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Martin Luther
Sterbebühne für den Reformator

Angesichts des 500-jährigen Reformationsjubiläums 2017 wurde auch das Museum "Sterbehaus Luthers" am Andreaskirchplatz in Eisleben renoviert – geschuldet einem historischen Irrtum. Neuere Forschungen belegen, dass das tatsächliche Sterbehaus ein anderes Gebäude in der Stadt sein soll.

Von Wolfram Nagel | 21.03.2014
    Zu sehen ist das angebliche Sterbehaus Luthers in Eisleben mit einem beige-aprikosenfarbenen Anstrich und gothischen Fenstern.
    Lange Zeit galt, dass der deutsche Reformator Martin Luther (1483-1546) in diesem Haus in Eisleben starb. (picture-alliance / dpa)
    Der Marktplatz von Eisleben. Die Fußwege vor den Häusern sind mit bronzenen Lutherrosen geschmückt, dem Wappen der Familie Luther. Sie markieren den örtlichen Lutherweg durch die Stadt. Der Marktplatz selbst wird von einem riesigen Lutherdenkmal dominiert. Die Körperhaltung und die Ornamente am Sockel zeigen, wie der Reformator nach der deutschen Reichseinigung von 1871 verehrt wurde.
    "Das Eislebner Lutherdenkmal zeigt eben 1883 ganz viel vom Kulturkampf Bismarcks mit der katholischen Kirche. Luther wird sozusagen als der Kämpfer gegen den Papst dargestellt, der die Bann-Androhungsbulle zerknüllt mit forschem Schritt. Hier im Sockel sieht man das auch. Das Leipziger Religionsgespräch mit einem ganz bösen, teuflischen Eck, möchte man sagen, mit langen dürren Fingern und fettigen Haaren, und daneben eben Luther, der die Bibel an sein Herz drückt. Also Kulturkampf pur."
    So der Historiker Christian Philipsen von der Stiftung Luther-Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Das Lutherdenkmal von Eisleben unterscheide sich wesentlich von dem 60 Jahre früher entstandenen Standbild in Wittenberg.
    "Das Wittenberger Denkmal von Schadow zeigt noch einen ganz anderen Luther, den romantischen Luther, da ist Luther viel vergeistigter, viel verklärter. Hier ist er eben der deutsche Held."
    Dem auch ein ganz besonderes Sterben nachgesagt wurde. Am vermeintlichen Sterbehaus, oberhalb des Marktes, am Andreaskirchplatz 7, verkündet eine Tafel:
    In diesem Hause starb Dr. Martin Luther am 18. Februar 1546.
    Ein historischer Irrtum. Das tatsächliche Sterbehaus befindet sich am Markt, fast in Höhe des Rathauses. Es beherbergt heute das Hotel "Graf Mansfeld".
    "Im 19. Jahrhundert wurde dieses Haus in gutem Glauben für Luthers Sterbehaus identifiziert. Man hat eine Chronikstelle und einen urkundlichen Beleg falsch interpretiert, und dann wurde hier im Haus diese Gedenkstätte eingerichtet. Direkt gegenüber steht die Andreaskirche, der Ort von Luthers letzter Predigt am 15. Februar, also drei Tage vor seinem Tod. Das Haus wird 1865 vom preußischen Staat angekauft, eben damals im guten Glauben, es sei das Sterbehaus und dann innerhalb von drei Jahren umgestaltet, im Sinne des Historismus."

    Der Restaurator und der Leiter der Luthergedenkstätten Eisleben enthüllen am Mittwoch (12.01.2011) die restaurierte Büste Martin Luthers an seinem Geburtshaus in der Lutherstadt Eisleben. Die Büste war im Oktober 2010 von ihrem Sockel gestoßen worden. Die
    Der Reformator Martin Luther (picture alliance / dpa/ ZB)
    Splitter-Klau aus Luthers Holzbett
    So entstand aus dem eher unscheinbaren Biedermeierhaus am Andreaskirchplatz ein neogothischer Repräsentationsbau mit Sitznischenportal, Maßwerk-Fenstern und Innenhof. Ursprünglich befand sich das Memorial tatsächlich im authentischen Sterbehaus. Es gehörte der Familie Drachstädt, bei der Luther auf seiner letzten Reise logierte.
    "Das authentische echte Sterbehaus wird bereits im Sommer 1546 eröffnet und zieht sofort Besucher aus aller Welt an, auch Luther-Pilger. Und jetzt entsteht etwas, was der Evangelischen Kirche, der lutherischen Orthodoxie, ein Dorn im Auge ist. Es entsteht eine Art Pilgerwesen, die Besucher nehmen sich von Luthers Bett Splitter mit nach Hause, darüber berichten die städtischen Quellen."
    Mehr als 150 Jahre lang schnitzten Pilger kleine Reliquie aus dem Sterbebett, bis die lutherische Geistlichkeit im Jahre 1707 beschloss, diesen Götzenkult zu unterbinden:
    "Das Sterbehaus wird geschlossen und Luthers Sterbebett wird verbrannt. Ganz radikal. Um den katholischen Pilgerglauben zu unterbinden. Und darüber gerät das authentische Sterbehaus in Vergessenheit."
