Archiv


Martin Jander: Berlin (DDR). Ein politischer Stadtspaziergang

Wenig, vielleicht zu wenig ist von der Hauptstadt der DDR übrig geblieben und noch zu besichtigen: So erfolgte im Wiedervereinigungstaumel zum Beispiel der Abriss der Berliner Mauer so konsequent, dass manch geschichtlich interessierter Berlin-Besucher heute schon wieder bedauert, nach Rudimenten dieses historischen Schandflecks derart lange suchen zu müssen. Abhilfe könnte da ein ganz "anderer" Stadtführer aus dem Berliner Links Verlag schaffen, der zu einem politischen Stadtspaziergang – so sein Untertitel – anregen möchte.

Jacqueline Boysen |
    Die Idee ist über jeden Zweifel erhaben: Eine historische Stadtführung durch das einstige realsozialistische Berlin ist immer ein Gewinn. Der Spaziergang zu den Errungenschaften sozialistischer Baukunst, an die Stätten kommunistischer Heldenverehrung, über Kampf- und Aufmarschplätze des Arbeiter- und Bauernstaats hin zu den Mahnmalen stalinistischer Schreckensherrschaft –, dieser Weg könnte Tage beanspruchen. Schließlich ist die einstige Hauptstadt der DDR reichlich versorgt mit historischen Ausstellungen und kulturgeschichtlich bemerkenswerten wie auch skurrilen Hinterlassenschaften aus allen Epochen der deutschen Geschichte, gerade aber der jüngst vergangenen.

    Wer über die exotischen Reize der Diktatur in Filmen wie "Good bye, Lenin" herzlich lacht, entwickelt im Idealfall auch ein Interesse daran, die Original-Schauplätze von vierzig Jahren DDR-Geschichte aufzuspüren. Die Stadt, in der im Kalten Krieg wie nirgendwo sonst die Teilung der Welt auf tragische Weise offenbar wurde, hat ausgerechnet die Überreste der Mauer in den vergangenen dreizehn Jahren sorgfältig geschliffen und besonders in ihrer historischen Mitte, im neuen bundesrepublikanischen Regierungsviertel, die Spuren der DDR zu tilgen versucht. So kann es nicht schaden, ein kundiges Buch zur Hand zu haben – beim Spaziergang durch den alten Osten.

    Dass der stets um präzise und originelle DDR-Geschichtsschreibung bemühte Christoph Links Verlag also eine Art Wanderführer zu den "ostigen" Sehenswürdigkeiten im Nachwende-Berlin verlegt, ist prinzipiell sehr zu begrüßen. Gerade in Berlin gibt es unendlich viele verborgene geschichtsträchtige Orte, Geheimtipps sind da willkommen, denn auch Spaziergänger mit einer Spürnase finden wohl kaum per Zufall zum stilechten Café Sibylle an der Karl Marx Allee. Hier ist nicht nur der ruhmreichen Baugeschichte der Stalinallee eine Ausstellung gewidmet, zugleich wird an den Aufstand vom 17. Juni erinnert.

    Andere historische Monumente in Berlin sind zwar nicht so leicht zu übersehen, dafür aber haben sie so oft und radikal Besitzer und Funktion gewechselt, dass es den neuen Hausherren unangenehm zu sein scheint, an das wechselvolle Vorleben ihrer Domizile zu erinnern. Die an den Häuserwänden arg sparsam angebrachten Täfelchen jedenfalls fallen dürftig aus, auf Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Geschichte jedenfalls machen sie nur sehr verkürzt aufmerksam. Ein Gebäudekomplex wie das Finanzministerium zum Beispiel erzählt seine Geschichte quasi selbst: Bundesfinanzminister Hans Eichel residiert bekanntlich im einstigen Haus der Ministerien der DDR, das wiederum unter den Nationalsozialisten als Reichsluftfahrtministerium gedient hatte und schließlich auch schon zum Sitz der Treuhand taugte. Die Geheimnisse des Hauses der Demokratie dagegen, das heute schlicht den Deutschen Beamtenbund beherbergt, sind unter dem neuen sauberen Anstrich des Gebäudes an der Friedrichstraße verborgen – auch hier also bräuchte es einen qualifizierten Wegweiser, der von der Geschichte der einst dort untergebrachten Berliner SED zur DDR-Opposition führt: Nach der friedlichen Revolution schließlich hatten hier Parteien wie der Demokratische Aufbruch ihre hoffnungsfrohe Arbeit begonnen. Wer nun glaubt, mit dem neuen Guide aus dem Links Verlag in der Hand derlei Routen durch die vierzig Jahre antreten zu können, der ist leider verloren.

    Der "politische Stadtspaziergang", den der Titel des Werkes verheißt, führt den Leser in die Irre – sprich: in ein wirres stadthistorisches Dickicht. Auf 110 Seiten herrscht ein Durcheinander von Fakten, Zitaten, Literatur- und Service-Hinweisen sowie Anekdötchen und Rückblicken. Der Leser muss sich unweigerlich verlaufen. Alles wird kurz erwähnt, aber leider nicht vertieft und stattdessen in ein chronologisches Raster gepresst, das selbstverständlich nicht immer passt. Wohl wahr: Rudi Dutschke ist kurz vor dem Mauerbau in den Westen "abgehauen", auch hat er gegen den "antiimperialistischen Schutzwall" protestiert, aber wer das Grab des studentischen Rebellen sucht, wird wohl kaum im Kapitel über die Gedenkstätte Berliner Mauer nachschlagen.

    Dass dem Band ein Register fehlt, ist unverzeihlich. Denn die vielen Adressen und Angaben über Öffnungszeiten sind ja sehr hilfreich – vorausgesetzt, sie erschließen sich dem Leser. Das aber ist nicht der Fall: Es mangelt dem Buch in jeder Hinsicht an einer brauchbaren Systematik.

    Leider, leider erspart Autor Martin Jander uns auch hässliche sprachliche Stolpersteine nicht: Sind die legendären Blues-Messen von Pfarrer Rainer Eppelmann wirklich "durchgeführt" worden? Das mag in Dutzenden von Stasi-Akten tatsächlich so formuliert sein, umso mehr Grund für den Autor, sich von derlei Bürokratenjargon deutlich zu distanzieren. Zum Lesebuch also taugt das Werk von Martin Jander auch nicht. Es ist bedauerlich, aber man muss sich fragen, warum aus der guten Idee ein so unentschlossenes Werk geworden ist. Immerhin, wir dürfen sogar einen Blick in das private Photoalbum des Autors werfen: Im letzten Kapitel – dem Brandenburger Tor gewidmet – ist es wohl Jander höchstselbst, der da vor dem Christo-verhüllten Reichstag posiert.

    Martin Jander: "Berlin (DDR). Ein politischer Stadtspaziergang". Erschienen bei Christoph Links Berlin, 109 Seiten, Kostenpunkt: 12 EURO 90.