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Massenentlassung beim ThyssenKrupp-Vorstand

Für einen Rausschmiss dieses Kalibers gibt es kaum Beispiele aus der Vergangenheit: Gerhard Cromme, Aufsichtsratchef von ThyssenKrupp, setzt die Hälfte des Vorstands vor die Tür. Der Aufsichtsrat muss der Entscheidung noch zustimmen.

Von Brigitte Scholtes |
    Gerhard Cromme räumt auf. Der Aufsichtsratschef der Thyssen Krupp AG wird dem Gremium am Montag vorschlagen, drei der sechs Vorstandsmitglieder zu entlassen. Olaf Berlien, Edwin Eichler und Jürgen Claassen sollen zum Jahresende gehen. Damit wird Cromme endlich im eigenen Unternehmen aktiv, er, der als Vorsitzender der Regierungskommission den Deutschen Corporate Governance Kodex, also die Regeln für gute Unternehmensführung mitgeprägt hatte. Denen verpflichtet sich auch ThyssenKrupp, wie im Internetauftritt zu lesen:

    "Gute Corporate Governance ist bei ThyssenKrupp ein Anspruch, der sämtliche Bereiche des Unternehmens umfasst. Sie fördert das Vertrauen der Anleger, Finanzmärkte, Geschäftspartner, Mitarbeiter und Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung des Unternehmens und ist eine wesentliche Grundlage für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg."

    Doch bei ThyssenKrupp lief es in letzter Zeit nicht rund: Wegen eines Schienenkartells drohen dem Unternehmen nun Bußgelder in dreistelliger Millionenhöhe. In der Aufzugssparte steht ein Rechtsstreit wegen Preisabsprachen an, hinzu kamen Vorwürfe des Konkurrenten Salzgitter wegen unsauberer Geschäftspraktiken und schließlich noch der Vorwurf bezahlter Luxusreisen für Journalisten. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme hält nun Veränderungen des Führungssystems und der Führungskultur im Konzern für nötig – das Kontrollgremium nimmt er aber aus. Beobachter aber sind eher erleichtert: besser spät als nie, meint etwa Eerik Budarz, Analyst von Silvia Quandt Research:

    "Für mich ist sehr wichtig, dass mit dem Schnitt im Vorstand, nämlich, dass drei Leute gehen müssen aus verschiedenen Gründen, die Konzentration auf Bestechlichkeit, auf kartellrechtliche Geschichten, auf die großen Probleme in Brasilien und Amerika, hoffentlich nun beendet werden kann und eine neue Blickrichtung Richtung Zukunft, der neuen Struktur, die eine ThyssenKrupp wird haben können, entsteht und dass man hoffentlich diese ständigen Negativnews beendet haben wird."

    Denn die operativen Probleme sind riesig. Seit Jahren bereitet das Stahlgeschäft in den USA und Brasilien dem Konzern Milliardenverluste. Am kommenden Dienstag legt das Unternehmen die Zahlen für das Geschäftsjahr 2011/2012 vor. Deren Präsentation war schon einmal verschoben worden. Analyst Budarz hofft nicht nur auf ein Kostensparprogramm:

    "Was für mich wichtig ist, ist, dass Thyssen-Krupp in Zukunft wertschöpfender arbeiten wird, nämlich mit einem viel größeren Fokus auf die Maschinenbauseite ihres Geschäfts, von den Anlagen über das Marinegeschäft und vor allem die Aufzüge, und weniger im traditionellen Stahlgeschäft unterwegs sein wird, wo es natürlich schwer ist, im Markt zu reüssieren, wo man dann doch mit hohen deutschen Kosten arbeiten muss."

    Bis Ende nächsten Jahres soll das Stahlwerk in Krefeld geschlossen werden, während das Werk in Bochum wohl noch drei Jahre länger laufen soll. 2000 der 58.000 Mitarbeiter in Deutschland sind schon in Kurzarbeit, weltweit arbeiten insgesamt 167.000 Menschen für den traditionsreichen Stahlkonzern.