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Martin Roth rät zu Dialogbereitschaft mit Russland

Martin Roth, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, mahnt zu mehr Sensibilität in der Beutekunst-Debatte mit Russland. An diesem Punkt habe Deutschland "einen ganz gewaltigen Nachholbedarf". "Da kann man nicht immer drauf warten, dass der andere kommt, sondern da muss man selbst auf die anderen zugehen", sagte Roth.

Moderation: Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Stalin, Chruschtow, Breschnew und Co. - die Kunsthistorikerin Irina Antonova hat sie alle überlebt und überstanden und dabei eine grandiose Karriere gemacht. 1961 wurde sie die Direktorin des Moskauer Pushkin-Museums, in dem seit Kriegsende die sogenannte Beutekunst aus Deutschland lagert, lange verleugnet, neuerdings in prachtvollen Ausstellungen hergezeigt. Mit Irina Antonova gibt es selten Interviews, aber die Zeitschrift "Cicero" hat es in ihrer neuen Ausgabe geschafft, und so fällt uns in die sofort klammen Finger die Titelzeile: "Es gibt keine Ansprüche mehr". Irina Antonova erklärt also die deutsch-russische Beutekunst-Debatte für beendet.

    Frage an Martin Roth, den Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und früheren Chef des Deutschen Museumsbundes: Wie bewerten Sie diese Aussage? Spricht Frau Antonova für sich oder im Namen der hohen Politik?

    Martin Roth: Ja, Herr Müller-Ullrich, das ist keine so einfache Frage, vor allen Dingen, weil man Frau Antonova in all den letzten Jahren immer sozusagen auf diesen einen Satz reduziert. Also, sie hat einfach doch eine ganze Menge geleistet und viel in Bewegung gebracht, auch in der Zusammenarbeit. Und ich denke, man müsste schon immer sozusagen das Gesamtbild betrachten. Nichtsdestotrotz lese ich das natürlich auch nicht gerne, aber das ist sozusagen Bestandteil eines langwierigen Prozesses, und da gehört nun mal dieses Ping-Pong und diese Spielchen dazu.

    Müller-Ullrich: Spricht sie in ihrem Namen, oder glauben Sie, dass dahinter Politik steckt?

    Roth: Ich weiß nicht, ob Sie die Antwort mögen, aber ich glaube, dass wir das alles überhaupt nicht richtig verstehen. Und ich maße mir selbst auch nicht an, dieses Ganze verstehen zu können. Ich weiß einfach aber auch auf der anderen Seite, dass es in Russland nach wie vor - und das ist verständlich -, nach wie vor extrem viele Menschen gibt, die einfach mit Deutschland fürchterlich hadern. Man hadert einfach damit, dass wir Deutschen glauben, man könne das alles irgendwie vergessen machen, und dabei, und das ist halt das Irrwitzige dabei, ist bei den meisten Russen sozusagen das deutsche Volk oder sind die Deutschen diejenigen, die als die größten Freunde betrachtet werden. Also, das ist so ein ganz komisches, ambivalentes Verhältnis, das wir ganz schwer nachvollziehen können. Und ich glaube, das drückt sich auch in der Persönlichkeit von Irina Antonova aus, die ja nicht nur perfekt Deutsch spricht, sondern als Kind in Berlin gelebt hat, für die die deutsche Kultur - vor allen Dingen die Musik, sie ist eine große Musikliebhaberin – sozusagen, ich glaube, ihr ganzes Leben bestimmt hat und sie macht das sehr plastisch deutlich und sagt, sie hatte während dem Studium nur Museen, in denen nichts mehr hing, weil die Deutschen es geraubt hatten, und für sie war das halt Ersatz. Ich will es damit nicht verstehen oder erklären, ich will nur sagen, das ist einfach nicht so plakativ und deutlich zu verstehen und wahrnehmbar.

    Müller-Ullrich: Aber, Herr Roth, Entschuldigung, aber so, wie Sie jetzt sprechen, scheint es, dass Sie den Satz, es gebe keine Ansprüche mehr - und sie meint natürlich die deutschen Ansprüche gegenüber den in der russischen Föderation lagernden Beutekunststücken -, dass Sie das gar nicht so ernst nehmen.

    Roth: Klar, ich nehme den Satz ernst und ich lese das, nur, wissen Sie, genauso wenig, wie ich das zu entscheiden habe in Deutschland, wie man damit umgeht, ist es auf der anderen Seite bei Irina Antonova. Das ist eine Frage, und auf die will ich gerade raus, das ist eine Frage der Politik. Wir aus dem Museumsbereich, wir können den wissenschaftlichen Anteil leisten, wir können die Recherchearbeit leisten. Die Frage der politischen Entscheidungen, die können wir nicht beeinflussen. Die können wir durch inhaltliche Arbeit unterstützen, aber letztendlich - und da denke ich, kann man von Herrn Neumann viel erwarten, und ich hoffe, dass er auch das leistet, was er verspricht - wir können nur hoffen, dass die Politik parallel dazu die entsprechenden Schritte einleitet und vor allen Dingen das gute Verhältnis auch tatsächlich dann in eine gute Politik umsetzt.

    Müller-Ullrich: Was wäre Ihre dringendste Forderung an Neumann?

    Roth: Den Dialog wieder herzustellen, überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen. Weg von diesem permanenten Thema Beutekunst! Wir sind doch so aufgetreten im Prinzip Anfang der 90er Jahre, dass wir gesagt haben, so, neue politische Systeme, neue Zeit, Krieg vergessen, jetzt legen wir doch mal los und verlangen alles zurück. Das muss schon mit mehr Sensibilitäten umgesetzt werden, und dazu braucht es vor allen Dingen mal eine große Dialogbereitschaft. Und da kann man nicht immer drauf warten, dass der andere kommt, sondern da muss man selbst auf die anderen zugehen. Und ich glaube, da haben wir in Deutschland noch mal einen ganz gewaltigen Nachholbedarf. Und ich weiß aus eigenen Gesprächssituationen, dass die Bundeskanzlerin da durchaus sehr offen ist, führt sehr direkte Gespräche, was Herr Schröder, der Ex-Bundeskanzler, nicht immer war. Also, deshalb, die Politik, ich kann nur daran appellieren, sollte einfach jetzt wieder deutlich mehr dafür tun, um diesen Dialog fortzuführen.

    Müller-Ullrich: Herr Roth, vielen Dank für das Gespräch. Das war Martin Roth, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden.