Vor dem Landgericht Hannover geht es nicht nur um Martin Kind und seine Abberufung als Geschäftsführer, sondern auch um die 50+1-Regel im deutschen Profifußball. Ein Verein muss immer die Mehrheit an der ausgegliederten Profi-Gesellschaft halten, so will es die Regel – außer diese Spielbetriebsgesellschaft ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien.
Wie zum Beispiel in Berlin. Da gehören Investor Lars Windhorst zwei Drittel, die er für 375 Mio. Euro bei Hertha BSC erworben hat. Oder Beispiel Hannover, wo 100 % der Kapitalanteile Martin Kind gehören. Alles regelkonform, weil der eingetragene Verein weiter die Geschäftsführung bestimme.
„In dem Fall besagt die Satzung der Deutschen Fußball-Liga, dass ein Stimmanteil des Muttervereins von weniger als 50 Prozent genügt", erklärt Sebastian Björn Bauers von der Universität Leipzig: „Das wird durch eine zwischengeschaltete Geschäftsführungsgesellschaft erreicht. Und über diese GmbH soll sichergestellt werden, dass der Mutterverein den beherrschenden Einfluss auf die Spielbetriebsgesellschaft ausüben kann.“
Kind klagt auf Fortführung seiner Tätigkeit bei Hannover 96
Dafür müssen dem Mutterverein die Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnisse uneingeschränkt zustehen, erklärt Bauers. Das heißt, der Verein bestimmt, wer in der Kapitalgesellschaft Geschäftsführer ist. Das sei laut Deutscher Fußball-Liga DFL auch bei dem kaum durchschaubaren Firmenkonstrukt bei Hannover 96 zwischen Investor Martin Kind und dem eingetragenen Verein der Fall. Wörtlich heißt es von der DFL:
„Maßgeblich ist, dass der Hannover 96 e.V. als Alleingesellschafter der Hannover 96 Management GmbH weiterhin ein uneingeschränktes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung hat und auch gesellschaftsvertraglich die Rechte des Hannover 96 e.V. unverändert bleiben."
Muttervereine haben bisher das letzte Wort
Seit Jahren tobt genau darum ein heftiger Streit in Hannover. Martin Kind und seine Mit-Investoren, unter anderem Unternehmer Dirk Rossmann von der gleichnamigen Drogeriekette, haben in die Profis investiert – dürfen aber wegen der Regel nicht allein darüber bestimmen, wie das Geld eingesetzt wird. Deshalb will sie Martin Kind schon immer abschaffen. Vor kurzem betonte er noch in einem Podcast:
„Meine Theorie ist klar: Wir können nicht nach politischen Themen Geschäftsführer auswählen, sondern nach Qualitäten. Denn der hat die Interessen der Kapitalgesellschaft zu vertreten. Er kann nicht auf Empfehlung oder Anweisung des Vorstandes des e.V. Entscheidungen treffen, die abweichend sind von den genehmigten Investitionen, Haushalt und ähnlichem. Deshalb bin ich der Auffassung, bei der Berufung der Geschäftsführung muss auch die Kapitalseite mindestens das Vorschlagsrecht haben oder besser noch das Sagen.“
Völlig anders sieht das naturgemäß der gewählte Vorstand des Muttervereins bei Hannover 96. Robin Krakau, seit 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender erklärte gegenüber im Sport-Inside-Podcast:
„Wir gehen da tatsächlich eher in die andere Richtung, ohne jetzt das Thema Investoren und Geldgeber da irgendwie komplett auf den Prüfstand zu stellen. Es geht einfach letztlich nur um dieses Stimmrecht, dass die Muttervereine das letzte Wort haben müssen, wenn es um etwas geht. Es stellt keiner in Frage, dass Verträge geschlossen werden dürfen zwischen Investoren und dem Profifußball-Gesellschaften. Aber wie gesagt, das Stimmrecht sollte halt weiterhin bei den Vereinen bleiben.“
Gericht soll klären, ob der Vorstand Kind ablösen durfte
2019 wurde Martin Kind als Vorstandschef des eingetragenen Vereins abgewählt. Der damals gewählte neue Aufsichtsrat bestand erstmals aus Befürwortern der 50+1-Regel und bestimmte qua Satzung den Vorstand, in dem Fall ohne Martin Kind. Seitdem konnte er nicht mehr als Investor und gleichzeitiger Vorstandsvorsitzender bei 96 durchregieren, was auch unter 50+1 regelkonform gewesen ist.
Diese beiden bisher unvereinbaren Standpunkte des Vereins und der Kapitalgesellschaft treffen sich jetzt vor Gericht. Das wird vor allem klären müssen, ob das Weisungsrecht des Vereins in Hannover noch uneingeschränkt gültig ist. Denn Kind klagt gegen seine Absetzung als Geschäftsführer der Profis durch den Vereinsvorstand. Dieser hätte dazu nicht die Befugnis, obwohl genau das die 50+1-Regel sicherstellen soll.
Deshalb führen Konstrukte wie bei Hannover 96 unweigerlich zu Konflikten, wie Wissenschaftler Sebastian Björn Bauers immer wieder feststellt. „Der Kern der 50+1-Regel ist die Beschränkung des Einflusses beziehungsweise der Stimmrechte von Investoren. Reguliert wird hier also ein rechtlich bedingter Einfluss, wirtschaftlich bedingter Einfluss wird aktuell mit der 50+1-Regel nicht reguliert.“
Sollte Martin Kind Recht bekommen und damit gegen den Willen des Vereins im Amt bleiben dürfen, wäre de facto die Weisungsbefugnis des Vereinsvorstands – und damit auch ein Stück weit 50+1 - ausgehebelt.