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Martin Schulz im Wahlkampf
Abgeschlagen, aber kämpferisch

Erst der Hype, dann der Absturz: So eine Achterbahn der Gefühle hat wohl nie ein SPD-Kanzlerkandidat im Wahlkampf erlebt. Martin Schulz zeigt sich davon wenig beeindruckt. Unermüdlich kämpft wider alle Prognosen für eine SPD-geführte Regierung.

Von Frank Capellan |
    SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gestikuliert am 23.08.2017 bei einem Wahlkampfauftritt in Göttingen (Niedersachsen).
    Machen Sie ein typisches Handzeichen: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz liebt den hochgestreckten Daumen (dpa / Swen Pförtner)
    Wahlkampf schlaucht. Wie sehr, das spürt Martin Schulz schon im Frühjahr 2014. Als Chef des Europäischen Parlamentes geht er damals in das Rennen um die Kommissionspräsidentschaft. Als Nr. 1 der europäischen Sozialdemokraten lebt Martin Schulz über Wochen fast schon im Flugzeug. Unentwegt unterwegs, scheinbar unermüdlich.
    "Es könnte allerdings sein, dass ich kurz nach dem Start in einen komatösen Tiefschlaf verfalle, aus dem ich mich nicht wecken lasse!"
    2017 ist Martin Schulz wacher denn je. Der Mann aus Würselen erlebt eine Achterbahn der Gefühle. Als Sigmar Gabriel ihm im Januar das Feld überlässt und Schulz überraschend Kanzlerkandidat wird, entwickelt sich ein nicht für möglich gehaltener Hype um seine Person. Als ihm seine Partei im März bei der Wahl zum Parteivorsitzenden hundertprozentiges Vertrauen ausspricht, als seine Beliebtheitswerte kurzzeitig über denen der Kanzlerin liegen und die SPD in den Umfragen erstmals seit Jahren wieder über die 30 Prozent Marke klettert, da wittert Martin Schulz die Chance, Angela Merkel tatsächlich zu beerben - ein Hauch von Wechselstimmung scheint sich breit zu machen.
    "Dass ich die SPD glücklich mache, das macht mich glücklich"
    Das Problem: Er schätzt seine Gegnerin
    Doch Schulz hat ein Problem, das er schon aus dem Europawahlkampf im Jahr 2014 kennt. Damals tritt er gegen den Konservativen Jean-Claude Juncker an, gegen einen Konkurrenten, mit dem er sich stets gut verstanden hat, den er zuweilen sogar als Freund bezeichnet. Auch mit Angela Merkel arbeitete der SPD-Vorsitzende als Europapolitiker meist gut zusammen. Beide schätzen und respektieren sich, daraus machen sie in einem langen ARD-Portrait keinen Hehl.
    "Ich schätze an Angela Merkel, dass sie sehr präzise ist. Mit Angela Merkel kommt man relativ schnell zum Punkt."
    "Er ist ein sehr begabter Rhetoriker und kann damit auch Menschen durchaus erreichen und auch überzeugen, gerade auch im Blick auf das europäische Projekt!"
    Kennen und respektieren sich gegenseitig, sind aber Gegner im Wahlkampf: Martin Schulz und Angela Merkel
    Kennen und respektieren sich gegenseitig, sind aber Gegner im Wahlkampf: Martin Schulz und Angela Merkel (Olivier Hoslet/EPA/dpa)
    Wer sich derart wertschätzt, dem kann es nicht unbedingt leichtfallen, den politischen Gegner hart anzugehen.
    Martin Schulz weiß, dass er nicht überziehen darf. Seine SPD steckt im bekannten Dilemma: Allzu scharfe Angriffe nehmen ihm die Wähler nicht ab, schließlich regiert seine Partei noch mit der Union. Genau aus diesem Grund vermied es der Kanzlerkandidat nach seiner Nominierung, ein Ministeramt im Kabinett Merkel anzunehmen, wenngleich er seine außen- und europapolitische Kompetenz als Außenminister durchaus hätte zur Geltung bringen können.
    "Vor allem: Jungen Menschen wird doch in unserem Land viel zugemutet. Sie sollen ne ordentliche Ausbildung machen. Sie sollen sich im Job weiterbilden. Sie sollen ne Familie gründen und im Idealfall sollen sie sich auch noch ehrenamtlich engagieren. Toll!"
    Das Thema Gerechtigkeit allein reicht nicht
    Der Wahlkampf des Martin Schulz beginnt am 20.Februar 2017 in Bielefeld. Auf einer Arbeitnehmerkonferenz lässt sich ein kämpferischer Kanzlerkandidat feiern, Schulz spricht vor allem zu den eigenen Genossen.
