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Massaker im Südsudan
"Die Katastrophe ist schon da"

Die Vereinten Nationen berichten von einem Massaker mit Hunderten Toten im Südsudan. Solche brutalen Übergriffe finden bereits seit Mitte Dezember immer wieder statt, sagte Sudan-Expertin Marina Peter im DLF. Es drohe ein Ausmaß wie in Ruanda 1994.

Marina Peter im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Ein Foto des Kinderhilfswerks UNICEF zeigt drei Kinder in der südsudanesischen Stadt Mingkaman, während sie erschöpft darauf warten, als Hilfesuchende registriert zu werden.
    Mehr als 375.000 Kinder mussten im Südsudan ihre Heimat aufgrund des Konflikts verlassen. (dpa picture alliance / Kate Holt/ Unicef Handout)
    In der Nacht zum 16. Dezember habe es das erste Massaker von regierungsnahen Truppen in der Hauptstadt Juba an Nuer gegeben, sagte Marina Peter vom Netzwerk des Weltkirchenrats "Sudan Ecumenical Forum" im Deutschlandfunk. Seitdem habe es immer wieder von beiden Seiten neues Blutvergießen gegeben.
    Die Ursache für die jüngsten Unruhen liege in einem andauernden, seit Langem gärenden Konflikt, sagte Peter. So habe der Präsident etwa immer mehr Macht auf sich vereint und Schlüsselpositionen ausschließlich mit Vertretern der Volksgruppe Dinka besetzt. Die Versprechen aus der Unabhängigkeitserklärung seien nicht erfüllt worden. Stattdessen habe sich "Riesenkorruption" breitgemacht; dabei seien sehr viele Entwicklungsgelder verschwunden. Letztlich habe eine "furchbare Gemengelage" die Stimmung aufgeputscht, so Peter. Die Perspektivlosigkeit junger, unzufriedener Männer werde durch eine Hasssprache über die Medien befeuert. Politiker nutzen diese Stimmungslage wiederum für ihre Ziele aus.
    Mit dem Völkermord in Ruanda mit mehr als 800.000 Toten sei "das Ausmaß, das uns unter Umständen bevorsteht", durchaus vergleichbar, sagte Peter. "Die Katastrophe ist schon da."

    Das Interview mit Marina Peter in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist erst wenige Wochen her, da erinnerten wir auch hier in den "Informationen am Morgen" an den Völkermord, der sich vor 20 Jahren in Ruanda zugetragen hat. Hunderttausende kamen dabei ums Leben. Ohne die Unterschiede verwischen zu wollen: Auch jetzt wieder ist von einem brutalen ethnischen Konflikt zu berichten. Es geht um den Südsudan. Erst im Jahr 2011 unabhängig vom Sudan geworden, schlagen die Vereinten Nationen jetzt Alarm: Demnach haben Rebellen hunderte Männer, Frauen und Kinder getötet, als sie die Hauptstadt Bentiu des ölreichen Bundesstaats Unity einnahmen. Dabei haben sie offenbar gezielt ein Krankenhaus, eine Moschee und eine katholische Kirche angegriffen, in die die Zivilisten geflüchtet waren. Ich bin jetzt verbunden mit Marina Peter vom Netzwerk Sudan Ecumenical Forum, das ist ein Netzwerk des Weltkirchenrats, sie ist außerdem Leiterin des Sudanforums e. V. - Frau Peter, schönen guten Morgen erst mal!
    Marina Peter: Ja, guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Seit 30 Jahren sind Sie vor Ort, vor rund zwei Wochen sind Sie nach Deutschland zurückgekehrt. Ich habe das Thema gerade mit dem Hinweis auf Ruanda anmoderiert. Ist das eine für manche Journalisten typische Verkürzung?
