Friedbert Meurer: In 30 Zeitungen weltweit erscheinen heute Anzeigen, mit denen gegen die flächendeckende Überwachung des Internet- und Mobilfunkverkehrs protestiert wird. In Deutschland im Feuilleton der FAZ, in der Schweiz in der Neuen Zürcher Zeitung. Ein weltweiter Aufruf, initiiert gegen die systematische Überwachung in der digitalen Welt, von mehr als 500 Autoren aus aller Welt unterzeichnet. Initiiert wurde das ganze von Juli Zeh und Ilija Trojanow, und mit dem Autor Ilija Trojanow bin ich jetzt verbunden. Guten Morgen!
Ilija Trojanow: Guten Morgen! Eine kurze Korrektur. Das sind nicht Anzeigen, sondern die Journalisten haben tatsächlich auch aus Überzeugung uns angeboten, dass sie den Aufruf publizieren und auch begleiten.
Meurer: Wer hat sich denn dem verweigert? Wer wollte denn nicht mitmachen, Herr Trojanow?
Trojanow: Bei den Autoren waren wir sehr beglückt. Es war nur eine Handvoll von Autoren, die nicht unterzeichnen wollten. Bei allen anderen haben wir eigentlich offene Türen eingerannt. Und interessanterweise bei den Zeitungen waren es gerade die großen amerikanischen Zeitungen, die als einzige – gut: in China haben wir natürlich auch keine Chance gehabt – sich geweigert haben, das zu publizieren.
Meurer: Hatte das auch finanzielle Gründe, dass Sie gesagt haben, eine Anzeige zu schalten in der Washington Post, die abgelehnt hat, genauso wie die New York Times, wäre zu teuer geworden?
Trojanow: Nein, nein. Noch mal zur Erklärung: Das sind keine Anzeigen.
"Wir haben überhaupt keine finanzielle Unterstützung"
Meurer: Ja, ist schon klar. Aber das wäre ja dann die Alternative gewesen.
Trojanow: Nein, um Gottes Willen! Wer soll denn das finanzieren? Wir sind ja eine Gruppe von freien, selbst organisierten Autoren. Wir haben überhaupt keine finanzielle Unterstützung und auch keine institutionelle Unterstützung. Das heißt, wir haben das selber völlig frei organisiert, und insofern haben wir auch nie daran gedacht, Anzeigen zu schalten, denn nach unserer Meinung ist das Thema so schwerwiegend, dass eigentlich jeder, dem Freiheit, freie Meinungsäußerung, Bürgerrechte noch irgendwie am Herzen liegt, sich diesem Aufruf und auch hoffentlich diesem weitergehenden Protest anschließen sollte.
Meurer: Da es ja doch zwei so namhafte, weltberühmte Zeitungen sind, warum haben Washington Post und New York Times Nein gesagt?
Trojanow: Na ja, was merkwürdig ist, dass uns zwischen den Zeilen vermittelt wurde, dass sie gegenwärtig sehr unter Druck stehen. Mehr wurde nicht gesagt. Man kann darüber spekulieren, was das bedeutet. Aber auf jeden Fall haben wir ganz eindeutig eine Sorge und eine Scheu gespürt, sich zu aggressiv diesem Thema zuzuwenden.
Meurer: Sie glauben, diese Zeitungen hatten Angst vor juristischen Folgen?
Trojanow: Nein, nein, juristische Folgen nicht. Aber wissen Sie, wenn Sie in Washington oder New York als große Zeitung bestehen wollen, müssen Sie natürlich auch gute Kontakte pflegen zu verschiedenen Behörden, zur Regierung, und insofern ist da durchaus eine Warnung, macht da nicht zu viel, relevant.
Meurer: Haben Sie nicht gespürt, Herr Trojanow, dass man in den USA die Geschichte etwas anders sieht, noch aus der Erinnerung aus 9/11 heraus, aus dem Terroranschlag von 2001. Und dass man dort sagt, flächendeckende Überwachung, digitale Überwachung nehmen wir in Kauf, wenn damit Terroranschläge verhindert werden?
