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Martin McDonaghs neueste schwarze Komödie

Martin McDonaghs "Eine Enthandung in Spokane" ist eine schwarze Komödie voll politischer Unkorrektheiten und sarkastischer Dialoge. Bislang als verständnisvoller Sozialanalytiker bekannt springt McDonagh jetzt in die Tarantino-Ecke.

Von Christian Gampert | 25.11.2011
    Der Phantomschmerz ist ein literarisch ergiebiger Topos: Da fehlt einem etwas Wesentliches, und man muss damit leben, dass das Abhandengekommene immer noch an einem zerrt und ruckelt, dass man es noch fühlt, obgleich es real schon verschwunden ist. Allerdings ist damit meist ein psychischer Zustand des Mangels gemeint, eine beendete Beziehung, ein sexueller Entzug. Man kann das natürlich auch radikal ins Körperliche übersetzen: Dann landet man entweder in der Sozialkritik oder beim Splatter-Movie. Der einarmige Franz Biberkopf wird einem vor allem als sozial und körperlich Versehrter in Erinnerung bleiben, als von der Gesellschaft ramponiertes menschliches Wrack. Das Gegenbild ist der Horrorfilm, wo um des bloßen Effektes willen das Blut spritzt und Beinamputierte ihre Stümpfe recken.

    Bei Martin McDonagh geht es nun um eine Hand, die ab-handen kam und wiedergefunden werden soll; nicht die Hand Gottes, sondern die Hand eines gewissen Carmichael, der als Heranwachsender in die Fänge einer sadistischen Jugendgang gerät. Er wird an ein Bahngleis gezwungen und mittels eines darüber rollenden Zuges "enthandet", wie der Autor das nennt. Dann winken ihm die perversen Quälgeister mit seiner eigenen, abgetrennten Hand einen höhnischen Abschiedsgruß zu ...

    Diese grelle Exposition, von der Hauptfigur vorgetragen, ist aber schon das Beste an diesem Stück, das dann ziemlich lange auf der Stelle tritt und sich im komischen Horror-Genre versucht. Die Regisseurin Cilli Drexel beginnt in Mannheim mit einer Stummfilm-Etüde, um sich an die angeblich filmische Erzählweise des Stücks anzuhängen, und möchte dann so eine Art gruftiges Unterhaltungs-Theater machen. Sie zeigt uns die Langeweile eines nach schrillen Erfahrungen gierenden Hotel-Portiers, in dessen Etablissement der verstümmelte Carmichael nun ein mysteriöses Gangsterpärchen trifft, das gleich einen ganzen Koffer abgehackter Hände mit sich führt – das Makabre im Sonderangebot sozusagen. Und so geht es weiter, eineinhalb Stunden lang.

    Für den Autor Martin McDonagh ist das ein absoluter Stilwechsel: Er war bislang als verständnisvoller Sozialanalytiker bekannt und springt jetzt in die Tarantino-Ecke, in den coolen, komödiantischen Zynismus der Pulp Fiction, der Schmuddelliteratur. Eine wirkliche Erklärung für diesen Sinneswandel gibt es nicht. Vielleicht wollte McDonagh auch auf dem Theater zurück zum filmischen Erzählen – für "Six Shooter", ein schräges Opus über allerlei Selbstmorde und Unglücksfälle, bekam er 2006 immerhin den Kurzfilm-Oscar. Vielleicht hatte er es auch einfach satt, immer nur seine irischen Wurzeln zu erkunden und diesen Kroetzschen Wohnküchen-Realismus zu bedienen – am schönsten (und tragischsten) war das in der "Schönheitskönigin von Leenane", wo eine verblühende Dorfgrazie immer altjüngferlicher wird, weil sie ihre herrschsüchtige Mutter pflegen muss und nicht davonzulaufen wagt ...

    Jedenfalls: McDonagh trägt in seinem neuen Stück ziemlich dick auf, und die Regie steht dem völlig hilflos gegenüber. Der Zusammenprall der vier schrillen Figuren ist in Mannheim unbeschreiblich öde, weil sie sich zwar gegenseitig an die Heizung ketten und fiese Vorurteile gegen Schwarze und Schwule um die Ohren hauen, aus McDonaghs mild ironischer Splatter-Film-Parodie aber keinerlei Witz zu schlagen vermögen. Michaela Klamminger ist in ihren High Heels und Ringelstrümpfen eine hoffnungslos überdrehte Gangsterbraut, Martin Aselmann ein bleich geschminkter Portiers-Clown, und Peter Pearce ermüdet uns mit schwulen Klischees. Einzig Ralf Dittrich als einhändiger Rächer hat den totenblass flackernden Nosferatu-Blick – aber er ist umstellt von den ständigen Witzeleien hysterischer Pseudo-Gangster. Warum gibt es so viel Bullshit, fragt der Philosoph Harry G. Frankfurt im Programmheft. Die Antwort ist einfach: Weil es immer jemanden gibt, der Bullshit für Theater hält.