Archiv


Massenflucht aus dem Swat-Tal

In Pakistan fliehen täglich tausende Bewohner aus dem umkämpften Swat-Tal, wo die Regierungsarmee sei t April eine Offensive gegen die Taliban führt. Noch könne man die Flüchtlinge ausreichend betreuen, berichtet Wolfgang Herbinger, Landesdirektor des UN-Welternährungsprogramms. Ohne neue finanzielle Hilfen seien die Notrationen der Organisation aber in zwei Monaten aufgebraucht.

Wolfgang Herbinger im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist zunehmend besorgt über die instabile Lage in Pakistan, wo das Militär in schwere Kämpfe mit den aufständischen Taliban verwickelt ist. Dort drohe eine humanitäre Tragödie. Steinmeier appellierte an die Regierung in Islamabad, endlich dafür zu sorgen, dass Recht und Ordnung in der Region wieder hergestellt werden.

    Im nordwestpakistanischen Swat-Tal führt die Regierungsarmee seit Ende April eine Offensive gegen die Taliban. Hunderttausende Zivilisten sind mittlerweile auf der Flucht. Um sie kümmert sich unter anderem das UN-Welternährungsprogramm, und Wolfgang Herbinger leitet dessen Arbeit in Pakistan. Mit ihm sind wir jetzt in Islamabad verbunden. Guten Morgen!

    Wolfgang Herbinger: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Herbinger, das Welternährungsprogramm hat angekündigt, sein Notprogramm in Pakistan massiv auszuweiten. Welche Regionen werden davon betroffen sein?

    Herbinger: Natürlich die Regionen, die im Moment die Vertriebenen empfangen, also in der sogenannten North-West Frontier Province. Das ist um die Gegend von Peshawar, das ist die Hauptstadt dieser Provinz. Da müssen wir tatsächlich die Anstrengungen mehr als verdoppeln. Gegenwärtig kommen täglich mehr als 100.000 Vertriebene aus den Kampfgebieten.

    Heinemann: Wie viele Flüchtlinge betreuen Sie zurzeit insgesamt?

    Herbinger: In den letzten vier Wochen haben wir ungefähr 800.000 Menschen erreicht.

    Heinemann: Aus allen Regionen?

    Herbinger: Das ist sehr konzentriert. Die Kampfzone ist an der afghanischen Grenze und in einem Bezirk, der heißt Swat. Da kommen die meisten Flüchtlinge her, insbesondere von Swat.

    Heinemann: Wie muss man sich die Lage dieser Menschen vorstellen?

    Herbinger: Schon sehr bedrückend. Die Kämpfe sind sehr aktiv, und es gibt ganz kurze Perioden von Waffenstillstand, und in der Zeit müssen die Leute weglaufen. Ich habe mit Flüchtlingen gesprochen, die konnten nichts mitbringen. Sie haben sich beklagt, dass selbst Tote zurückbleiben mussten, ohne begraben werden zu können. Es ist schon sehr schlimm.

    Heinemann: In welcher Verfassung sind die Menschen, die zu Ihnen gelangen?

    Herbinger: Vor ein paar Tagen war ich in der Gegend, wo die Vertriebenen ankommen, und ich empfand, als wären sie sehr erschüttert und hilflos, auch die Bevölkerung, wo die Vertriebenen ankamen. Es war eine gewisse Weichheit, es war eine ganz spezielle Situation.

    Heinemann: Was haben Sie von diesen Menschen über die militärische Lage im Swat-Tal erfahren können?

    Herbinger: Nur, dass eben Kämpfe stattfinden und dass sie wirklich keine Wahl gesehen haben, als schnell zu flüchten.

    Heinemann: Wie bringen Sie Ihre Notrationen zu den Menschen in die verschiedenen Regionen, die Sie eben aufgezählt haben?

    Herbinger: Wir haben Lagerhäuser aufgebaut, wo die Leute hingerufen werden, nachdem sie registriert wurden, und dann kriegen die ihre monatliche Ration, und das funktioniert sehr gut. Wir können eigentlich alle erreichen. Diese Lagerhäuser - wir nennen die humanitäre Lager -, da werden auch andere Dienstleistungen dann verteilt.

    Heinemann: Herr Herbinger, Ihre Organisation hat an die Hilfsbereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft appelliert, um die Nahrungsmittelverteilung fortsetzen zu können. Was fehlt zurzeit?

    Herbinger: Glücklicherweise fehlt zurzeit nichts, aber ich muss das gleich qualifizieren. Wenn nicht sofort auch neue Zusagen kommen, werden in zwei Monaten unsere Rationen zu Ende gehen. Wir sind in der glücklichen Lage, den Flüchtlingen zusichern zu können, dass sie sich nicht sorgen müssen für die nächsten zwei Monate, aber es dauert normalerweise zwei Monate, um von einer neuen Hilfszusage das umzusetzen in eine neue Hilfslieferung und Verteilung an die Bedürftigen.

    Heinemann: Und was benötigen Sie vor allem, finanzielle Hilfe, oder logistische Unterstützung, oder Sachspenden?

    Herbinger: Wir ziehen finanzielle Hilfe vor, weil es ist am besten für uns, wenn wir im Land selbst die Nahrungsmittel kaufen können. Da ist die Lieferung schnell und zuverlässig und die Qualität ist so, wie sie im Land eben gewohnt ist.

    Heinemann: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den pakistanischen Behörden?

    Herbinger: Ich muss sagen sehr gut. Die Regierung bemüht sich sehr um die Situation. Die haben selbst dem Welternährungsprogramm Ressourcen zukommen lassen. Wir haben von einer Provinzregierung 5000 Tonnen zur Verteilung erhalten. Die Regierung bemüht sich sehr.

    Heinemann: Wolfgang Herbinger war das vom UN-Welternährungsprogramm. Wir sprachen mit ihm in Islamabad, in der pakistanischen Hauptstadt. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Herbinger: Vielen Dank, Herr Heinemann. Auf Wiederhören!