Pyritz: Herr Winkelheide, was genau steckt hinter dem neuen Ansatz?
Winkelheide: Forscher an der Georgias State University und von Paul-Ehrlich-Institut in Langen haben einen Wirkstoff entwickelt und getestet, ein kleines Molekül, das ein Virus blockieren soll in der Vermehrung, das dem menschlichen Masern-Virus sehr ähnlich ist. Und zwar geht es um das Hundestaupe-Virus. Und dieses Molekül blockiert die Polymerase von diesem Hundestaupe-Virus, das heißt, so etwas wie eine Kopiermaschine, die dafür sorgt, dass die Viren ihr Erbgut weiter kopieren können, eben auch bestimmte Eiweißbausteine aufbauen können, die sie für ihr Überleben brauchen. Wie effektiv dieses kleine Molekül wirkt, das haben sie eben im Tierversuch ausprobiert, an Frettchen.
Pyritz: Wie gut hat dieser Wirkstoff die Tiere im Versuch geschützt?
Winkelheide: Die Tiere haben sehr früh nach einer Ansteckung mit dem Hundestaupe-Virus den Wirkstoff bekommen - der kann geschluckt werden, als Medikament wie eine Tablette - tatsächlich hat er dafür gesorgt, dass die Frettchen die Infektion überlebt haben. Normalerweise ist das Hundestaupe-Virus für Frettchen tödlich. Und wenn die Tiere aber zwei Tage nach einer Ansteckung das Medikament bekommen haben, dann haben sie alle überlebt.
Pyritz: Vorausgesetzt dieser Wirkstoff ließe sich jetzt auch zur Behandlung bei Menschen einsetzen, wie genau stellen sich die Wissenschaftler das dann vor?
Winkelheide: Dann müsste gezeigt werden, dass es tatsächlich verhindern kann, dass Menschen, die sich angesteckt haben mit dem Virus, dass die auch tatsächlich krank werden. Das wird noch einige Jahre dauern, solche klinischen Studien sind sehr, sehr umfangreich und sehr aufwändig. Die Hoffnung ist aber, dass dieses kleine Molekül irgendwann einmal Masernausbrüche etwas beherrschbarer machen könnte. Hintergrund ist, dass Masern Virus ist sehr ansteckend und es vermehrt sich sehr schnell im Körper. Aber es dauert eben fünf bis sieben Tage, manchmal sogar länger, bis die ersten Krankheitszeichen auftauchen. In dieser Zeit sind die Menschen aber schon ansteckend, und die Menschen, mit denen sie Kontakt haben, können nicht mehr durch eine Impfung, eine nachträgliche Impfung, vor dem Virus und vor der Krankheit geschützt werden. Also das heißt, das ist ein Medikament, was sich strategisch einsetzen ließe, um genau in den ersten Tagen, direkt kurz nach der Ansteckung, eben Menschen zu helfen und dafür zu sorgen, dass das Virus nicht weiter von Mensch zu Mensch gegeben werden kann.
Pyritz: Könnte dieser Wirkstoff auch eine Impfung überflüssig machen?
Winkelheide: Die Forscher sagen ganz ausdrücklich: 'Nein! Wir setzen auf die Impfung, um die Masern unter Kontrolle zu bringen.' Die Masern wollte man ja eigentlich bis 2010 ausrotten, das hat nicht geklappt. Jetzt ist das neue Ziel 2015. Das ist aber möglicherweise immer noch nicht ganz realistisch, weil im letzten Jahr 120.000 Menschen an Masern, an den Folgen von Masern gestorben sind. Und die Forscher sagen eben: 'Nur mit einer konsequenten Impfung wird man das Virus verdrängen können.' Aber der Wirkstoff könnte dabei helfen, er könnte sozusagen die Impfung ergänzen. Die Frage ist, ob das aufgeht, also ob da nicht Menschen denken: 'Na ja, es gibt ja ein Medikament, warum sollen wir uns, warum sollen wir unsere Kinder impfen lassen?' Das heißt, langfristig muss man gucken, ob das Impfkonzept sich trotzdem gut durchsetzen lässt, auch wenn es dieses Medikament gibt.