Spengler sagte weiter, von außen betrachtet seien die Demonstranten nicht sehr strukturiert. Es sei keine klare Organisation erkennbar. Deswegen könne man die Erfolgsaussichten der Bewegung schlecht einschätzen.
Er betonte, in der Zeit nach dem Verkauf Hongkongs von Großbritannien an China habe eine ganz andere Stimmung und mehr Freiheit geherrscht, "deshalb merkt man die Rücknahme dieser Rechte besonders schmerzlich." Die Hongkonger seien "ein lebhaftes, ein empfindliches Völkchen."
Das komplette Interview können Sie hier nachlesen.
Friedbert Meurer: Heute ist Nationalfeiertag in China, also auch in Hongkong. Viele Menschen nutzen diesen Feiertag, um sich ein paar Tage zu entspannen oder einen Kurzurlaub zu machen, oder um auf der Straße zu protestieren. Die Demokratiebewegung nimmt auch heute keine Auszeit.
Tilman Spengler ist Schriftsteller und Sinologe. 2011 wurde er einem breiteren Publikum bekannt, als er in Begleitung des damaligen Bundesaußenministers Guido Westerwelle an der Einreise nach Peking gehindert wurde. Guten Tag, Herr Spengler.
Tilman Spengler ist Schriftsteller und Sinologe. 2011 wurde er einem breiteren Publikum bekannt, als er in Begleitung des damaligen Bundesaußenministers Guido Westerwelle an der Einreise nach Peking gehindert wurde. Guten Tag, Herr Spengler.
Tilman Spengler: Hallo! Ich grüße Sie.
Meurer: Sie setzen sich ja seit geraumer Zeit für mehr Bürgerrechte und Freiheit in China ein. Wie viele Hoffnungen verbinden Sie mit der Demokratiebewegung jetzt in Hongkong?
Spengler: Das ist im Augenblick ganz schwer zu sagen, weil das, was dort passiert, ja von außen betrachtet sehr unstrukturell ist. Man weiß nicht, wer die Leute sind, diese riesigen Zahlen von Studenten, mit denen es angefangen hat, die sich da auf den Straßen versammeln. Es gibt keine richtigen offiziellen Sprecher, soweit man das von hieraus beurteilen kann, und es gibt irgendwie auch kein größeres Programm, außer diesem sehr leicht nachvollziehbaren Protest dagegen, dass die Wahlen keine Wahlen sein sollen im Jahre 2017.
Meurer: Das heißt, Sie sind ein bisschen skeptisch, was da passiert?
Spengler: Nein, ich finde das herzbewegend, was da passiert. Das ist nicht die Frage, sondern die Frage ist ganz einfach, was ist die genaue Struktur, was ist die genaue Organisation, was entwickelt sich da gerade. Sehr viel mehr als viele, viele, viele Leute auf der Straße, die für Sachen demonstrieren, die für uns selbstverständlich sind, können wir im Augenblick noch nicht sehen und analysieren.
Meurer: Glauben Sie, dass die Demonstranten für die ganze Stadt Hongkong sprechen?
Hongkonger sind lebhaftes Völkchen
Spengler: Jedenfalls für einen großen Teil, und es ist ja erfreulicherweise auch nicht das erste Mal, sondern - wann war denn das? - 2003 war, glaube ich, der Rekord mit 500.000 Demonstranten, die gegen die Verschärfung der Pressezensur demonstriert haben. Das ist ein lebhaftes, ein empfindliches Völkchen da und wie in jeder größeren Gemeinschaft wird es da auch die Dissidenten geben oder die Leute, die warnen, wie Ihr Korrespondent gesagt hat, die davor warnen, sich zu sehr auf der Straße zu bewegen, weil auch die Kräfte der Repression sehr gewaltig sind.
Meurer: Würden sie den Demonstranten raten, vorsichtig zu sein, sich zurückzuhalten mit ihren Forderungen, damit es nicht zu einer Wiederholung der Ereignisse vor 25 Jahren kommt?
Spengler: Gut. Wie jeder, der das erlebt hat 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens, kann ich auch nur raten, äußerste Vorsicht an den Tag zu legen. Aber man hat sicherlich daraus gelernt, aus dem, was damals passiert ist, und das gilt sowohl für die Studenten in Hongkong, das gilt hoffentlich - mein Wort in irgendeines Gottes Ohr - auch für das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei in Peking.
China erhöht staatliche Sicherheit
Meurer: Glauben Sie, dass der Funke aus Hongkong überspringen könnte auf das Festland?