    "Auf der Grundlage von dauerhaften Arbeitsverhältnissen, die allesamt gut bezahlt werden, kann man das alles leisten, aber sicher nicht mit ständigen Befristungen. Darum werden wir die Möglichkeiten der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen, wenn ich nach dem 24. September Bundeskanzler bin!"
    An diesem Tag wird der Gerechtigkeitswahlkampf des Martin Schulz erfunden. Deutschland geht es gut, aber längst nicht jedem, und: die Menschen haben Angst, dass es ihnen irgendwann schlechter gehen könnte. Mit dieser These zieht Martin Schulz fortan durch die Republik.
    "Es gibt keine Gerechtigkeit, solange auch nur einem einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft Unrecht widerfährt, aber ich will, dass es Gerechtigkeit in unserem Land gibt."
    Dass sich mit einem diffusen Gerechtigkeitsgefühl allein keine Wahl gewinnen lässt, wird allerdings sehr schnell deutlich. Zu unkonkret sei er mit seinen innenpolitischen Vorstellungen, wird ihm vorgehalten. Nach fulminantem Auftakt verliert Schulz an Strahlkraft. Anders als von den Sozialdemokraten erhofft und erwartet gehen die Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen krachend verloren. Dass er sich gerade an Rhein und Ruhr aus dem Wahlkampf herausgehalten hat, betrachtet Schulz heute als großen Fehler, steht er doch bei außenpolitischen Fragen zuweilen im Schatten von Außenminister Sigmar Gabriel.
    Der SPD-Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende, Martin Schulz, beim Parteitag in Dortmund
    Schulz will, dass es "Gerechtigkeit in unserem Lande" gibt - seinen Kritikern ist das zu wenig konkret (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    "Ja, ich hab mich geärgert, ich hätte vielleicht zu einem viel früheren Zeitpunkt Europa thematisieren müssen, ja , ihre Frage berührt einen Punkt, wo ich denke, ich hätte mich intensiver als ich das jetzt tue zur Europapolitik äußern müssen!"
    "Ich grüße Sie im Namen der Aktion für mehr Demokratie. Wir sind eine Bürgerinitiative, die in Wahlzeiten sich auch aktiv immer in die Wahlen einmischt, unabhängig, der SPD verbunden, kritisch verbunden."Berlin Mitte, Ständige Vertretung, Politkneipe vis a vis des Bahnhofs Friedrichstrasse. Traditioneller Treffpunkt von SPD-Anhängern, Gerhard Schröder aß hier seine Currywurst, Johannes Rau trank hier ein Pils, das eigens vom Nachbarwirt geholt werden musste, weil es in der sogenannten STÄV nur Kölsch gibt. Fotos an den Wänden zeugen von den Besuchen prominenter Politiker, die in Schwarz-weiß erinnern an besonders goldene Jahre der deutschen Nachkriegs-SPD, allgegenwärtig ist da vor allem Willy-Brandt, für den auch Klaus Staeck als junger Künstler schon in den Wahlkampf gezogen ist. Der langjährige Präsident der Akademie der Künste geht auf die 80 zu, anzumerken ist es ihm das nicht, als er sich knapp zwei Wochen vor der Wahl öffentlich für Martin Schulz stark macht und davor warnt, dessen Kanzlerschaft schon verloren zu geben.
    "Ich nenne, das mal Umfrageterror, der eigentlich uns suggeriert als sei das Ganze eine Geldverschwendung, was wir da am 24. September machen würden, es sei ja sowieso alles entschieden, dem widersprechen wir vehement. Sie merken an mir meine freudige Erregtheit, allgemein kann man ja hören, dass es da langweiligste Wahlkampf ist, na gut, dann muss man eben etwas dagegen tun, wir machen das auf unsere Weise!"
    Für Schulz ist Entpolitisierung eine "Katastrophe"
    Neben ihm sitzt Friedrich Schorlemmer, 73 Jahre alt. Als Theologe und Bürgerrechtler gestaltete er das Ende der DDR mit, schloss sich früh der SPD an. Heute wundert er sich über den Hass, den er nicht nur, aber gerade auf den Straßen Ostdeutschlands erlebt, und er kämpft gegen Rechtsextremismus, gegen die AfD. Dass eine Ostdeutsche, dass Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik zur Hassfigur der besonders Konservativen wurde, gibt dem Mann aus Wittenberge zu denken.
