Noch im Frühjahr dieses Jahres wurden schnelle Schulschließungen als wichtiges Mittel im Kampf gegen die Corona-Ausbreitung betrachtet. Was bei einer Grippe wirkungsvoll sein könnte, ist es im Fall des neuen Virus SARS-CoV-2 hingegen nicht. Mit fortschreitender Forschungslage lässt sich die These "Schulen gleich Infektionsbeschleuniger" nicht aufrechterhalten.
Können Kinder SARS-CoV-2 effektiv verbreiten?
In dieser Frage sind sich Virologen nach wie vor uneinig. Es ist schon länger bekannt, dass sich Kinder auch mit dem Coronavirus anstecken können, aber seltener Symptome entwickeln als Erwachsene. Deswegen wird eine Infektion bei Kindern vermutlich auch häufiger übersehen. Das zeigt auch eine Studie zu Antikörpern aus Bayern. In dieser Untersuchung wurden Hinweise auf eine überstandene Infektion bei Kindern sechsmal häufiger gefunden, als sich aufgrund der positiven Tests vermuten ließ. Dennoch hatten weniger als ein Prozent der Kinder überhaupt Kontakt zu dem Virus. Zumindest im Abstrich können Kinder durchaus eine hohe Virenkonzentration aufweisen. Vielleicht sorgt aber ihr kleines Lungenvolumen dafür, dass die Erreger nicht so weit verbreitet werden.
Dennoch gibt es Ausbrüche an Schulen ...
Das stimmt – bislang jedoch verhältnismäßig selten. Von mehr als 32.000 Schulen waren in der vergangenen Woche 165 geschlossen, berichtet die "Welt". Interessant ist auch, dass Grundschulen und Kitas bei den bekannten Ausbrüchen anscheinend weniger betroffen sind als die weiterführenden Schulen.
Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge sind die Hälfte der Infizierten bei Ausbrüchen an Schulen Erwachsene. Gelegentlich kommt es zwar auch zu Übertragungen zwischen Schüler*innen, doch unterm Strich sieht es stärker danach aus, dass die Infektionen von außen in die Schulen eingetragen werden. Nach derzeitigem Forschungsstand kann also nicht der Schluss gezogen werden, dass Schulen massiv zur Ausbreitung der Viren in der Gesellschaft beitragen. Das Alter der Schüler*innen scheint jedoch eine wesentliche Rolle zu spielen: Jugendliche ab 15 Jahren infizieren sich genauso häufig wie Erwachsene und haben in der Regel auch viele Kontakte.
Was bedeutet das für den Schulunterricht?
Erstmal spricht alles dafür, die Schulen offen zu lassen. In diesem Punkt sind sich die meisten einig. Wenn die Infektionszahlen in der Gesellschaft insgesamt ansteigen, wird natürlich auch das Virus häufiger in die Schulen eingetragen. Das RKI plädiert deshalb dafür, die Maßnahmen an den Schulen an die Inzidenz der jeweiligen Region anzupassen. Die höchste Stufe soll bei 50 Fällen pro 100.000 Einwohner in der Woche greifen. Das ist in Deutschland großflächig schon erreicht. Dann sollten auch jüngere Kinder im Klassenzimmer einen Mund- und Nasenschutz tragen und die Gruppen nach Möglichkeit geteilt werden.
Wie lautet das Fazit der Wissenschaft?
Diverse Studien legen nahe, dass Schulen keine Treiber der Infektionswelle sind. Vonseiten der Politik wird es ähnlich gesehen: Bund und Länder betrachten Schließungen von Kitas uns Schulen derzeit als das letzte Mittel, wenn es um Einschränkungen geht.
Warum standen Schulen im Frühjahr im Fokus?
Damals war noch wenig über SARS-CoV-2 bekannt und es lag nahe, das neue Virus mit schon bekannten Atemwegserregern zu vergleichen. Bei der Grippe ist es beispielsweise tatsächlich der Fall, dass Kinder und Jugendliche stark zur Verbreitung der Viren beitragen. Nach und nach hat sich herausgestellt, dass SARS-CoV-2 eben keine Grippe ist und die Schulen nicht diese besondere Bedeutung haben. Bei der Grippe haben ältere Menschen in der Regel schon viele Varianten miterlebt und besitzen deshalb einen gewissen Schutz. Kindern fehlt dieser Schutz aber, weshalb sie Grippeviren vergleichsweise stark verbreiten. Im Fall des neuen Virus SARS-CoV-2 gibt es diesen Unterschied zwischen den Generationen nicht. Schulen sind deshalb wahrscheinlich nicht die entscheidenden Infektionsorte.