Spengler: Jedenfalls scheint das, bei den Herrschern, bei den Machthabern der KP ein durchaus verbreitetes Gefühl zu sein. Man sieht ja in den letzten Monaten schon eine ganze Reihe von Maßnahmen, die eher der sogenannten staatlichen Sicherheit dienen sollen als der Erweiterung des demokratischen Potenzials.
Meurer: Was spricht dafür, dass die Führung in Peking auf Forderungen der Demonstranten eingehen wird? Wird es nicht eher so sein, dass man da eher ein Exempel statuieren will, bevor das Ganze übergreift?
Spengler: Das ist die Gefahr, da haben Sie völlig recht, und das ist sicherlich auch das, was die Demonstranten in Hongkong sehr genau wissen, und deswegen nehmen die Ängste zu. Ich habe am Morgen mit Freunden in Hongkong telefoniert und die redeten sogar schon davon, dass die Angst im Augenblick sich ausbreitet, dass es heute Nacht - wir sind ja zeitverschoben - schon zum Einschreiten der sogenannten Ordnungskräfte kommt.
Rücknahme der Freiheitsrechte merkt man
Meurer: Was sagen Ihre Gesprächspartner in Hongkong? Wie frei ist die Stadt noch?
Spengler: Das ist eine Frage, mit wann man es vergleicht. Sie ist sicherlich nicht mehr so frei, wie es direkt nach der Machtübernahme durch die Kommunisten war, denn das dürfen wir nicht vergessen: Unter den britischen Besatzern hat es da ja auch keine Demokratie gegeben und hat es auch relativ scharfe Zensurgesetze gegeben. Aber es gab eine Zeit, wo man sich daran gewöhnte, dass die Presse frei war, dass die Möglichkeit, sich hierhin oder dorthin zu bewegen, sehr viel freier war, und es gab dann durch die Einführung des Internets und der verschiedenen sozialen Netzwerke, die von Chinesen ganz besonders fleißig und eifrig genutzt werden, da herrschte natürlich eine ganz andere Stimmung. Deswegen merkt man jetzt die Rücknahme dieser Rechte besonders schmerzlich.
Meurer: Wir hören, dass die Korruption sich ausgebreitet hätte in Hongkong. Ist das auch anders als früher noch zu britischer Zeit?
Hongkong ist ein Symbol für Festlandchinesen
Spengler: Das ist sicherlich früher anders gewesen. Da haben die Briten schon ein ordentliches Auge drauf geworfen. Ich glaube, wir beziehen uns auf den Bericht, den der Kollege Strittmatter in der "Süddeutschen" geschrieben hat, und damit hat er natürlich sehr Recht. Es gibt noch eine andere Seite: Es gibt so eine Art wachsende Verdrossenheit der Hongkonger Bevölkerung mit den Leuten, die aus dem chinesischen Festland nach Hongkong kommen. Auch da gibt es Spannungen, die direkt nicht mit Politik oder mit Freiheitsdrang zu tun haben, sondern die einfach darauf zurückzuführen sind, dass für viele Chinesen Hongkong der erste Schritt in ein freieres Paradies ist, und deswegen ziehen sie da gerne hin oder bunkern ihr Geld dort gerne.
Meurer: Hongkong ist schon ein Symbol für die Festland-Chinesen?
Spengler: Ja, das ist schon die erste Stufe in eine andere Richtung.
Meurer: Wie wird es weitergehen die nächsten Tage und Wochen?
Spengler: Da können wir alle nur, wenn wir gläubig sind, beten und hoffen, dass die Vernunft die Oberhand hält.
Meurer: Der britische Ministerpräsident Cameron hat jetzt immerhin den chinesischen Botschafter einbestellt in London. Was sollte der Westen jetzt tun?
Spengler: Ich würde da abwarten. Ich nehme an, dass es eine konzertierte Aktion war, dass man irgendwo in Washington gesagt hat, das übernimmt jetzt mal der britische Premierminister sozusagen für uns alle, und der britische Premierminister steht natürlich noch in einer anderen Verantwortung, weil er ist ja der Nachfolger von denjenigen, die die Verträge damals mit der Volksrepublik China geschlossen haben. Ich würde das jetzt nicht so ein bisschen überdramatisieren als politische Aktion, weil die Erfahrung uns gelehrt hat, dass da sich der chinesische, der volkskommunistische Unmut am stärksten regt und sie sagen, jetzt mit uns nicht mehr, wir sind keine Kolonialmacht mehr.
Meurer: Tilman Spengler, Schriftsteller und Sinologe, bei uns im Deutschlandfunk heute Mittag zu den Protesten in Hongkong und welche Perspektiven diese Proteste haben. Herr Spengler, herzlichen Dank und auf Wiederhören!
Spengler: Herr Meurer, ade!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.