    Der Kult um Luthers Tod wurde nach Eröffnung des neuen Sterbehauses Ende des 19. Jahrhunderts wieder angefacht. Friedrich Wanderer, Kunstprofessor aus Nürnberg, gestaltete das Museum nach Vorlage des Sterbeberichts von Justus Jonas. Der Hallenser Pfarrer und Reformator hatte Luther auf seinem letzten Weg begleitet. In seinem Bericht sind zwei Räume beschrieben, ein Schlafraum mit Bett und ein Wohnraum mit einem ledernen Ruhebettlein, auf dem Luther starb. In Raummitte steht heute ein stilisierter Sarg mit Luthers Bahrtuch:
    "Sozusagen dem Allerheiligsten des Sterbehauses, der Reliquie des Hauses. Das Bahrtuch war 1886 von der Stadt Eisleben angekauft worden von Nachfahren der Familie Luther. Das ist das Tuch, mit dem Luthers Sarg auf der Reise von Eisleben nach Wittenberg bedeckt war und was dann Katharina von Bora übergeben wurde."
    Ein Bühnenbild für Luthers Tod
    Für seine Inszenierung ließ Wanderer auch Gemälde im Stile Lukas Cranachs anfertigen. Sie zeigen Luther, Katharina von Bora, Melanchthon, die Reformationsfürsten Friedrich den Weisen und Philipp von Hessen, sowie Kaiser Karl V., Luthers Verfolger und Widersacher. 1906 kam ein großformatiges Bild der "Sterbestunde" hinzu.
    Unmittelbar nach Eröffnung des Sterbehauses 1894 wurden Besucher noch über die sehr theatralische Inszenierung informiert.
    "Wir nennen sie ein Bühnenbild für Luthers Tod. Wenige Jahre später wurde den Besuchern schon verschwiegen, dass es sich um eine Inszenierung handelt. Es gibt einen Reiseführer aus dem Jahr 1913, Ludwig Schneller, berühmter lutherischer Theologe, beschreibt seine Reise zu Lutherstätten, Eisleben, das Sterbehaus leitet er ein mit den Worten, ziehe deine Schuhe aus, du stehest auf heiligem Boden, und dann berichtet er über diese Räume so, als ob sie authentisch wären und er noch Luthers Atem spüren könnte."
    Wie in Caspar Othmayrs Trauergesang "Epitaphium Lutheri" von 1546. In Anlehnung an Jesu letzte Worte am Kreuz hat der evangelische Theologe und Komponist Luthers letzte Worte auf seinem Eislebener Sterbebett vertont.
    Martin Luther lebte nicht gerne in Wittenberg. Wann immer es ihm möglich war, reiste er ins heimatliche Mansfeld oder nach Eisleben. Häufig beriet er dort die Grafen von Mansfeld in theologischen oder weltlichen Angelegenheiten. So war es auch im Februar 1546, in einem bitterkalten Winter. Er wurde gerufen, um Erbstreitigkeiten zu schlichten. Von Wittenberg aus führte der Weg über Bitterfeld und Halle nach Unterrissdorf bei Eisleben. Dort erlitt er einen Herzanfall. Begleitet wurde er von Pfarrer Justus Jonas, dem Reformator von Halle. Der 63-Jährige ahnte, dass es seine letzte Reise sein könnte:
    "Damals mit 63 Jahren ein alter Mann. Er beschreibt sich auch in einem letzten Brief vor seiner Abreise als alt und krank, halb taub, halb blind."
    Luthers antisemitische Texte
    Luther schlichtete erfolgreich den Erbstreit und predigte am 15. Februar noch in der Eislebener Andreaskirche. Zwei seiner Schüler wurden ordiniert. Diese Predigt war für die Ausstellungskuratoren auch ein Anlass, in der neuen Dauerausstellung Luthers Judenhass am Ende seines Lebens zu thematisieren.
    "Ein Thema, das man nicht ausklammern kann, gerade in Luthers letzten Lebensjahren, ist sein Blick auf die Juden, sein Antijudaismus, muss fast sagen, sein Antisemitismus, weil sich in Luthers Texten aus dieser Zeit auch Passagen finden, die fast rassistisch sind. Er schreibt 1543 seine Schrift von den Juden und ihren Lügen, in denen er die Fürsten aufruft, die Synagogen zu verbrennen, die Juden auszuweisen oder wie Tiere in Ställen zu halten."
    Drastische Forderungen, die er in der Andreaskirche noch einmal wiederholte.
    "Im Anschluss an die Predigt verkündet er von der Kanzel einen Aufruf an die Grafen von Mansfeld, die Eislebner Juden zu vertreiben."
