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Massiver Fachkräftemangel in Kitas befürchtet

Ab 2013 soll es in Deutschland für jedes Kind unter drei Jahren einen Kitaplatz geben. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass dazu 15.000 pädagogische Fachkräfte fehlen. Eine mögliche Lösung könnte in der Vollbeschäftigung der heutigen Teilzeitkräfte bestehen.

Anette Stein im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Im August nächsten Jahres wird die Garantie auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige wirksam, derzeit läuft zwar der Ausbau, aber niemand glaubt wirklich, dass er rechtzeitig abgeschlossen sein wird – es gibt einen dramatischen Fachkräftemangel. Die Bertelsmann-Stiftung hat heute ihren Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme veröffentlicht, der die Lage mit Stichtag 1. März 2011 zusammenfasst. Anette Stein ist bei der Bertelsmann-Stiftung die Direktorin für das "Programm wirksame Bildungsinvestitionen". Guten Tag, Frau Stein!

    Anette Stein: Guten Tag, Herr Biesler!

    Biesler: Wie weit ist denn der Ausbau der Kapazitäten vorangeschritten, wie viel Erzieherinnen und Erzieher brauchen wir noch?

    Stein: Uns fehlen im kommenden Jahr bis zu 15.000 pädagogische Fachkräfte in den Kitas. Demgegenüber stehen dann 260.000 Plätze für die Kinder.

    Biesler: Die noch gebraucht werden?

    Stein: Die noch gebraucht werden.

    Biesler: Wie sieht es aus mit der Erreichbarkeit der Garantie zum 1. August nächsten Jahres für die unter Dreijährigen?

    Stein: Das ist jetzt sehr unterschiedlich, je nach Bundesland und auch je nach Region. Es wird ja auch so sein, dass nicht in allen Städten in gleichem Maße nachgefragt wird. Das macht es auch so schwierig, aus der heutigen Sicht zu sagen, wo genau wird es Probleme geben und wo nicht. Aber je nach Bundesland sind die Herausforderungen schon so groß, dass es doch sehr schwer sein wird, jetzt innerhalb eines Jahres das noch aufzuholen.

    Biesler: Sie haben sich ja die Entwicklung zwischen 2006 und 2011 angeschaut, was da in den unterschiedlichen Bundesländern passiert ist, im Osten – das wissen wir eigentlich – auf wesentlich höherem Niveau als im Westen. Im Osten gibt es prozentual gesehen mehr Betreuungsplätze als im Westen, das ist eigentlich in allen Ländern gleich zu beobachten. Aber was hat sich getan, haben die Bundesländer in den vergangenen fünf Jahren einen erheblichen Ausbau geschafft?

    Stein: Insgesamt ist schon einiges passiert, das kann man ganz klar sagen, aber auch das ist wieder – je nach Bundesland – sehr unterschiedlich verlaufen. Es gibt Länder, die sind extrem nach vorne gegangen, bei einigen hat sich relativ wenig getan, und da ist jetzt eben im verbleibenden Jahr eine enorme Herausforderung, das noch zu schaffen.

    Biesler: Wo hat sich denn wenig getan?

    Stein: Schlusslicht ist Nordrhein-Westfalen im Augenblick, die haben nur für knapp 16 Prozent der Kinder unter drei Jahren derzeit Plätze entsprechend geschaffen, das heißt, da ist die Herausforderung auch am größten. Da fehlen im Augenblick noch 90.000 Plätze.

    Biesler: Und in welchen Ländern ist es gut gelaufen?

    Stein: Rheinland-Pfalz ist ziemlich weit entwickelt und hat sich in den letzten Jahren sehr konstant vorwärts entwickelt, die stehen im Augenblick bei 25 Prozent, haben jedes Jahr sehr viel zugelegt, also insofern sind die in den westlichen Bundesländern sehr weit vorne. Generell ist es ja so, dass in den östlichen Bundesländern ohnehin dieses Problem nicht besteht, da gibt es eher qualitative Fragen, die wichtig sind zu berücksichtigen, aber in den westlichen Bundesländern hat sich vor allen Dingen in Rheinland-Pfalz, aber auch durchaus in anderen Ländern sehr viel entwickelt. Hamburg steht bei 32 Prozent oder über 32 Prozent, hat aber als Stadtstaat natürlich auch andere Herausforderungen.

