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Martin Elsaesser und das "neue Frankfurt"

Nach dem Ende des Kaiserreichs wurde in vielen Städten der pompöse Repräsentationsstil der Monarchen durch eine an sachlichen Kriterien orientierte Planung abgelöst. Und die musste keinesfalls gleich immer Bauhaus-Stil heißen, wie nun eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt zeigt. Sie erinnert an den Architekten Martin Elsaesser - einen Vertreter der anderen Moderne.

Von Beatrix Novy |
    "Auch Martin Elsaesser war ein Moderner, er hat nur nicht eingesehen, warum er seine Positionen vernachlässigen sollte."

    Die Architekturmoderne bestand längst nicht nur aus dem Bauhaus. Dass es neben der streng-neusachlichen Linie auch eine traditionalistisch orientierte gab, das ist seit Langem bekannt, schon Mitte der 70er-Jahre schrieb der Architekturtheoretiker Julius Posener gegen die verengte Rezeption der Moderne an, und doch hat es Martin Elsaesser erst jetzt ins Frankfurter Museum geschafft, wird das Neue Frankfurt der 20er-Jahre immer noch mit dem Mythos um Ernst May verknüpft. Vielleicht auch, weil dessen Fraktion – wie Wolfgang Voigt im Katalog zur Ausstellung vorschlägt - eine außerordentlich erfolgreiche Selbstdarstellung betrieb.

    Dass das Neue Frankfurt, eine baupolitische Initiative mit dem Ziel, eine moderne Metropole zu schaffen, mehr umfasste als die berühmten Siedlungen des Neuen Bauens, das sei der 1926 gestarteten Zeitschrift "Das Neue Frankfurt" kaum zu entnehmen. Dort wurden die Großtaten der Architekten um Ernst May freudiger ins Bild gebracht als die kommunalen Großbauten, für die Martin Elsaesser zuständig war. Ausdrücklich hatte ihn die Stadt mit ins Boot genommen, weil er ein Baukünstler war, einer, der dem standardisierten Massenwohnungsbau der Siedlungen die städtebauliche, gewichtende, gliedernde Komponente entgegensetzen sollte, deren Vernachlässigung für die Bauhaus-Architekten Programm war. Aber schon die eigenen Wohnhäuser, die sich May und Elsaesser in Frankfurt bauten, zeigen die Gegensätze: weißer Putz, liegende Fenster, Dachgarten bei Ernst May, traditionelle Fensterformate und Backstein bei Elsaesser.

    "Die waren wohl vom Charakter her so unterschiedlich wie ihre Aufgaben. Wieweit es auch persönliche Spannungen gab, ist schwer nachzuvollziehen, aber die Rollenverteilung beim Hochbauamt, die war schwierig, auch weil May einen Hauch höher stand in der Hierarchie, Elsaesser stand ihm praktisch gleich , sich aber dominiert gefühlt hat."

    Auch wenn Elsaesser der funktionalistischen Elite fremd blieb, offenbarte sich seine "neuzeitliche Baugesinnung" deutlich: nicht nur, weil er seit den 20er-Jahren viel moderne Formensprache aufnahm, nicht nur, weil er sich mit dem ökopazifistisch angehauchten Gartenarchitekten Leberecht Migge, dem Apostel der bodenproduktiven Abfallwirtschaft zusammentat, sondern auch in wegweisenden ingenieurstechnischen Leistungen seiner Projekte. Bei mindestens einem konnten das schon seine Zeitgenossen nicht übersehen: bei der Frankfurter Großmarkthalle, 220 Meter Länge ohne Stützen, damals in Europa einmalig, als logistischer Raum beispielhaft konzipiert, mit einer hauchdünnen, staunenerregenden Tonnen-Dachkonstruktion. Und wie aus den prunkvollen Kaufhäusern oder Prachtbanken der Jahrhundertwende Kathedralen des Kommerz wurden, so nahm sich der Frankfurter Volksmund der Großmarkthalle an: Gemüsedom. Mit der derzeitigen Degradierung dieses Doms zum schräggepfählten Breitfuß eines EZB-Hochhaus-Ungeheuers ist er der öffentlichen Wahrnehmung gewiss; aber was ist mit den anderen Bauzeugnissen Elsaessers in Frankfurt?

    "Man kann ihn sehen, aber dann muss man wissen, wo er steht."

    Gemeint sind zehn funktionierende Schwimmbäder, Kirchen und Schulen, zum Beispiel die trutzig-expressive Conrad-Henisch-Schule oder die Ludwig Richter-Schule, in der es für die kleineren Kinder eine eigene, tiefergelegte Fensterreihe gab. Alles dokumentiert die Ausstellung in Bildern von damals und heute und in Modellen; ein historischer Film zeigt die Bauarbeiten am Großmarkt, ein anderer die Elsaessers privat: Bilder von einem großbürgerlich-liberalen, gästereichen Lebensstil, und: Man hatte schon eine Kamera.

    Die Wirtschaftskrise von 1929 zerstörte die Frankfurter Metropolenpläne, Ernst May scharte seine Siedlungsarchitekten um sich und ging nach Russland, um für Stalin Magnitogorsk aufzubauen, ein Vielbekämpfter, dem seine Gegner lange Spottgedichte widmeten: "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Flachbau eingestellt". Die Kritik an der Stadtbaupolitik, die nach Mays Weggang aufkam, musste Elsaesser ausbaden. Vergessen war der Reim, den die Frankfurter ihm gedichtet hatten: "Alles neu macht der May, alles besser Elsaesser".