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"Massentierhaltung ist das eigentliche Thema"

Nach dem Lebensmittelskandal um Pferdefleisch diskutiert die Politik über Strategien und Konsequenzen. Für Valentin Thurn, Autor der kritischen Fernsehdokumentation "Taste the Waste", geht die Debatte um bessere Kontrollen und höhere Strafen am Kern des Problems vorbei. Er sieht auch den Verbraucher in der Pflicht: "Je mehr ich auf den Preis achte, desto mehr befördere ich so ein System."

Valentin Thurn im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Bei Lidl haben sie jetzt noch mal genau hingeschaut und weitere Fertiggerichte mit Pferdefleisch im Kühlregal gefunden. Nicht nur die Tortelloni Rindfleisch musste der Discounter vom Markt nehmen, sondern jetzt auch ein Rindergulasch, Ravioli in pikanter Soße und Penne Bolognese. So weit, so bekannt: ein zunächst kleines Problem in Großbritannien hat sich rasch zu einem großen Problem auch hier in Deutschland entwickelt. Entsprechend der wachsenden Empörung reagieren auch die Politiker. Noch vor zwei Jahren hielt Ilse Aigner eine Kennzeichnung über die Herkunft von Fleisch für nicht machbar und auch für nicht nötig; jetzt überschlägt sich die Ministerin für Verbraucherschutz förmlich. Die Stichworte dazu: ein nationaler Aktionsplan oder auch ein Zehn-Punkte-Plan. Hier im Studio jetzt der Filmemacher Valentin Thurn, Autor unter anderem der Fernsehdokumentation "Taste the Waste" über die gigantische Verschwendung von Lebensmitteln auch und gerade hier in Deutschland. Guten Morgen, Herr Thurn!

    Valentin Thurn: Guten Morgen!

    Barenberg: Was wir da gerade gehört haben, diese Forderung auf schnellere, bessere Kontrollen, auf härtere Strafen, all das muss jetzt folgen, was halten Sie davon? Sie haben sich lange mit Lebensmittelproduktion und der Verwendung von Lebensmitteln beschäftigt.

    Thurn: Ja das ist natürlich einerseits gut, dass jetzt plötzlich doch kontrolliert werden kann. In einer Zeit, wo die Lebensmittelkontrolle lokal organisiert ist und die Lebensmittelindustrie aber längst international operiert, war das sowieso ein Anachronismus, dass wir dem nicht hinterher kamen. Aber mich würde eigentlich sehr viel mehr interessieren, dass nach der Qualität des Fleisches vielleicht untersucht wird und nicht danach, ob jetzt wieder mal Pferdefleisch ins Rindfleisch reingelangt. Streng genommen ist das Pferdefleisch ja möglicherweise qualitativ sogar überlegen. Das waren wenigstens Tiere, die draußen waren und noch Gras gegessen haben, wobei Falschdeklarierung geht natürlich gar nicht. Also man kann niemandem irgendwas Falsches vorgaukeln, das ist auch ganz klar. Aber ich wünschte mir, dass man zum Beispiel beim Rind erkennt, hat das jemals Tageslicht gesehen, wurde das nur mit Kraftfutter gefüttert, oder durfte das auf die Weide. Das ist nämlich eine ganz andere Qualität von Fleisch.

    Barenberg: Und das kann der Verbraucher heute gar nicht unterscheiden, oder nur in manchen Fällen?

    Thurn: Nein, nur wenn er den Bauern kennt. Es gibt ein paar ganz wenige Metzger, die mir glaubhaft versichern, ich habe hier Fleisch von dem und dem Bauern, ich weiß, wo das her kommt. Wenn ich in den Supermarkt gehe, weiß ich das nicht.

    Barenberg: Wir reden über Billigprodukte, vor allem jedenfalls und in erster Linie, wenn es jedenfalls um diese falsch deklarierten Produkte geht, die mit Pferdefleisch vermischt wurden. Stehen die zu Recht jetzt im Blickpunkt, diese Billiglinien der verschiedenen Ketten und Discounter?

    Thurn: Es hat natürlich auch was mit dem Preis zu tun. Je mehr ich auf den Preis achte, desto mehr befördere ich so ein System. Das ist ja optimiert worden im Sinne auch des Preisdrucks. Wir haben über viele Jahrzehnte eigentlich die Situation: Das Hauptkriterium für die Nahrungsmittelauswahl war doch der Preis. Und dass dann die Industrie so darauf reagiert, dass sie den Preis optimiert, wo sie ihn nur optimieren kann, da braucht man sich doch nicht wundern. Für 1,45 eine Lasagne – ja gut, dann muss man nicht mit wirklicher Qualität rechnen. Anders herum: Es gibt natürlich Menschen, die mit dem Geldbeutel rechnen müssen. Die Gesellschaft ist zweigeteilt. Aber ich glaube, das eigentliche Problem ist: der Verbraucher ist in sich zweigeteilt. Er fährt mit dem Porsche zum Aldi. Das ist so die Schizophrenie, die das eigentliche Problem ist, weil die meisten von uns haben noch nie so wenig Geld für ihre Lebensmittel ausgegeben wie heute.