    "Es gibt viele Leute, die in der Union ihre Heimat hatten, sie da nicht mehr fanden und sich jetzt selbst verblöden mit Blick auf die Realität, die gucken nur noch durch Hassbrillen auf die Wirklichkeit. Die CDU hat es nicht geschafft, sie an sich zu binden, dass es nicht zu solchen Exzessen kommt"
    Das ist freundlich formuliert. Der SPD-Kanzlerkandidat geht die CDU-Vorsitzende im Laufe des Wahljahres immer schärfer an. Martin Schulz macht die Kanzlerin für eine Entpolitisierung verantwortlich, Merkel stelle sich wichtigen Fragen nicht, verweigere Antworten, ihr Wahlkampf sei frei von Inhalten und allein auf ihre Person geschneidert. Ende Juni auf dem Dortmunder SPD Parteitag bringt Schulz seine Kritik drastisch auf den Punkt.
    "Während wir uns mit unseren Ideen der öffentlichen Debatte und Auseinandersetzungen stellen, wird auf der anderen Seite - geschwiegen. Es gibt ja Angela Merkel. Das reicht ja. Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie"
    "Diese Entpolitisierung ist für die Demokratie eine Katastrophe. Und als er gesagt hat, diese Verweigerung, was sind sie alle hergefallen über den Schulz. Es ist eine Form der Demokratie-Verweigerung!"
    Klaus Staeck fordert eine klare Auseinandersetzung mit Inhalten und ärgert sich darüber, dass Merkel in der Großen Koalition sozialdemokratische Erfolge für sich reklamiert. Das empfindet auch ein Musiker aus Leipzig (*) so, der sich ebenfalls öffentlich für die Wahl von Martin Schulz einsetzt: Sebastian Krumbiegel, Sänger der ostdeutschen Band "Die Prinzen".
    "Innerhalb der Koalition hat natürlich die SPD für Dinge gekämpft, für Mindestlohn, für Ehe für alle, und dass sie dann am Ende sagt, hey Leute, guckt mal hier, ich bin die Chefin, das ist auf meinem Mist gewachsen, das ist das, was nicht hinhaut!
    Krumbiegel schmunzelt. Die Gabe, sich mit fremden Federn zu schmücken, die besitze die Kanzlerin durchaus, irgendwie verhält es sich mit ihrer Politik doch ein wenig so wie in einem alten Prinzen-Hit beschrieben "alles nur geklaut!", findet er.
    Erfolgreich bei jungem Publikum
    "Bitte begrüßen Sie mit mir den Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und den nächsten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland: Martin Schulz!"
    Bei Kritik an einer Kanzlerin, die auf ein "Sie kennen mich und Sie wissen, was Sie an mir haben" setze, kann es der Herausforderer nicht belassen. Ende vergangener Woche stoppt der Kanzlerkandidat im Rahmen seiner "Martin Schulz live"-Tour, im niedersächsischen Braunschweig. Gerade noch hat es wie aus Eimern geschüttet, als sich Schulz einen Weg durch die Menge bahnt, da kommt tatsächlich die Sonne raus. Der Weg ist nicht weit, aber es dauert lange, ehe der Kandidat auf der Bühne ankommt. Es ist immer wieder dasselbe Ritual, wenn Schulz auftaucht, muss er erst einmal sein Gesicht für ein Selfie in eine Smartphone-Kamera stecken oder Autogramme geben.
    Sommerreise von SPD-Kanzlerkandidat Schulz nach Hamburg
    Bei Martin Schulz' Auftritten kommt viel junges Publikum - hier im Airbus-Werk (Christian Charisius/dpa)
    "So, vielen, vielen Dank. So. Kann ich auch noch ein Autogramm haben. Die Jusos, für ein Bild? Ja natürlich! - So, ihr lieben Jusos!"
    Immer noch wird er manchmal wie ein Pop-Star gefeiert, ganz wie zu Beginn der Schulz-Euphorie, und es sind beileibe nicht nur Jusos, die sich für den 61jährigen begeistern. Etwa 1.500 Menschen sind auf den Schlossplatz von Braunschweig gekommen, geschätzt die Hälfte davon ist deutlich unter 30. Darüber freut sich Carola Reimann, die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete, ganz besonders:
    "Das ist auch etwas, was Martin Schulz auszeichnet. Wenn wir sonst Veranstaltungen haben, kommt eher so´n mittelaltes Publikum, die Senioren kommen natürlich. Wir sind sehr zufrieden, das ist für Braunschweig sehr, sehr viel. Sonst haben so Kundgebungen ein paar Hundert, über tausend Leute ist schon gut, 1.500 ist großartig!"
