96 Seiten, 15 Euro