Trojanow: Das wird natürlich immer wieder behauptet. Inwieweit das tatsächlich alle Amerikaner so empfinden, kann ich nicht sagen. Die Umfragen deuten darauf hin, dass die Meinung sich allmählich ändert, dass die Menschen erkennen, dass das keine besonders gute Methode ist, Freiheit zu schützen, indem man Freiheit abschafft. Das leuchtet, glaube ich, jedem ein.
Die Bundesregierung ist aufgefordert zu reagieren
Meurer: Sie fordern eine Konvention der Vereinten Nationen. Was schwebt Ihnen da vor?
Trojanow: Zunächst muss man einmal sagen, dass ja die deutsche Bundesregierung jetzt aufgefordert ist, zu reagieren. Das war sie davor schon, aber jetzt erst recht, wenn sie sich jetzt neu konstituiert. Es ist ein leichtes, jene Bürgerrechte, die analog schon längst verankert sind, durch einen Passus dann auch ganz klar digital einzusetzen. Und es ist auch relativ einfach für die Regierung, wenn der politische Wille da wäre, die Umtriebe der eigenen Geheimdienste zu regulieren. Damit das natürlich global gelöst wird, wäre eine Konvention der UN sehr hilfreich. Das ist natürlich eine eher utopische Forderung im Moment. Ich habe das Gefühl, dass trotz der internationalen Verflechtungen natürlich die einzelnen Staaten mit gutem Beispiel vorangehen könnten.
Meurer: Es gibt ja die Deklaration der Menschenrechte, Schutz der Privatsphäre. Braucht es da noch eine zusätzliche Konvention?
Trojanow: Das braucht es, weil die ganze Diskussion ja daran hapert, dass es Grauzonen offensichtlich gibt. Das bestätigen ja auch alle Fachleute, dass die Geheimdienste, aber auch die Großkonzerne sehr gewieft diese Grauzonen ausnutzen. Es wird ja oft behauptet, es sei nicht direkt ein Gesetz verletzt worden. Das heißt, was wir im Moment erleben ist, dass der Geist des Gesetzes, das heißt Bürgerrechte, Freiheitsrechte, per se verletzt werden, nicht aber ein konkretes Gesetz.
Das Nein der Großkonzerne ist ein Fortschritt
Meurer: Die Großkonzerne, die Sie gerade erwähnen, da hat es jetzt gerade eine Initiative von acht US-Konzernen gegeben, Facebook, Google, Apple, Microsoft, die sich alle an die US-Regierung wenden und sagen, wir wollen nicht länger der Buhmann sein, mal verkürzt gesagt. Aus Ihrer Sicht ein Fortschritt?
Trojanow: Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt, auch wenn natürlich manche jetzt sagen werden, das ist eine höhere Form der Heuchelei, weil natürlich diese Konzerne selbst intensiv Daten sammeln, abschöpfen und teilweise auch damit Missbrauch treiben. Aber ich finde es sehr gut, egal was die Motive sind, dass auch von dieser Seite jetzt ein klares Nein kommt. Wenn all diese Provider und Computerkonzerne sich verweigern würden, also eine Form sozusagen des unternehmerischen zivilen Ungehorsams, dann wären wir natürlich ein großes Stück weiter.
Meurer: Sie haben einen Brief ja an die Bundeskanzlerin geschrieben, schon vor einigen Wochen. Irgendeine Antwort bekommen?
Trojanow: Nein, überhaupt keine Antwort, nicht einmal eine Pro-forma-Antwort. Deswegen denke ich mir, jetzt, nachdem wirklich repräsentativ die Welt durch ihre Autoren jetzt diesen Aufschrei von sich gegeben hat, würde ich schon meinen, dass die Bundesregierung das zur Kenntnis nehmen sollte und ernsthaft zumindest in irgendeiner Weise sich positionieren sollte.
Meurer: In 30 Zeitungen weltweit erscheint heute ein Aufruf gegen die digitale Massenüberwachung, initiiert unter anderem von dem Schriftsteller Ilija Trojanow. Herr Trojanow, besten Dank und auf Wiederhören.
Trojanow: Danke Ihnen! Ciao!
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