Plötzlich sind sie überall in der Stadt: die Anhänger der chinesischen Meditationsbewegung Falun Gong in ihren knallgelben T-Shirts. Angereist aus aller Welt. Erst am späten Abend haben sie ihre zweistündige Kerzenmahnwache an der Porta Nigra beendet, dem römischen Wahrzeichen Triers. Einen Steinwurf entfernt steht Karl Marx. In Bronze und mit Sockel mehr als fünf Meter groß. Vom chinesischen Staatskünstler Wu Weishan als riesiger Weltenwanderer mit ausladendem Schritt und Universalgelehrter mit Buch unterm Arm dargestellt. Bis zum Mittag noch verhüllt. Peter Dexheimer ist einer, der schweigend dagegen, aber hauptsächlich für Falun Gong demonstriert:
"Die Karl-Marx-Statue ist ein Geschenk von China. Und die 100 Millionen Falung-Gong-Praktizierenden in China werden ja seit 1999 grausam verfolgt. Und aufgrund dieses sogenannten Geschenks aus China – es gibt keine Geschenke von der Kommunistischen Partei – haben wir gesagt, wollen wir dabei sein, um direkt auf die Menschenrechtssituation hinzuweisen, aber auch auf andere Dissidenten. Wir sind daran interessiert, dass diese brutale Verfolgung der 100 Millionen Falun-Gong-Praktizierenden aufhört, deren einziger Fehler darin besteht, Ehrlichkeit und Toleranz zu praktizieren. Die Uiguren werden auch extrem verfolgt, die Tibeter, die Mitglieder christlicher Hauskirchen, aber wir sind mit 100 Millionen die größte Minderheit. Das sind knapp elf Prozent."
Die Chinesin im blauen Kostüm dagegen freut sich schon auf die Enthüllung. Sie ist Mitarbeitern des ...
"National Art Museum of China"
... des Nationalen Kunstmuseums in Peking. Als dessen Präsident ist Wu Weishan ihr Chef. Kenner beschreiben den Bildhauer als linientreues Mitglied der Kommunistischen Partei. Er bekleidet wichtige Ämtern im chinesischen Kulturbetrieb, verwandelte vor Karl Marx schon Staatsgründer Mao und Reformer Deng in tonnenschwere Monumente.
"Yes, we just saw it this morning."
Wu Weishans Mitarbeiterin durfte auf dem Simeonstiftplatz am Stadtmuseum schon mal unter die Verpackungsfolie linsen. Sie ist begeistert - vom Denkmal und von Marx,
"Ich finde, es sieht sehr harmonisch auf diesem Platz aus und wirkt wie ein lebendiger Mensch. Wir meinen, Karl Marx ist eine großartige Person der Menschheitsgeschichte. Und deshalb freuen wir uns sehr, hier zu sein. I'm sorry - I have to follow my collegues."
Bedauert die Vertreterin des Kunstmuseums und strebt ihren Kollegen hinterher in die Konstantin-Basilika, zum Festakt für die Eröffnung der Marx-Ausstellungen in vier Trierer Museen. Ursprünglich kaiserliche Audienzhalle, gehört diese Saalkirche jetzt zur Evangelischen Gemeinde Trier.
Festakt zur Eröffnung der Marx-Ausstellungen
Eine protestantische Kirche mit gigantischer neuer Orgel als Ort für ein umstrittenes Jubiläum? Religion beschrieb Marx als Opium des Volkes – vergeben und vergessen? Frieder Lütticken vom Vorstand der Evangelischen Gemeinde Trier lässt sich nicht beirren.
"Wir feiern den 200. Geburtstag von Karl Marx, der immerhin Mitglied der Evangelischen Kirchengemeinde war, hier konformiert worden ist, widersprüchliche Figur mit seiner Religionskritik und seinem Sozialismus, den darf man wohl begehen."
Das sehen nicht alle so.
"Nieder mit dem Marxismus, 100 Millionen Todesopfer mahnen."
Ein paar NPD-Aktivisten kompensieren mangelnde Masse mit großer Stimmgewalt. Die Touristenführerin durchs UNESCO-Weltkulturerbe muss die Stimme erheben, damit ihre Gruppe noch etwas über die römische Palastaula und Kaiser Konstantin mitbekommt.
- "Eigentlich sind wir für die Zeiten vor Marx hier."
- "Römer?"
- "Römer!"
Der Mann aus Xanten am Niederrhein schaut irritiert, plötzlich aus der Antike unsanft in eine Kontroverse über die Mitschuld von Karl Marx an kommunistischen Verbrechen katapultiert. Dazu kann er sich so schnell keine Meinung bilden.
"Es ist überraschend für uns. Die Hintergrunde - müsste man mehr einsteigen in das Thema."
Müsste man. Aber will man auch?
"Eigentlich würde ich sagen, Interesse ist im Moment nicht da. Vielleicht entwickelt es sich, aber im Moment nicht."
Da stehen stattdessen die römischen Kaiserhermen auf dem Programm, die Reste einer unvollendeten spätantiken Badeanlage. Doch schon jetzt zeigen die Buchungszahlen, dass die Karl-Marx-Ausstellungen das Zeug haben, an die Besucherrekorde der großen Konstantin- und Nero-Ausstellungen der vergangenen Jahre anzuknüpfen. 700 Gruppenbuchungen liegen vor, viele Interessenten kommen aus dem politisch-gewerkschaftlichen Spektrum. Im Lokal neben der Statue fragen jetzt schon andauernd Chinesen, wo sie denn Karl Marx finden. Mal meinen sie sein Geburtshaus, mal die Bronze-Statue. Frieder Lütticken von der Evangelischen Gemeinde hat sie noch nicht gesehen. Aber:
"Ich befürchte, sie wird fürchterlich aussehen. Ich befürchte, es wird so eine sein, wie auf jedem Platz der Republik in Russland und in Sibirien. Da steht jeweils so eine Staute. Ich fand das Geschenk unnötig. Und das anzunehmen, überflüssig. Ich wäre froh, sie wäre nicht da."