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Martin Suter / Benjamin von Stuckrad-Barre: "Alle sind so ernst geworden"
Einfach mal loslabern

Der Schweizer Erfolgsautor Martin Suter und das allgegenwärtige Nervenbündel der deutschen Popliteratur, Benjamin von Stuckrad-Barre, sind ins Plaudern gekommen. Ihre kurzweiligen Podcast-Gespräche sind jetzt als Buch erschienen. Blühender Blödsinn gegen den Ernst des Lebens.

Von Julia Schröder |
Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter stehen lachend vor einer grauen Wand.
Angeblich trafen sich Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter zufällig in Badehosen in Heiligendamm - und verabredeten sich für ihr gemeinsames Buch (Maurice Haas / © Diogenes Verlag)
Wenn es nach der Anzahl der Blurbs geht, also der wohlmeinenden Sprüche und Zeilen, die einem neuen Buch von Freunden und Kollegen des Autors gespendet werden, damit sein Verlag damit werben kann, wenn es also nach der Menge dieser Blurbs ginge, dann müsste "Alle sind so ernst geworden" geradezu unübertrefflich sein. Fünf, sechs Dutzend Autorinnen, Musiker, Comedians, Schauspielerinnen und andere Influencer von Klaas Heufer-Umlauf über Tokio Hotel und Thomas Gottschalk bis Hazel Brugger haben in kleinen Internetvideos ihre Vorfreude auf das Buch kundgetan. Auf dem Umschlag gibt es weitere Stimmen von Literaten wie Sibylle Berg und Christian Kracht.

Warum sprechen Deutsche "Ibiza" anders aus als alle anderen?

Das erzeugt natürlich eine gewisse Fallhöhe. Aber gemach, das ganze Promi-Bohei um dieses Gemeinschaftswerk der beiden Erfolgsautoren Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre ist eh nicht so ernst gemeint, wie laut Buchtitel "alle" geworden sind. Was vielleicht, auch so eine Corona-Folge, ja gar nicht mal aus der Luft gegriffen ist. Dem Ernst jedenfalls haben Stuckrad-Barre und Suter sich entgegengestemmt, seitdem sie einander in farbenfrohen Badehosen am Pool des Ostsee-Luxusresorts Heiligendamm begegneten, und zwar mit Gesprächen, die man sich etwa folgendermaßen vorstellen muss:
Stuckrad-Barre: "Íbiza."
Suter: "Hm, ja, eigentlich sagt die ganze Welt Ibíza, außer die Deutschen, die sagen Íbiza."
Stuckrad-Barre: "Íbiza. Íbiza."
Suter: "Ist ja auch okay. Man darf das sagen, wie man will."
Stuckrad-Barre: "Darf man?"
Suter: "… in seiner Sprache. Ich sag ja auch Paris und nicht Pari."
Die Gespräche standen eine Zeitlang als Podcast im Internet, nun gibt es sie dort nicht mehr, stattdessen kann man das Buch lesen. In diesem Arrangement agiert Stuckrad-Barre (45) als welpenhaft eifriger Bewunderer, der verspielt um den derzeit erfolgreichsten Autor der Schweiz herumhopst. Suter (72) hingegen beschränkt sich zumeist darauf, jene bedachtsam-überlegene Distanziertheit zu zelebrieren, die wir Deutsche an unseren südwestlichen Nachbarn so wahnsinnig schätzen. Der jüngere kokettiert mit der Rolle dessen, der all das nicht hat, worüber der Ältere zu verfügen scheint: eine liebenswerte Familie, einen gepflegten Alltag, Geld, Häuser und Hotelsuiten in schönen Weltgegenden, wie eben Ibiza und Heiligendamm.
In zehn der 16 Kapitel eröffnet Stuckrad-Barre das Gespräch, um sogleich die Sorte ungeheuer schneller Einfälle zu entwickeln, die seine Bücher so unterhaltsam und seine öffentlichen Auftritte oft schwer erträglich machen. Suter seinerseits bricht die Extempores seines Gegenübers mit prononcierter Nüchternheit und geordnet vorgetragenen Anekdoten.

Zwei Erfolgsautoren denken lieber nicht ernsthaft nach

"Konzeptionsloses Gelaber" nennt Martin Suter im letzten Kapitel des Buchs das gemeinsame Tun, woraufhin Stuckrad-Barre sich, selbstredend selbstironisch, etwas enttäuscht zeigt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass es an dieser Stelle um die Grundlage ihrer Freundschaft geht. Aber gerade das Konzeptionslose und Laberige dieses Gesprächsbüchleins zaubert der Leserin immer mal wieder ein Lächeln ins Gesicht - oder gar ein Glucksen in die Kehle. Ein wenig scheint es, als seien die beiden so unterschiedlichen Autoren angetreten zu beweisen, dass "konzeptionsloses Gelaber" wie manch andere Errungenschaft unserer Epoche des Pop kein Alter kennt. Es ist allerdings nicht so, als hätten die zwei gar kein Programm:
Suter: "Alle, selbst die Unernsten, sind so ernst geworden."
Stuckrad-Barre: "Gerade die! Und da muss man mal ernsthaft drüber nachdenken. Wollen wir das machen?"
Suter: "Wollen wir … eigentlich nicht, oder?"
Stuckrad-Barre: "Eigentlich nicht, nein. Man muss ja das Tragische komisch besprechen und das Komische tragisch. Oder?"
Suter: "Vielleicht muss man alles komisch besprechen."
Und so sprechen sie mehr oder weniger komisch über die unterschiedlichsten Dinge, die ihnen nach dem Prinzip der Serendipity, des Glücksfundes also, in den Sinn kommen. Zuweilen ist das blühender Blödsinn. Zuweilen ist es auch gar nicht besonders lustig und lässt zum Beispiel ahnen, wie doof und arm das Leben wird, wenn man mit Drogen nicht nur experimentiert, wie Suter in jüngeren Jahren, sondern von ihnen abhängig wird wie Stuckrad-Barre. Und zuweilen blitzt auf, wo solch konzeptionsloses Gelaber entspringt - und wohin es führen kann, wenn’s gut läuft:
Suter: "Ist dir das jetzt gerade eingefallen?"
Stuckrad-Barre: "Das ist mir jetzt gerade eingefallen."
Suter: "Wie kommst du immer auf diese Ideen? Inspirierst du dich irgendwie?"
Stuckrad-Barre: "Ja."
Suter: "Mhmmm. Mit Inspirieren ist es natürlich geschummelt, oder?"
Stuckrad-Barre: "Inspirieren ist ja auch so kurz vor Kreativ-mit-C-Schreiben. Es ist so: Ich laber den ganzen Tag …"
Suter: "Mhm."
Stuckrad-Barre: "… und zwischendurch sind zwei, drei gute Sachen dabei."
Suter: "Und die kannst du behalten?"
Stuckrad-Barre: "Nein. Darauf weisen mich andere hin, wenn sie so kurz sagen, okay … I’m back."
Und manchmal will man beim Lesen ja gar nicht mehr als solche Momente des Komischen mitten im Ernst des Lebens.
Martin Suter / Benjamin von Stuckrad-Barre: "Alle sind so ernst geworden"
Diogenes Verlag, Zürich. 258 Seiten, 22 Euro