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Bilderbuch über Frankenstein
Mary Shelley als Pionierin von Science Fiction und Feminismus

Mary Shelley war erst 20 Jahre alt, als ihr eine literarische Sensation gelang: Sie erschuf das Monster „Frankenstein“. Die US-amerikanische Autorin Lynn Fulton erzählt in ihrem Bilderbuch die Geschichte, wie der berühmte Schauerroman entstand.

Von Anne-Kathrin Weber |
Das Cover des Buches von Lynn Fulton: „Sie schuf ein Monster. Wie Mary Shelley Frankenstein erfand“ und Illustrationen von Felicita Sala
Lynn Fulton erzählt in ihrem Bilderbuch, wie Mary Shelley zu ihrer "Frankenstein"-Geschichte kam. (von Hacht Verlag)
Blitze erhellen den dunklen Himmel rund um das Haus am Ufer des Genfer Sees. Drinnen sitzt eine junge Frau. Sie bürstet sich bei Kerzenschein das Haar und denkt nach – darüber, was sie schreiben soll. Denn Mary, so heißt die Protagonistin in Lynn Fultons Bilderbuch, möchte unbedingt Schriftstellerin werden.
Im Schweizer Landhaus des englischen Dichters Lord Byron, in dem sie und andere Gäste den Sommer verbringen, dreht sich alles um Geschichten: "Sie spürte die Macht der Worte um sie herum und hoffte, dass sie eines Tages ebenfalls etwas Wichtiges zu Papier bringen würde. Etwas, das die Welt wie ein Blitz treffen würde, der den Nachthimmel durchzuckt. Aber zunächst wollte sie nur eine Gespenstergeschichte schreiben."

Denn ihr Gastgeber hat sie zu einem Wettbewerb eingeladen: Wer innerhalb von einer Woche die beste Gruselgeschichte schreibt, hat gewonnen. Die Männer der Runde haben ihre Erzählungen schon geschrieben, Mary aber nicht.

Die Herrschaft des Menschen über die Natur

Nun ist es kurz nach Mitternacht, am Morgen wird der Wettbewerb zu Ende sein. Mary verlässt ihr Zimmer und hört ihre Freunde, wie sie sich über die neuesten technischen Errungenschaften unterhalten. Über die Herrschaft des Menschen über die Natur sprechen sie mit ungetrübter Faszination, über Legenden darüber, wie Tote wiederbelebt würden.

"Mary lauschte und schüttelte den Kopf. ‚Die Natur hat womöglich gute Gründe dafür, ihre Geheimnisse zu bewahren', dachte sie. ‚Im Übrigen, was geschieht mit der ‚leblosen Materie', sobald ihr jemand neues Leben eingehaucht hat?' Das schien den Männern gleichgültig zu sein."

Mary legt sich ins Bett, doch schlafen kann sie nicht. Plötzlich durchzuckt sie ein folgenschwerer Wachtraum: Vor ihrem geistigen Auge sieht sie eine riesige Gestalt auf einem Tisch liegen, mit narbenbedecktem Gesicht. Und so findet Mary zu ihrer Erzählung über ein Wesen, das aus Leichenteilen zusammengesetzt ist: das Monster Frankenstein. Diese Geschichte machte sie – die damals 20-jährige Mary Shelley – auf Anhieb berühmt.

Ein einsames denkendes Wesen

In ihren Anmerkungen am Ende des Buches verweist Lynn Fulton darauf, dass Shelley Frankenstein nicht als grobschlächtiges, tumbes Ungeheuer erdacht hatte, sondern als ein denkendes Wesen, das sich einsam fühlt. Die Autorin macht auch literarische Abweichungen zu den von Shelley überlieferten Fakten zum Entstehungsprozess ihrer Geschichte kenntlich.

Es sei ihr ein erklärtes Anliegen gewesen, schreibt Fulton, Mary Shelleys Mutter in die Geschichte einzubeziehen: Mary Wollstonecraft war ebenfalls Schriftstellerin und gilt bis heute als eine der bedeutendsten frühen Frauenrechtlerinnen. In ihrem Bilderbuch unterstreicht Fulton den prägenden Einfluss der berühmten Mutter auf die Tochter, auch wenn Mary Wollstonecraft kurz nach der Geburt Mary Shelleys starb:

"Als sie älter war, las sie alles, was ihre Mutter geschrieben hatte: bewegende Worte über Demokratie und Frauenrechte, Worte, die vielen Menschen Mut und Inspiration geschenkt, aber auch Wut und Empörung entfacht hatten."

"Sie schuf ein Monster" dreht sich daher nicht nur um die Geschichte, wie Mary Shelley mit ihrem Schauerroman "Frankenstein" eine literarische Sensation gelang, die als Wegbereiterin der frühen Science Fiction gilt – Fultons Bilderbuch ist vor allem eine Ode an das weibliche Schreiben: an die Leidenschaft und den Drang, Geschichten zu erzählen, aber auch eine Erzählung über Zweifel, über Fantasie und Vorbilder, kurzum auch darüber, wie eng Feminismus und Literatur miteinander verwoben sind.

Schaurig-schöne Illustrationen von Felicita Sala

Diese übergeordneten Themen hat die italienische Illustratorin Felicita Sala bereits auf dem Buchcover gekonnt in Szene gesetzt. Darauf hält Mary Shelley eine Feder so groß wie ihr Kopf in der Hand. Konzentriert und etwas furchtsam zugleich blickt sie in Richtung des von Blitzen durchzogenen Nachthimmels, die Konturen des Monsters Frankenstein umhüllen sie.

Schaurig-schön sind auch die Illustrationen im Buch, die sich durch klare Farbkontraste auszeichnen. Immer wieder konturiert Sala dabei Mary Shelleys zeitgenössisch blass-weiße Haut, insbesondere aber ihre Hände, mit einem roten Buntstift. Damit akzentuiert die Illustratorin nicht nur das Leben im Vergleich zur toten Materie des Monsters, sondern betont auch auf der Bildebene das Lebendige des literarischen Schaffensprozesses.

"Sie schuf ein Monster" ist eine rundum empfehlenswerte Lektüre: ein atmosphärisches, vielschichtiges und trotzdem kindgerecht gestaltetes Werk über die kreative Kraft des weiblichen Schreibens – mit der es einer jungen Frau schon vor über 200 Jahren gelang, patriarchale Allmachtsfantasien auf meisterliche Weise bloßzustellen. Angesichts von Klimakrise, Krieg und Co. könnte die Geschichte um Mary Shelley und ihr literarisches Monster zeitgemäßer kaum sein.
Lynn Fulton, Felicita Sala (Ill.): "Sie schuf ein Monster. Wie Mary Shelley Frankenstein erfand"
Aus dem Englischen von Katharina Naumann.
Von Hacht Verlag, Hamburg.
40 Seiten, 14 Euro.
Ab 6 Jahren.