    Biesler: Wenn Sie von den qualitativen Herausforderungen sprechen, dann geht es ja im Wesentlichen, glaube ich, um Personalschlüssel. Für die unter Dreijährigen sind da natürlich andere nötig als für die Älteren.

    Stein: Wir empfehlen einen Personalschlüssel für Kinder unter drei Jahren von eins zu drei – die Erzieherinnen sind nicht permanent ja mit Kindern zusammen, also in der realen Situation entspricht das einer Situation, eine Erzieherin und vier Kinder für Kinder unter drei Jahren. Das ist unsere Empfehlung auf Basis internationaler Studien, und an diese Empfehlung kommt im Augenblick in Deutschland kein Land ran, insbesondere aber die östlichen Länder sind davon sehr weit entfernt. Und deswegen ist ganz klar dort auf der Agenda, wir brauchen mehr Personal, qualifiziertes Personal, deswegen ist nach unserer Einschätzung auch dort mit einem Personalbedarf zu berechnen, der im Augenblick so aber noch gar nicht kalkuliert ist.

    Biesler: Also das ist in den 15.000, die Sie für nächstes Jahr veranschlagt haben, noch nicht enthalten?

    Stein: Nicht in dem Maße, wie das aus unserer Sicht notwendig ist.

    Biesler: 15.000 ist ja schon eine ganze Menge, jetzt gehen wir mal davon aus, dass da vielleicht noch ein paar dazukommen würden, an Bedarf zunächst mal. Es ist darüber viel spekuliert worden, was man denn da machen kann, Schlecker-Mitarbeiterinnen zum Beispiel sollen da unter Umständen qualifiziert werden. Was gibt es denn überhaupt noch für Möglichkeiten?

    Stein: Aus unserer Sicht gibt es eine sehr naheliegende Möglichkeit, die bislang eigentlich kaum diskutiert wird: Wir haben in dem Bereich der Kindertageseinrichtung einen extrem hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigung. Der ist über doppelt so hoch wie in anderen Branchen in Deutschland, und insofern empfehlen wir doch, darüber nachzudenken, dass man das Stammpersonal, was ausgebildet ist, was tatsächlich auch schon da ist und auch die, die im Augenblick in der Erziehung in der Ausbildung sind, aber von denen auch häufig welche dann nicht in die Kita gehen, dort zu gucken, dass man Anreize schaffen kann, um die zu Vollzeitbeschäftigung und überhaupt zu einer Tätigkeit in der Kita zu motivieren.

    Biesler: Wie hoch sind denn die Anteile der Teilzeitbeschäftigungen in den Kitas?

    Stein: Wir haben im Schnitt in Deutschland 60 Prozent der pädagogischen Fachkräfte, die in Teilzeit arbeiten, in allen anderen Branchen liegt das bei ungefähr 30 Prozent oder drunter.

    Biesler: Wenn Sie das in Stellen umrechnen, was für ein Potential ist das?

    Stein: Das kann man so schlecht ausrechnen, weil das ja sehr unterschiedlich ist, je nach dem, in welchem Umfang die jeweils dort tätig sind, aber insgesamt steckt da natürlich ein Riesenpotential zur Steigerung. Also zumindest würde es einen sehr maßgeblichen Beitrag dazu leisten, mit Sicherheit mehr als diese ja sehr exotischen Möglichkeiten, die Sie vorhin vorgeschlagen haben, wenn man darüber redet, nicht ausgebildete Personen reinzuholen, denn wir haben ja einen Riesenpersonalstamm hier. Und wenn von denen 60 Prozent in Teilzeit tätig sind, dann würde das einen ganz deutlichen Mehrgewinn und Zugewinn an Zeit bringen.

    Biesler: Anette Stein über den Bedarf an Fachkräften in den Kitas des Jahres 2013. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung sieht Potenzial vor allem bei den heutigen Teilzeitkräften. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgenommen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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