Nach dem Untergang der Sowjetunion interessierte sich niemand mehr für Marx. Wenn indes der Kapitalismus knapp 20 Jahre später mal wieder sein unsoziales, unmoralisches und inkompetentes Gesicht aufsetzt, scheinen sich die Worte des postmodernen Philosophen Wolfgang Welsch aus dem Jahr 1997 zu bestätigen:
"Seit Jahren sage ich, wartet, der Marxismus kommt wieder. Die Frage ist nur in welcher Form."
Wenn der neoliberal ausufernde Kapitalismus immer mehr Gerechtigkeitslücken aufreißt, keimt wieder ein Interesse an Marx, das nicht nur der Reclam-Verlag mit seinem neuen Marx-Reader befriedigt. Daran schließt auch UTB an, wenn seine neue Reihe "Profile" neben Nietzsche, Freud und Foucault mit Marx startet. Der Autor, Michael Berger betitelt seine Einleitung mit der Frage:
"Schon wieder Marx?"
Darf man dann die bekannten Worte aus dem "Kommunistischen Manifest" von 1848 zitieren?
"Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus."
Nein, trotz Linkspartei bleiben Alt- oder Jungkommunisten heute weltweit marginal. Marx' Geschichtsphilosophie, die dem Kapitalismus den Untergang und dem Sozialismus den Sieg prophezeite, ist gescheitert. Geschichte hat noch andere Seiten als die berühmte Definition aus dem "Kommunistischen Manifest":
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen."
Die Geschichte faszinierte als Wissenschaft das 19. Jahrhundert. Nicht nur Marx glaubte, man könne aus der Geschichte Gesetze ableiten und vorausberechnen, wohin die weitere Entwicklung führen wird. Noch die härtesten Antikommunisten starrten gebannt auf den scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch des Sozialismus und gläubige Kommunisten opferten sich begeistert für die Weltrevolution. Doch das alles hat sich als Illusion erwiesen.
Insofern gelang es Marx nicht, die utopischen Vorstellungen der Frühsozialisten durch einen wissenschaftlich begründeten Sozialismus zu ersetzen. Der Neomarxist Ernst Bloch stellt 1968 indes noch fest:
"Dies änderte sich durch Marx. Und Engels in einer Schrift mit dem Titel "Der Fortschritt des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" formuliert das. (...) Man hat nicht Ideale zu verwirklichen, sondern man hat dieses Wesen, womit die gegenwärtige Gesellschaft schwanger ist, in Freiheit zu setzen."
Der wissenschaftliche Sozialismus stützt sich nicht nur auf die Geschichtswissenschaft, sondern auf Marx' umfängliche ökonomische Studien, in deren Zentrum ja sein dreibändiges Hauptwerk "Das Kapital" steht. Sicherlich kann man darüber streiten, welchen Wert diese Analysen heute noch haben. Doch zentrale Begriffe verloren an Relevanz. So heißt es in Band 1:
"Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedener Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedner Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert."
Doch mit dem Gebrauchswert kann man weder in der Wirtschaft noch in der Wissenschaft viel anfangen. Marx' Theorien, dass der Profit tendenziell abnimmt, dass die Konkurrenz des großen Kapitals das kapitalistische Wirtschaftssystem letztlich in den Bankrott treibt, haben sich nicht bestätigt. Vor allem wurde eine Hoffnung enttäuscht, die noch 1960 der Begründer der Frankfurter Schule Max Horkheimer formuliert:
"Die Menschen sollten die ökonomische Dynamik beherrschen lernen, anstatt sich ihr zu unterwerfen. Weder die inneren Schwierigkeiten der Wirtschaft, noch die durch sie bedingten äußeren Katastrophen, Massenbewegungen und Kriege sollten die Erde bedrohen dürfen."
So darf man sich wundern, dass der Herausgeber Johannes Rohbeck fast zwei Drittel des neuen Reclam-Reader den ökonomischen Schriften widmet, während er viele wichtige Schriften nicht berücksichtigt. Gerade die sozialstaatlichen wie die sozialistischen Bemühungen führten vor, dass man die Ökonomie nicht nachhaltig steuern kann. Das gibt auch der Jungmarxist Slavoj Zizek 1998 zu:
"Alle diese heutige Linke, z.B. Tony Blair akzeptieren grundsätzlich Ökonomie als passive Szene, wo man nichts wirklich verändern kann. (...) wir sehr gut wissen, auf der Ebene, wo es wirklich entscheidend war, d.h. Ökonomie, Globalisierung, Kapital etc., daran können wir nichts tun."
