Zum zweiten Mal in der Corona-Krise gelten ab dem 2. November weitreichende Beschränkungen in Deutschland, um die Zahl der Neuinfektionen mit dem Virus zu senken. Damit die Regeln eingehalten werden, schloss der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sogar Kontrollen in Privatwohnungen nicht aus. Von anderen Politikern gibt es Aufforderungen, die Nachbarn zu beobachten.
"Das ist ein Symptom dafür, dass man den Rechtsstaat in einer zweifellos tiefen Krise nicht richtig ernst nimmt", sagte der Demokratieforscher Wolfgang Merkel dazu im Dlf. Er verwies dabei auf den Artikel 13, Absatz 1 des Grundgesetzes: Die Wohnung ist unverletzlich. "Das ist ein so zentraler Grundsatz – nicht nur des Rechtsstaats, sondern auch der Sicherheit der Bürger untereinander und vor allen Dingen gegenüber dem Staat."
Vertrauen in die Politik gefährdet
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach habe offenbar in der Corona-Pandemie die politische Rolle seines Lebens gefunden, so Merkel. Das bringe ihn dazu, in jedes Mikrofon, das ihm hingehalten werde, hineinzusprechen. "Ich verstehe durchaus, dass einem solche Sachen rausrutschen können, aber er muss sich einfach zurückhalten. Es steht viel auf dem Spiel, nämlich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger."
Wenn dieses Vertrauen in die Politik verloren gehe, sinke die Bereitschaft, den politischen Entscheidungen zu folgen. Dass ihnen Folge geleistet wird, hält der Demokratieforscher aber für sehr wichtig, um die Gesamtsicherheit der Gesellschaft in Deutschland und anderen Ländern zu gewährleisten.
Auf unser Grundgesetz können wir nach Meinung von Wolfgang Merkel zu Recht stolz sein. Aber: "Das Grundgesetz ist nicht nur für Schönwetterlagen da, sondern es muss in tiefen Krisen taugen, die wir als Gesellschaft immer wieder durchleben."
Kritik am Übergehen der Parlamente
Heftige Kritik übte Wolfgang Merkel auch daran, dass die Bundesregierung und die Länderregierungen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ohne einen vorherigen parlamentarischen Prozess verabschiedet haben. Zwar zeigte Merkel Verständnis für die Schwierigkeit der Lage der Regierungen: "Es ist nicht einfach für sie, aber das heißt nicht, dass alle Entscheidungen von der Exekutive getroffen werden sollen. Das würde die parlamentarische Demokratie aushebeln." Für solches "permanentes Notstandsregieren" sieht Merkel keine hinreichenden legitimatorischen Voraussetzungen.
Auch die Rhetorik der Regierenden hält der Demokratieforscher für problematisch, denn es handele sich dabei um eine Kommunikation auf der Grundlage von Angst. "Es werden immer die am schlechtesten anzunehmenden Szenarien skizziert, weil man glaubt, je düsterer die Zukunft gemalt wird, umso eher folgen die Menschen den politischen Entscheidungen."
Diese Annahme ist aber nach Ansicht des Demokratieforschers mittelfristig falsch. Dabei verweist Merkel auf Einschätzungen aus Kommunikationswissenschaft und Psychologie. "Danach kann das einmal, zweimal gut gehen, aber es funktioniert auf die Dauer nicht." Sein Ratschlag an die Regierenden lautet denn auch: "Weg von der Angstkommunikation! Und - auch wenn es schwerfällt: Überzeugen, überzeugen, überzeugen!"