    Die letzten Lebensstunden Luthers, ja die letzten Lebensminuten sind genau dokumentiert. Es war ein öffentliches Sterben mit zahlreichen anwesenden Personen. Jede Einzelheit hat sein Sterbebegleiter Justus Jonas aufgezeichnet, nachzuhören in einer Hörstation des Museums:
    "O Herr Gott, Dr. Jonas, wie ist mir so übel, mich drückt' s so hart um die Brust, o ich werde in Eisleben bleiben."
    "Die Anwesenden lassen ihn nicht sterben. Immer wieder, wenn Luther abgleitet in den Tod, wird er wach gemacht, er wird angeschrien, er wird wachgerüttelt, er wird mit kalten Tüchern abgerieben, man verabreicht ihm Alkohol, um ihn wieder ins Leben zu holen und um bestimmte Gebete mit ihm zu sprechen."
    Die sonst üblichen Sterbesakramente empfing Luther nicht. Wichtig war für ihn das Abendmahl in der Gemeinde, an dem er noch teilgenommen hatte. Für das letzte Abendmahl des Reformators steht ein originaler Kelch aus der Andreaskirche im Museum, eine Stiftung der Grafen Mansfeld, der bis ins 19. Jahrhundert hinein verwendet wurde. Seiner eigenen Theologie folgend, vertraute der Sterbende ganz auf die Gnade Gottes.
    "Wir haben hier an der Wand Luthers letztes Gebet. Das schließt eben mit einem ganz vertrauensvollen Ausspruch, Vertrauen in Gottes Gnade: Nimm mein Seelchen zu dir. Danach spricht Luther noch drei Mal den Sterbepsalm, in deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst du treuer Gott, so wie Christus ihn am Kreuz gesprochen hat, um sozusagen gerecht zu sterben. Da bleibt Luther traditionsbewusst, aber er gibt dem ganzen dann wieder eine theologische Wendung, wieder einen Blick auf Christus, er schließt an diesen Sterbepsalm an: Ja also hat Gott die Welt geliebt."
    Auch das Kruzifix im Sterbezimmer verdeutlicht Luthers Theologie. Christi Opfertod am Kreuz ist der Gnadenbeweis Gottes. Wer an ihn glaubt, dem steht das Himmelreich offen. Dazu brauchte es keine Heiligen, keine Ablassbriefe, kein Sterbesakrament, keine Jenseitsvorsorge. Die spätmittelalterlichen Sterbe- und Totenrituale wurden durch Luther und die Reformation von neuen Formen der Memoria abgelöst. Auch damit befasst sich das Sterbehaus in Eisleben:
    "Das sind vor allem Formen der Kunst, sind die Epitaphien, Erinnerungsbilder, aber eben noch wichtiger fast ein ganz eindeutig protestantisches Instrument der Sterbekultur, die Leichenpredigt, die es in der katholischen Kirche in dieser Zeit nicht gibt. Es geht jetzt nicht mehr darum, für die Zeit nach dem Tod vorzusorgen, sondern es geht jetzt darum, den Toten in seinem Verdienst im Diesseits zu würdigen."
    Trotz der musealen Inszenierung aus dem späten 19. Jahrhunderts, versucht das 2013 wieder eröffnete Museum, heute Luthers Sterben zu entmystifizieren. So wird beispielsweise ein gläserner Becher aus dem 16. Jahrhundert nicht mehr als jenes Glas vorgestellt, aus dem Luther seinen letzten Schluck getrunken haben soll. Tatsächlich hatte Friedrich Wanderer den Becher 1894 bei einem Leipziger Antiquitätenhändler für das Sterbehaus angekauft. Auch die ausgestellten Totenmasken Luthers sind Nachbildungen nach dem berühmten Totenbild Lukas Cranachs:
    "1926 rekonstruiert Hans Hahne, Professor in Halle, eine Totenmaske von Luther. Wir haben das so präsentiert, weil Objekt auch eine schauerliche Geschichte hat. Hans Hahne ist einer der frühen Rassekundler, und mit Hilfe dieser Rekonstruktion erklärt er dann in einer Schrift Luthers nordische, arische Rassemerkmale."
    Neben Justus Jonas, dem Pfarrer der Andreaskirche oder den Grafen von Mansfeld war auch Luthers Sohn Paul im Sterbezimmer anwesend. Er studierte später Medizin und wurde Leibarzt der Kurfürsten von Sachsen. Von ihm wissen wir die Todesursache seines Vaters:
    "Viele Jahre nach Luthers Tod, 1582, verfasst er einen Bericht über den Tod seines Vaters. Hier in diesem Text heißt es: Anno 1546 am 17. Februar ist mein liebster Vater, gottselig zu Eisleben in seinem Vaterland, in der Nacht um 11 Uhr am kardiogno schwerlich krank geworden. Das ist der Herzinfarkt."
    In Eisleben, also in seiner geliebten Geburts- und Taufstadt durfte der Reformator nicht bestattet werden. Kurfürst Johann Friedrich befahl den Grafen von Mansfeld, den teuren Toten nach Wittenberg zu überführen. Es war der Vorabend des Schmalkaldischen Krieges gegen Kaiser Karl V.