Man kann Marx zugute halten, dass die gescheiterten Versuche, den Sozialismus einzuführen, in Entwicklungsländern stattfanden und damit unter ungünstigen Vorzeichen standen. So bemerkt 2002 der Soziologe Oskar Negt,
"daß Marx nie daran gedacht hat, daß Sozialismus anders aufgebaut werden konnte als in Gestalt eines Erbes der entwickelten Länder, d.h. für Marx war der Sozialismus (...) eine gerechte Verteilung des produzierten Reichtums der entwickelten Länder, was der Kapitalismus aufgrund seiner Klassenstruktur nicht leisten kann."
Damit gibt er den moralischen Ton an, der Marx heute populär macht. Doch Moral galt Marx als Moral der Herrschenden. Er wollte nicht mit Moral, sondern mit revolutionärer Gewalt die Welt humaner gestalten.
Sein Motiv war indes zutiefst moralisch. In seinen Frühschriften von 1844 entfremdet die Arbeit den Menschen, wenn er unter inhumanen Bedingungen arbeiten muss. Er schreibt:
"Worin besteht nun die Entäußerung der Arbeit? Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkapselt und seinen Geist ruiniert."
Von dieser Kritik führt der Weg einerseits in jene hedonistische Generation, die nicht mehr allein um des Geldes willen arbeiten wollte. Andererseits definiert Marx den Menschen als arbeitendes Wesen und antizipiert damit die heutige Gesellschaft der Workaholics.
Später konzentriert er jedoch seinen Entfremdungsbegriff darauf, dass der Arbeiter ausgebeutet wird, dass er mehr Wert schafft, als er als Lohn bekommt. Diesen Mehrwert eignet sich der Unternehmer als Profit an. Das war nicht als moralische, sondern als eine ökonomische Kritik gemeint. Einen gerechten Lohn kann es für Marx im Kapitalismus gar nicht geben.
Aber genau das ist daraus heute geworden, die Forderung nach Mindestlohn und nach angemessener Bezahlung, nach sozialer Gerechtigkeit. Wenn man überhaupt einen Job hat, ist man froh und lässt sich im Sinne von Marx gerne ausbeuten. Herbert Marcuse, der Vordenker der 68er, träumt noch vom Sozialismus:
"Die wahre sozialistische Gesellschaft wird in ihrer ersten Phase sicher keine Gesellschaft ohne Arbeit sein. Aber die Arbeit würde eben das bestimmt definierte Ziel haben, überall in der Welt Armut und Elend zu beseitigen."
Geblieben ist davon die weltweite Bekämpfung der Armut als moralischer Anspruch an die Politik, mit der Organisationen wie Attac regelmäßig G8-Gipfel begleiten. Lange Zeit besetzte Johannes Paul II. die Themen Armut und soziale Gerechtigkeit. Langsam bemächtigen sich die Linken und die Marxisten wieder solcher Themen, aber nicht mehr revolutionär, sondern in etwa so, wie Marx es 1844 der Religion attestiert:
"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks."
Marx ist in gewisser Hinsicht wieder in, aber als Moral, wo das Gewissen eine Heimat findet, nicht mehr als revolutionärer Aufruf: "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!"
Insofern spiegelt der Reclam-Reader in seinem ersten Teil mit der Betonung der Frühschriften diese Tendenz, dass Marxisten und Linke heute regelmäßig zufrieden sind, wenn sie die Welt ein wenig lebenswerter und humaner machen könnten. Marx berühmte 11. Feuerbachthese "Die Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern." lässt sich derart kaum noch halten. Wie will man denn auf eine Revolution hoffen, die notorisch in blutige Bürgerkriege ausartet! Auch Michael Berger gelangt am Ende seiner äußerst knappen UTB-Einführung zum Problem der Moral. Er schreibt:
"Nüchtern hat er alle überzeitlich religiösen und philosophischen Begründungen von Normen auf den Boden der Geschichte zurückgeholt."
Damit aber verschwindet das Problem von Moral und Gerechtigkeit nicht, sondern wird noch schwieriger. Marx, das muss Berger zugestehen, weiß auf diese Herausforderungen keine Antwort.
So wird die Wiederkehr von Marx an ihm manches umdeuten wie 1997 der postmoderne Philosoph, Gianni Vattimo, der für die italienischen Postkommunisten damals im Europaparlament saß:
"Die Philosophen haben bis jetzt versucht, die Welt zu verändern, sie sollen anfangen, sie zu interpretieren - genau das Gegenteil als Marx."
So könnte man versucht sein, auch den anderen berühmten Satz von Marx aus der "Deutschen Ideologie" umzudeuten: "Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein." Ohne Bewusstseinsänderung wird sich das Leben nicht ändern. Machen wir aus Marx einen Moralisten! Dann setzt er mit seinen Idealen vielleicht die Werte, an denen man sich in einer demokratischen Gesellschaft orientieren sollte.
Karl Marx, Philosophische und ökonomische Schriften.