    Martin Schulz hat es inzwischen bis ganz nach vorn auf die Bühne geschafft, etwa 50 Minuten Wahlkampfrede liegen vor dem Mann, der als Hoffnungsträger seiner Partei, als Heilsbringer gestartet war und sich im Schlussspurt Umfragen gegenübersieht, die den Kampf ums Kanzleramt aussichtslos erscheinen lassen.
    Auf Veranstaltungen trifft er die Stimmung
    "Vielen Dank meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, herzlich willkommen, es ist schön bei Ihnen in Braunschweig auf dem Schlossplatz zu sein."
    Schulz kämpft. Von Resignation ist ihm nichts anzumerken. Er mache sich nichts vor, er kenne die Umfragen, sagt er, aber er setze auf die 40 Prozent der Unentschiedenen. Von denen stehen einige in Braunschweig gerade vor ihm. Schulz beginnt mit einem sozialdemokratischen Themenfeuerwerk. Gleiche Bezahlung für Mann und Frau, Schluss mit befristeten Arbeitsverträgen, Schluss mit der Zweiklassenmedizin. Genüsslich zitiert der Merkel-Kontrahent einen Satz von CDU-Generalsekretär Peter Tauber:
    "Ich wiederhole das noch einmal, wenn Sie was Anständiges gelernt haben, brauchen Sie keine drei Mini-Jobs. Was ist das für eine arrogante Aussage gegenüber den Leuten, die hart schuften müssen für ihren Lebensunterhalt!"
    Viel Beifall, Schulz trifft die Stimmung. Nur ganz hinten versucht ein offensichtlich verwirrter Mann seinen Auftritt zu stören, Ordner versuchen ihn zu beruhigen, Schulz kann nicht wissen, was genau dort vorgeht, aber er scheint auf solche Momente vorbereitet zu sein.
    "Wir wollen dieses Land besser machen, aber Störer: ich muss leise sein, ich muss leise sein, und du bist ein Mörder! – Schulz: Wenn gute Argumente Glückssache sind, dann bist du von einer Pechsträhne verfolgt, wirklich!"
    Überzeugt von Europa
    Und weiter im Text! Schulz spricht über die Türkei, ohne die Forderung nach Abbruch der Beitrittsgespräche zu wiederholen.
    "Da war eben ein junger Mann, der zu mir gekommen ist, ich weiß nicht, ob er noch hier ist, der gesagt hat, ich hätte Sie gewählt, aber die Kritik, die Sie an Herrn Erdogan geübt haben. Junger Mann, ich wiederhole die Kritik: Herr Erdogan bezeichnet die SPD als einen Feind der Türkei, Feinde der Türkei, das sind Leute, die in der Türkei die Demokratie abbauen, die Journalisten in den Knast stecken, die unschuldige Aktivisten in den Knast stecken, das sind Feinde der Türkei! Geben Sie diese Leute frei, Herr Erdogan!"
    Viel Applaus bekommt der SPD-Vorsitzende auch, als er über Europa spricht. Er erzählt von den Eltern, denen der Krieg das Leben so schwer machte, die zu glühenden Europäern wurden, damit sich dieses Elend niemals wiederhole. Schulz brandmarkt die rechtsnationalen Auftritte der AfD, bezeichnet die Partei als "Schande für Deutschland". Die Flüchtlingspolitik allerdings streift er nur. Schulz ist längst ins gemeinschaftliche Du übergegangen, als er darüber spricht, was er in den Zeitungen inzwischen alles über sich lesen müsse:
    "Na ja, was meint ihr, was ich mir da alles anhören muss!? - Hat ne Glatze, noch nie ist einer mit Bart Bundeskanzler geworden, hat den Charme eines Eisenbahnschaffners, die Ausstrahlung eines Sparkassenangestellten! - Was ist eigentlich das Schlimme an einem Eisenbahnschaffner? Was ist eigentlich das Schlechte an einem Sparkassenangestellten?? Die Verachtung, die daraus spricht, die ist schlimm!"
    Nie wieder eine Große Koalition?
    Schulz kommt an, er hat seine Anhänger hier, aber er überzeugt längst nicht jeden an diesem Nachmittag.
    "Klar und deutlich spricht er die Themen an, soziale Gerechtigkeit, und nicht so mit verschwurbelten und verdrehten Sätzen. - Ich finde persönlich Angela Merkel besser, diese ruhige Art, wie sie die Sachen händelt - Ich möchte einfach mal ne Veränderung haben, ich möchte mal gucken, ob er wirklich alles durchsetzt, was er erzählt, einfach mal ne Veränderung für Deutschland!"
