Sechs Journalistinnen und Journalisten haben in den vergangenen Wochen zugespielte Dokumente ausgewertet, darunter interne Memos, Powerpoint-Präsentationen und Diskussionen aus dem firmeninternen Chat-Kanal von Facebook. Jeff Horwitz ist der Chefautor der Serie und Silicon-Valley-Reporter des "Wall Street Journals":
Keine Einzelfälle
"Wir zeigen, dass es sich nicht um einzelne Fälle von Versagen handelt, von denen das Unternehmen überrascht wurde. Vielmehr liegt hier eine breite Akzeptanz vor. Facebook kümmert das wenig. Es wird erst aktiv, wenn ein Fall für öffentliche Aufmerksamkeit sorgt."
Im jüngsten Artikel zitiert das "Wall Street Journal" aus einem internen Protokoll. Danach soll ein Facebook-Manager gesagt haben, man habe eine Maschine geschaffen, die man nicht mehr kontrollieren könne. Dieses Bild zieht sich wie ein roter Faden durch die Artikel-Serie.
Rache-Pornographie erreicht Millionen Menschen
Ein Beispiel ist der brasilianische Fußballstar Neymar. Der postete 2019 nach Vergewaltigungsvorwürfen gegen ihn auf Instagram ein Video, in dem Name und Nacktfotos der Frau zu sehen waren, die ihn beschuldigt hatte - nach den Facebook-Regularien ein klarer Fall von Rache-Pornografie, der mit Löschung des Kontos geahndet wird. Nicht jedoch im Falle Neymars, sagt Horwitz.
"Neymar war auf Instagram besonders geschützt. Er ist einer der Top-20-Influencer des Dienstes. Den Mitarbeitenden, die seinen Eintrag löschen wollten, fehlten dazu die Befugnisse. Das Ganze ist an einem Wochenende passiert. Es hat mehr als 24 Stunden gedauert, bis das Posting schließlich gelöscht war. Mehr als 56 Millionen Menschen haben die Nacktfotos der Frau gesehen."
Sonderregeln für Prominente
5,8 Millionen Prominente weltweit, so das Journal, befinden sich auf der Ausnahmeliste, "Cross Check" genannt: Diktatoren, Schauspieler, Politiker. Jeff Horwitz vom "Wall Street Journal":
"Verschiedenste Bereiche aus dem Unternehmen haben Promis dieser Liste hinzugefügt. Dutzende Teams, mindestens 40, hatten dazu die Möglichkeit. Jeder machte das auf seine Art. Das Ganze wurde von niemanden innerhalb Facebooks kontrolliert."
In einem anderen Artikel schildert die Zeitung, dass das soziale Netzwerk angeblich tatenlos zugesehen habe, wie ein mexikanisches Drogenkartell Facebook nutzte, um Auftragsmörder zu rekrutieren.
Löschungen erst nach Druck von Apple
Im selben Artikel geht es um einen Bericht der BBC aus dem Jahr 2019. Dieser kam zu dem Schluss, dass als Jobvermittlungsagenturen getarnte Menschenhändler im Nahen Osten via Facebook Anzeigen schalteten, um Menschen zu versklaven. Auf den BBC-Bericht hin habe der Apple-Konzern seinerseits Facebook gedroht, die Instagram- und Facebook-App aus dem App-Store zu löschen.
"Das hätte dazu geführt, dass iPhone-Besitzer weder Instagram noch Facebook auf ihren Telefonen installieren können. Das hat schlussendlich funktioniert. Facebook hat mehr als 100.000 Inhalte innerhalb weniger Tage gelöscht. Ich halte das für bemerkenswert, dass das Unternehmen erst aktiv wird, wenn sein Geschäftsmodell bedroht wird", sagt Horwirtz.
Obwohl Facebook und sein Chef Mark Zuckerberg immer wieder betont haben, Dienste wie Instagram hätte keine negativen Folgen für Teenager, kommt das "Wall Street Journal" zu einem anderen Ergebnis, und zwar auf Basis von wissenschaftlichen Untersuchungen, die Facebook selbst in Auftrag gegeben hat. Vor allem junge Mädchen, die mit ihrem Körper unzufrieden seien, gehe es noch schlechter, nachdem sie einige Zeit auf Instagram verbracht hätten.
Kampf gegen Hass nur in einigen Ländern
Facebook versuche Fakenews und Hassbotschaften vor allem in seinem englischsprachigen Angebot in den USA zu bekämpfen, sagt Horwitz:
"Deutschland und Europa stehen vermutlich weit oben auf dieser Liste. Aber wenn es dann weiter runter geht, mit Ländern, die schwächere Regierungen, Gesetze oder Medien haben, dann gibt Facebook einfach kein Geld mehr dafür aus."
Die Dokumente, aus denen das "Wall Street Journal" seit Tagen zitiert, sollen wohl auch dem US-Kongress vorliegen. Facebook hat erst am Wochenende auf die Artikelserie reagiert. Nick Clegg, früherer britischer Vizepremier und heute Kommunikationschef von Facebook, erklärte: Die Berichte enthielten "absichtliche Fehlbeschreibungen" und zeigten nicht das ganze Bild.