Hg. v. Johannes Rohbeck u. Peggy H. Breitenstein, Reclam, Stuttgart 2008, Universal Bibliothek, 390 S.
Michael Berger, Karl Marx.
UTB Profile, Wilhelm Fink, Paderborn, 100 S.
"Seit Jahren sage ich, wartet, der Marxismus kommt wieder. Die Frage ist nur in welcher Form."
Wenn der neoliberal ausufernde Kapitalismus immer mehr Gerechtigkeitslücken aufreißt, keimt wieder ein Interesse an Marx, das nicht nur der Reclam-Verlag mit seinem neuen Marx-Reader befriedigt. Daran schließt auch UTB an, wenn seine neue Reihe "Profile" neben Nietzsche, Freud und Foucault mit Marx startet. Der Autor, Michael Berger betitelt seine Einleitung mit der Frage:
"Schon wieder Marx?"
Darf man dann die bekannten Worte aus dem "Kommunistischen Manifest" von 1848 zitieren?
"Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus."
Nein, trotz Linkspartei bleiben Alt- oder Jungkommunisten heute weltweit marginal. Marx' Geschichtsphilosophie, die dem Kapitalismus den Untergang und dem Sozialismus den Sieg prophezeite, ist gescheitert. Geschichte hat noch andere Seiten als die berühmte Definition aus dem "Kommunistischen Manifest":
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen."
Die Geschichte faszinierte als Wissenschaft das 19. Jahrhundert. Nicht nur Marx glaubte, man könne aus der Geschichte Gesetze ableiten und vorausberechnen, wohin die weitere Entwicklung führen wird. Noch die härtesten Antikommunisten starrten gebannt auf den scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch des Sozialismus und gläubige Kommunisten opferten sich begeistert für die Weltrevolution. Doch das alles hat sich als Illusion erwiesen.
Insofern gelang es Marx nicht, die utopischen Vorstellungen der Frühsozialisten durch einen wissenschaftlich begründeten Sozialismus zu ersetzen. Der Neomarxist Ernst Bloch stellt 1968 indes noch fest:
"Dies änderte sich durch Marx. Und Engels in einer Schrift mit dem Titel "Der Fortschritt des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" formuliert das. (...) Man hat nicht Ideale zu verwirklichen, sondern man hat dieses Wesen, womit die gegenwärtige Gesellschaft schwanger ist, in Freiheit zu setzen."
Der wissenschaftliche Sozialismus stützt sich nicht nur auf die Geschichtswissenschaft, sondern auf Marx' umfängliche ökonomische Studien, in deren Zentrum ja sein dreibändiges Hauptwerk "Das Kapital" steht. Sicherlich kann man darüber streiten, welchen Wert diese Analysen heute noch haben. Doch zentrale Begriffe verloren an Relevanz. So heißt es in Band 1:
"Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedener Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedner Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert."
Doch mit dem Gebrauchswert kann man weder in der Wirtschaft noch in der Wissenschaft viel anfangen. Marx' Theorien, dass der Profit tendenziell abnimmt, dass die Konkurrenz des großen Kapitals das kapitalistische Wirtschaftssystem letztlich in den Bankrott treibt, haben sich nicht bestätigt. Vor allem wurde eine Hoffnung enttäuscht, die noch 1960 der Begründer der Frankfurter Schule Max Horkheimer formuliert:
"Die Menschen sollten die ökonomische Dynamik beherrschen lernen, anstatt sich ihr zu unterwerfen. Weder die inneren Schwierigkeiten der Wirtschaft, noch die durch sie bedingten äußeren Katastrophen, Massenbewegungen und Kriege sollten die Erde bedrohen dürfen."
So darf man sich wundern, dass der Herausgeber Johannes Rohbeck fast zwei Drittel des neuen Reclam-Reader den ökonomischen Schriften widmet, während er viele wichtige Schriften nicht berücksichtigt. Gerade die sozialstaatlichen wie die sozialistischen Bemühungen führten vor, dass man die Ökonomie nicht nachhaltig steuern kann. Das gibt auch der Jungmarxist Slavoj Zizek 1998 zu:
"Alle diese heutige Linke, z.B. Tony Blair akzeptieren grundsätzlich Ökonomie als passive Szene, wo man nichts wirklich verändern kann. (...) wir sehr gut wissen, auf der Ebene, wo es wirklich entscheidend war, d.h. Ökonomie, Globalisierung, Kapital etc., daran können wir nichts tun."
Man kann Marx zugute halten, dass die gescheiterten Versuche, den Sozialismus einzuführen, in Entwicklungsländern stattfanden und damit unter ungünstigen Vorzeichen standen. So bemerkt 2002 der Soziologe Oskar Negt,
"daß Marx nie daran gedacht hat, daß Sozialismus anders aufgebaut werden konnte als in Gestalt eines Erbes der entwickelten Länder, d.h. für Marx war der Sozialismus (...) eine gerechte Verteilung des produzierten Reichtums der entwickelten Länder, was der Kapitalismus aufgrund seiner Klassenstruktur nicht leisten kann."