    Barenberg: Die Menschen ringsum in den Nachbarländern geben ja auch meistens mehr Geld eher aus für Lebensmittel, als wir das tun. Sehen Sie darin ein Problem, was dann zu solchen Skandalen auch führt, was sie begünstigt?

    Thurn: Wenn wir den Lebensmitteln mehr Wertschätzung gegenüber bringen, dann fangen wir auch an, uns darüber Gedanken zu machen, wo kommt mein Fleisch zum Beispiel her. Ich muss sagen, die Beschäftigung mit der Lebensmittelverschwendung hat bei mir vor allem zu einem geführt: ich esse weniger Fleisch. Ich leiste mir tatsächlich Fleisch, das doppelt und dreimal so viel kostet, und esse einfach dann nur noch zwei-, dreimal die Woche Fleisch. Das reicht mir, ist wirklich ein besseres Gefühl, ich kann das nur jedem empfehlen. Es gibt allerdings bei den meisten Supermärkten diese Möglichkeit nicht, das zurückzuverfolgen. Es gibt ein paar wenige kleine Supermarktketten, die sich das anders überlegt haben. Die großen sind noch nicht so weit. Aber wenn der Druck der Verbraucher – der geht ja schon in Richtung Regionalisierung und beim Obst und Gemüse ist das ja schon so weit, dass auch die großen anfangen zu sagen, ja das ist da und da her. Das ist schwierig! Ich habe mal mit einem Einkäufer einer großen Supermarktkette geredet. Die sagen, wenn wir jetzt anfangen, auch ungenormtes Gemüse – das war ja ein großes Thema bei der Lebensmittelverschwendung – kaufen zu wollen, wir finden es ja schon gar nicht mehr auf dem Großmarkt, wo sollen wir das denn herholen. Die Lieferketten sind bereits so optimiert, dass alles mit allem vermischt wird und vorher alles aussortiert wird, was optisch dem nicht entspricht. Inhaltlich, wie man sieht, spielt es ja dann gar keine Rolle. Wenn man es nicht mehr sieht, wird alles reingewurstelt.

    Barenberg: Das heißt aber auch, bessere Kontrollen, mehr Transparenz, bessere Kennzeichnung der Herkunft zum Beispiel auch von Fleisch, das finden Sie richtig. Aber wir müssen auch darüber reden, ob wir in Zukunft eher weniger Geld ausgeben oder mehr Geld ausgeben für bessere Lebensmittel?

    Thurn: Ja es ist natürlich auch in der Verantwortung des Verbrauchers zu sagen, wenn ich regionale Produkte will, wenn ich wieder Vertrauen haben will, wo mein Essen herkommt, dann muss ich auch bereit sein, ein wenig mehr auszugeben. Das heißt jetzt nicht gleich das Doppelte. Ich glaube, man sieht es zum Beispiel an der fairen Milch. Das ist eine Milch, die von Bauern gemacht wird, die einen fairen Preis haben wollen. Die kostet nicht doppelt so viel, die kostet zehn Cent mehr. Und sie ist von Kühen, die auf der Weide standen. Nur, dass diese Landwirte noch nicht mal damit werben dürfen, dass ihre Heumilch gesünder ist, weil die großen Molkereien sie dann sozusagen mit ihren Anwälten, ihrer Schar der Anwälte dazu bringen, dieses Argument nicht in die Werbung reinzubringen, weil sie das nicht durchkämpfen könnten vor Gericht, weil sie einfach keinen finanziellen Hintergrund haben, um solche Prozesse durchzustehen.

    Barenberg: In der politischen Debatte dreht sich jetzt alles um Strafen und Kennzeichnung. Fehlen da diese anderen Aspekte, über die Sie gesprochen haben?

    Thurn: Ja, ich finde auch. Es wird immer nur über Rindfleisch/Pferdefleisch geredet. Eigentlich müsste man sich auch Gedanken machen, was passiert denn jetzt mit den viereinhalb Millionen Lasagne. Ja die landen natürlich alle auf dem Müll, darüber redet keiner, das ist eine wahnsinnige Verschwendung. Warum ist es überhaupt so weit gekommen? Es wurde über viele Jahre ein System der immer größer werdenden Betriebe gestützt, und diese Massentierhaltung ist das eigentliche Thema, über das man reden muss, ob antibiotikaresistente Bakterien zum Beispiel im Fleisch sind.

    Barenberg: Der Filmemacher und Regisseur Valentin Thurn heute Morgen hier im Studio des Deutschlandfunks. Danke für den Besuch.

    Thurn: Danke.


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