    Peter: Natürlich sind solche Ansagen, dass es genauso ist wie Ruanda, bei so was immer verkürzt, weil es so viele unterschiedliche Gründe gibt, und man kann einen Konflikt mit dem anderen nicht vergleichen. Aber was vergleichbar ist, ist tatsächlich das Ausmaß, das uns unter Umständen bevorsteht, und die Frage, was kann eigentlich die Internationale Gemeinschaft tun, steht sie wieder hilflos davor? Sie hatten das in der Anmoderation ja zum Thema Ruanda genannt. Sie hatten auch gesagt, es bahne sich eine Katastrophe an – das ist leider gar nicht so ganz richtig. Die Katastrophe ist schon da, und zwar ist es auch nicht das erste Massaker, was passiert ist, was Sie genannt haben, sondern es hat angefangen im Dezember, in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember, und auch da gab es schon Massaker, diesmal begangen von regierungsnahen Truppen in der Hauptstadt Juba an Nuer, einer der beiden beteiligten Haupttruppen in diesem neuen Konflikt, und seitdem immer wieder, von beiden Seiten. Darüber gibt es inzwischen auch Berichte sowohl der Vereinten Nationen wie auch anderer Menschenrechtsorganisationen. Also die Massaker sind immer wieder da.
    Heckmann: Frau Peter, Sie haben es gerade angesprochen, wer da gegen wen kämpft. Wie ist denn das, was ist der Hintergrund dieses Konflikts?
    Peter: Ja, das ist leider auch sehr, sehr vielschichtig. Oberflächlich und zunächst sah es aus – und die Regierung hatte das so auch gesagt –, es sei ein Putschversuch gewesen des ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar und einiger ihm nahestehender Einzelpersonen, praktisch mit Teilen des Militärs gegen die bestehende Regierung. Der Vizepräsident war abgesetzt worden mit dem gesamten Kabinett Mitte letzten Jahres. Dahinter standen aber lange gärende Konflikte. Es zeichnete sich schon seit einiger Zeit ab, dass der Präsident große Machtfülle auf sich vereinigte und Schlüsselpositionen mit einer bestimmten Volksgruppe, nämlich den Dinka, aus der der Präsident auch stammt, besetzt wurden. Und es gab lange Unzufriedenheit, weil das, was versprochen worden war bei der Unabhängigkeit, dass es nun also Friedensdividende geben würde, Entwicklung im Land und so weiter, ausgeblieben war und stattdessen riesengroße Korruption herrschte, wo sehr viele Entwicklungsgelder auch verschwunden sind in den Taschen einiger Weniger. Das war so der Anfang. Es ist bestritten worden, dass es ein Coup gewesen ist, aber in diesen ersten Nächten sind gezielt eben viele Menschen in der Hauptstadt umgebracht worden, und die Überlebenden haben sich oft geflüchtet auf die Compounds der Vereinten Nationen. Es gibt eine Mission schon lange der Vereinten Nationen im Südsudan zur Sicherung des Friedens, und es mussten sich also Menschen dorthin flüchten. Und wir haben dann immer wieder erlebt, dass auch solche UN-Missionen angegriffen werden von beiden Seiten.
    UNO-Blauhelmsoldaten verteilen Wasser an die Bevölkerung im Südsudan.
    Blauhelmsoldaten bei der UNO-Mission UNMISS im Südsudan. (afp/UNMISS)
    Heckmann: Und aufgeputscht werden die Menschen durch lokale Medien, ähnlich wie in Ruanda?
    Peter: Ja, das gab es früher so nicht, das ist ein neues Element, dass es eben diese Hasssprache auch über die Medien jetzt gibt. Man muss aber auch sagen, dass die Diaspora eine ganz, ganz ungute Rolle spielt. Wir haben also junge Männer, die weggegangen sind während des letzten Krieges schon, der 2005 beendet worden ist zwischen Nord- und Südsudan, und die aus der Ferne steuern. Und wenn man sich die Internetforen anguckt oder auch da einiges, was so gesagt wird über Medien, ist das ganz erschreckend. Und so haben wir diese furchtbare Gemengelage, dass wir auf der einen Seite viele junge, unzufriedene Männer haben, die keinerlei Zukunftsperspektiven haben im Lande selber, das gibt es ja auch in anderen Ländern, daraus rekrutieren sich ja weltweit Milizen, und auf der anderen Seite aber Leute, die entweder aus politischen Gründen oder aus irgendwelchen anderen Gründen dieses aufheizen und ausnutzen und auch ausnutzen den ganz geringen Bildungsgrad. Wir haben 80 Prozent Analphabeten im Südsudan.