Damit gibt er den moralischen Ton an, der Marx heute populär macht. Doch Moral galt Marx als Moral der Herrschenden. Er wollte nicht mit Moral, sondern mit revolutionärer Gewalt die Welt humaner gestalten.
Sein Motiv war indes zutiefst moralisch. In seinen Frühschriften von 1844 entfremdet die Arbeit den Menschen, wenn er unter inhumanen Bedingungen arbeiten muss. Er schreibt:
"Worin besteht nun die Entäußerung der Arbeit? Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkapselt und seinen Geist ruiniert."
Von dieser Kritik führt der Weg einerseits in jene hedonistische Generation, die nicht mehr allein um des Geldes willen arbeiten wollte. Andererseits definiert Marx den Menschen als arbeitendes Wesen und antizipiert damit die heutige Gesellschaft der Workaholics.
Später konzentriert er jedoch seinen Entfremdungsbegriff darauf, dass der Arbeiter ausgebeutet wird, dass er mehr Wert schafft, als er als Lohn bekommt. Diesen Mehrwert eignet sich der Unternehmer als Profit an. Das war nicht als moralische, sondern als eine ökonomische Kritik gemeint. Einen gerechten Lohn kann es für Marx im Kapitalismus gar nicht geben.
Aber genau das ist daraus heute geworden, die Forderung nach Mindestlohn und nach angemessener Bezahlung, nach sozialer Gerechtigkeit. Wenn man überhaupt einen Job hat, ist man froh und lässt sich im Sinne von Marx gerne ausbeuten. Herbert Marcuse, der Vordenker der 68er, träumt noch vom Sozialismus:
"Die wahre sozialistische Gesellschaft wird in ihrer ersten Phase sicher keine Gesellschaft ohne Arbeit sein. Aber die Arbeit würde eben das bestimmt definierte Ziel haben, überall in der Welt Armut und Elend zu beseitigen."
Geblieben ist davon die weltweite Bekämpfung der Armut als moralischer Anspruch an die Politik, mit der Organisationen wie Attac regelmäßig G8-Gipfel begleiten. Lange Zeit besetzte Johannes Paul II. die Themen Armut und soziale Gerechtigkeit. Langsam bemächtigen sich die Linken und die Marxisten wieder solcher Themen, aber nicht mehr revolutionär, sondern in etwa so, wie Marx es 1844 der Religion attestiert:
"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks."
Marx ist in gewisser Hinsicht wieder in, aber als Moral, wo das Gewissen eine Heimat findet, nicht mehr als revolutionärer Aufruf: "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!"
Insofern spiegelt der Reclam-Reader in seinem ersten Teil mit der Betonung der Frühschriften diese Tendenz, dass Marxisten und Linke heute regelmäßig zufrieden sind, wenn sie die Welt ein wenig lebenswerter und humaner machen könnten. Marx berühmte 11. Feuerbachthese "Die Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern." lässt sich derart kaum noch halten. Wie will man denn auf eine Revolution hoffen, die notorisch in blutige Bürgerkriege ausartet! Auch Michael Berger gelangt am Ende seiner äußerst knappen UTB-Einführung zum Problem der Moral. Er schreibt:
"Nüchtern hat er alle überzeitlich religiösen und philosophischen Begründungen von Normen auf den Boden der Geschichte zurückgeholt."
Damit aber verschwindet das Problem von Moral und Gerechtigkeit nicht, sondern wird noch schwieriger. Marx, das muss Berger zugestehen, weiß auf diese Herausforderungen keine Antwort.
So wird die Wiederkehr von Marx an ihm manches umdeuten wie 1997 der postmoderne Philosoph, Gianni Vattimo, der für die italienischen Postkommunisten damals im Europaparlament saß:
"Die Philosophen haben bis jetzt versucht, die Welt zu verändern, sie sollen anfangen, sie zu interpretieren - genau das Gegenteil als Marx."
So könnte man versucht sein, auch den anderen berühmten Satz von Marx aus der "Deutschen Ideologie" umzudeuten: "Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein." Ohne Bewusstseinsänderung wird sich das Leben nicht ändern. Machen wir aus Marx einen Moralisten! Dann setzt er mit seinen Idealen vielleicht die Werte, an denen man sich in einer demokratischen Gesellschaft orientieren sollte.
Karl Marx, Philosophische und ökonomische Schriften.
Hg. v. Johannes Rohbeck u. Peggy H. Breitenstein, Reclam, Stuttgart 2008, Universal Bibliothek, 390 S.
Michael Berger, Karl Marx.
UTB Profile, Wilhelm Fink, Paderborn, 100 S.