    Veränderung für Deutschland? Ein Ende der Großen Koalition? Wenn er in Berlin von Journalisten gefragt wird, ob er denn noch einmal in ein Bündnis mit der CDU/CSU gehen würde, dann reagiert Schulz entweder genervt, ausweichend oder mit einem aufgesetzten Lachen, mit dem er sich wohl Zeit für die richtige Antwort verschaffen möchte.
    "Ist für Sie der Eintritt in ein Kabinett Merkel unverhandelbar? - Schulz lacht lange und laut: Ich strebe an, Bundeskanzler zu werden, Herr Sturm, mag ihnen nicht gefallen, ist aber so, und wenn Frau Merkel in mein Kabinett eintreten will, kann sie das gerne als Vizekanzlerin tun!"
    Wahlkampf der SPD - Martin Schulz
    "Jetzt Kanzler"? Das Ziel scheint weit entfernt, aber Schulz kämpft weiter (dpa)
    Dass es umgekehrt kommt, hat Schulz dennoch nicht ausgeschlossen. "Es wird keine Regierung unter meiner Führung geben, in der meine Kernforderungen zu gebührenfreier Bildung, zur Rente, zur gleichen Bezahlung und zu Europa nicht vereinbart sind!" verspricht er in den Wahlkampf-Arenen. Gerade in der Schlussphase sucht er nach Abgrenzung zur Union, ein Weiterregieren als Junior-Partner schließt er damit dennoch nicht aus. Klar ist nur, dass es noch einmal deutlich schwerer werden würde als 2013 seine Anhänger von einer neuerlichen Koalition mit Merkel zu überzeugen. Für einen älteren Herrn in Braunschweig steht der Kandidat im Wort.
    "Ich glaube nicht, dass er das, was er heute gesagt hat, in irgendeiner Weise als Kanzler konterkarieren würde und vor allem glaube ich nicht - das wollte ich ihm eigentlich noch persönlich sagen - , dass er eine Große Koalition noch mal eingeht, denn das wäre die totale Enttäuschung für mich."
    Und die Schulz-Unterstützer Friedrich Schorlemmer und Klaus Staeck fürchten den Niedergang der Sozialdemokratie, sollte ihre Partei noch einmal unter Merkel regieren müssen.
    "Also ich werde dringend davon abraten, eine Große Koalition einzugehen, weil wir das Ergebnis kennen! - Keine Große Koalition, das ist das Ende der SPD, bei der nächsten Großen Koalition geht die SPD den Bach runter!"
    "Ich kämpfe bis zur letzten Sekunde"
    Martin Schulz will unabhängig vom Wahlergebnis als Parteivorsitzender weitermachen, das hat er mehrfach betont. Wer genau hinhört, kann ihn auch durchaus so interpretieren, dass er seine Partei notfalls - ein erfolgreiches Mitgliedervotum vorausgesetzt - auch wieder in eine Regierung Merkel führen würde.
    "Warten Sie mal den Wahlabend ab, dann werden Sie die Prozession in Richtung Willy-Brandt-Haus schon sehen!"
    Vermutlich wird Angela Merkel tatsächlich um die SPD werben, sollte die Alternative nur ein möglicherweise wackeliges Dreierbündnis von Union, FDP und Grünen sein. Würden Verhandlungen über eine solche Jamaika-Koalition scheitern, wären die Sozialdemokraten gefragt. Könnten sie wirklich Nein sagen, sollte Deutschland nicht anders regiert werden können? Dass er, der mit Merkel persönlich doch eigentlich ganz gut kann, am Ende als Vizekanzler und Außenminister in Deutschlands Zentrale der Macht einziehen könnte, ist sicherlich kein Ding der Unmöglichkeit. Noch aber setzt der Wahlkämpfer Martin Schulz auf eine - nicht völlig abwegige - Hoffnung: Die, dass sich die Meinungsforscher noch einmal kräftig irren werden.
    "Meinetwegen lasst die anderen die Meinungsumfragen gewinnen, ist mir scheiß - Entschuldigung - ist mir egal. Ich kämpfe bis zur letzten Sekunde um jede Wählerin und jeden Wähler!"
    Wo die Unentschiedenen am Ende ihr Kreuz gemacht haben werden, ob sich sein unermüdlicher Kampf gelohnt hat, das wird er erst am Sonntag um 18 Uhr erfahren.
    (*) In einer ursprünglichen Version war irrtümlich von Halle die Rede.