    Heckmann: Etwa eine Million Menschen sind geflüchtet, leben in Camps der Vereinten Nationen, haben Sie gerade eben auch schon erwähnt. Wie ist denn die Lage, die Situation in diesen Camps?
    Peter: Ja, die Lage in den Camps ist katastrophal, insbesondere, was die Camps im Südsudan anbelangt. Andere sind ja geflohen über die Nachbargrenzen, besonders nach Äthiopien und nach Uganda oder nach Kenia. Und man muss sich das so vorstellen, das sind ja eigentlich Lager innerhalb des Landes, die sind für die Militäreinheiten, also für die UN-Militäreinheiten und die zivilen Einheiten geschaffen worden. Die haben ja eigentlich überhaupt keine Infrastruktur für zigtausende von Flüchtlingen und sind leider auch – und das haben wir jetzt schon zwei Mal gesehen – nicht so gut geschützt, dass sie einem Angriff von außen standhalten können, denn dem Massaker in Bentiu, was Sie eingangs erwähnten, ist vorausgegangen ein Angriff in Bor, einer anderen Stadt im Südsudan, auf genau so ein UN-Camp. Und das Schlimme ist, dass jetzt sozusagen die Wenigen, die überhaupt versuchen zu helfen, angegriffen werden.
    Heckmann: Sie leben und arbeiten ja seit fast 30 Jahren im Sudan. Zweifeln Sie jetzt in diesen Tagen am Sinn Ihrer Arbeit?
    Peter: Ich würde lügen, wenn ich das nicht zugeben würde, dass einem immer mal wieder solche Gedanken kommen. Aber wir wissen: Friedensarbeit braucht einen ganz, ganz langen Atem, und einige von uns, die das Geschehen lange beobachten, haben vorausgesehen, dass es erst noch schlimmer werden wird, bevor es besser werden kann. Und so kommt es nicht überraschend. Es ist deprimierend, weil alles ... weil für die armen Menschen, die jetzt endlich Hoffnung geschöpft hatten, dass es eine friedliche Zukunft wenigstens für ihre Kinder gibt, alles wieder kaputt ist. Die gesamte Infrastruktur ist ja auch wieder zerstört in einigen Gegenden. Und trotzdem muss man sagen, dass langfristig wir mit allem, was wir heute tun, dazu beitragen, dass sich irgendetwas später ändern kann. Also Hoffnung aufgeben darf man nicht, dann ist alles vorbei.
    Heckmann: Aber was müsste kurzfristig passieren, um die Katastrophe zu stoppen?
    Peter: Also es muss auf jeden Fall alles getan werden erst mal, um diesen Krieg zu stoppen. Die Amerikaner haben ja schon Sanktionen angedroht. Das trifft natürlich erst mal nur die Eliten. Aber das ist ein ganz wichtiger Schritt, also dass der Krieg gestoppt wird, ist das Allererste. Man muss auch diejenigen, die eben solche Hassreden führen, zur Verantwortung ziehen, selbst wenn die im Ausland sind. Man muss jetzt aber – und das darf man nicht vergessen – erst mal ganz, ganz viel humanitäre Hilfe leisten. Die Regenzeit steht bevor, wir können jetzt schon viele Leute nicht mehr erreichen, und die brauchen ganz, ganz dringend Hilfe. Spätestens in der Regenzeit können die überhaupt keine Hilfe mehr bekommen, und dann wird alles nur noch schlimmer. Aber es muss klar sein, dass beide Seiten isoliert werden müssen international, also es muss wirklich eine internationale Ächtung stattfinden, und es muss all das, was schon auch bei den Vereinten Nationen beschlossen ist, zum Beispiel eine Aufstockung der Truppen und so weiter, muss ganz schnell passieren.
    Heckmann: Im Südsudan ist eine humanitäre Katastrophe im Gang, wir haben gesprochen hier im Deutschlandfunk mit Marina Peter vom Netzwerk Sudan Ecumenical Forum und Leiterin des Sudanforums. Frau Peter, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Peter: Ja, danke, gleichfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.