Die Große Koalition hat sich auf ein umfassendes Konjunkturpaket für die kommenden zwei Jahre verständigt. Es umfasst 57 Einzelmaßnahmen, die helfen sollen, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Die Gesamtkosten für dieses und nächstes Jahr werden mit 130 Milliarden Euro angegeben.
Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, sagte im Dlf, das Paket sei unter dem Strich gut durchdacht. Man könne die Probleme zwar nicht ganz aus der Welt schaffen - es seien aber viele zukunftsweisende Investitionen dabei.
Kaufprämien für Elektrofahrzeuge
So sei es zum Beispiel richtig, sich nicht speziell auf die Autoindustrie zu konzentrieren, sondern breit zu fördern. Die Bundesregierung hatte angekündigt, neben Prämien für den Kauf klima- und umweltfreundlicher Elektrofahrzeuge auch mehr Geld für Forschung und Modernisierung bei Digitalisierung, Kommunikation, Hightech sowie Klima- und Energiewende bereitzustellen. Fuest meint, die Autofirmen seien nun selbst in der Pflicht, durch Angebote einen Kaufanreiz für Autos zu schaffen.
Senkung der Mehrwertsteuer
Auch die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer sei sinnvoll, um kurzfristig den Konsum anzukurbeln - langfristig bestehe aber die Gefahr, dass ein Konsumloch entstehe.
Im Konjunkturpaket ist vorgesehen, dass vom 1. Juli bis zum 31. Dezember wird der Mehrwertsteuersatz von 19 auf 16 Prozent und der ermäßigte Satz von 7 Prozent auf 5 Prozent gesenkt wird.
Familien erhalten "Bonus" von einmalig 300 Euro
ifo-Präsident Fuest begrüßte auch den Familienzuschuss, der für die Familien einen spürbare Entlastung darstelle. Dennoch müsste man auch langfristig mehr für Familien und Alleinerziehende tun. Die Schließungen der Kitas und Schulen würde viele Familien hart treffen.
Familien erhalten wegen der Corona-Pandemie pro Kind einmalig 300 Euro. Der Bonus muss versteuert werden, er wird aber nicht auf die Grundsicherung angerechnet.
Entlastung für Kommunen bei Gewerbesteuereinnahmen
Den Schritt, die Kommunen wegen wegbrechender Einnahmen bei der Gewerbesteuer zu entlasten, hält Fuest für besonders wichtig. Es sei gefährlich, wenn diese ihre Investitionen aufgrund der Ausfälle während der Corona-Pandemie stoppen müssten. Fuest plädiert jedoch dafür, die kommunalen Finanzen insgesamt zu reformieren und für stetigere Einnahmen zu sorgen. "Wir brauchen eine Reform der Kommunalfinanzen mit einem Ersatz der Gewerbesteuer", so Fuest.
Heckmann: Herr Fuest, was hat Sie denn am meisten überrascht?
Fuest: Ja, mich hat auch die Umsatzsteuersenkung überrascht. Das ist ein Instrument, das wir aus anderen Ländern schon kennen. Aber es war doch nicht so stark im Vordergrund der Debatte. Insofern fand ich das erstaunlich. Überrascht hat mich außerdem die doch stark ins Detail gehende Abarbeitung der verschiedenen Punkte. Wenn wir uns zum Beispiel anschauen, dass man den Unternehmen Verlustrücktrag gewährt hat, da aber darauf geachtet hat, dass das Geld schnell kommt, indem man sagt, wir müssen es so machen, dass das schon in der Steuererklärung für 2019 zum Tragen kommt, dann muss man sagen, da hat man sich wirklich Gedanken gemacht, und das finde ich eigentlich positiv.
Mehrwertsteuer: "Maßnahme, mit der man kurzfristig den Konsum ankurbeln kann"
Heckmann: Bleiben wir mal beim ersten Punkt, bei der Mehrwertsteuer, Herr Fuest. Sie sagten, Sie sind überrascht. Wir kennen es aus anderen Ländern. Ist es denn eine sinnvolle Maßnahme?
Fuest: Ja, es ist eine Maßnahme, mit der man wirklich kurzfristig den Konsum ankurbeln kann. Das Ganze wirkt dann in dem Zeitraum danach natürlich nicht mehr. Man hat das Problem: Wenn das ausläuft im Jahr 2021, dann besteht ein bisschen die Gefahr, dass der Konsum abbricht. Man verlässt sich darauf, dass bis dahin die Wirtschaft soweit erholt ist, dass das Ganze dann nicht so schlimm ist. Viele, die sich jetzt eine neue Geschirrspülmaschine oder ein neues Auto kaufen, die kaufen das, bevor die Mehrwertsteuer wieder ansteigt, und wenn sie dann wieder ansteigt, dann entsteht ein kleines Loch. Das muss man sehen.
Die Erfahrung ist aber schon so, dass man diesen kurzfristigen Konsumimpuls erreicht. In Großbritannien hat man es zum Beispiel in der Finanzkrise gemacht und da ist genau das passiert: erst ein Konsumschub und danach kam dann allerdings ein kleines Loch. Wenn die Krise dann nicht vorbei ist, ist das natürlich nicht so schön.
Elektroautos und emissionsarme Antriebe fördern
Heckmann: Im Prinzip könnte es auch sein, dass es ein Nullsummenspiel gibt oder sogar ein Minus in die Haushalte hineinreißt?
Fuest: Nein, ein Minus nicht. Ich denke, es ist tatsächlich so – das ist ja auch beabsichtigt -, dass man erst mal den Konsum anregt jetzt in dieser kritischen Phase. Insofern würde ich es nicht so negativ sehen. Nur man verlässt sich darauf, dass dann im nächsten Jahr das Gröbste vorbei ist.
Heckmann: Kommen wir zum nächsten Punkt, der viel diskutiert worden war im Vorfeld, nämlich die Kaufprämien für Autos. Höhere Subventionen beim Kauf von Elektroautos, die wird es ja geben. Da sind die entsprechenden Zuschüsse verdoppelt worden. Aber keine Kaufprämien für Verbrenner beispielsweise. Eine kluge Entscheidung?
Fuest: Ja, ich halte das für richtig. Ich halte es in der Tat für besser, wenn man Konsum stimulieren will, dass man es wirklich breit tut so wie jetzt mit der Umsatzsteuersenkung. Sich da speziell auf die Autoindustrie zu konzentrieren, das halte ich nicht für sinnvoll. Das ist ja eine wichtige Industrie und man fördert ja Technologie in diesem Bereich, Investitionen in Innovationen, und nicht nur in Elektroautos, und das halte ich auch genau für richtig. Wir müssen Elektroautos fördern, wir müssen aber auch andere emissionsarme Antriebe fördern, also technologieoffen sein, und diese Art von Unterstützung ist stärker in die Zukunft gerichtet, als jetzt den Absatz von Verbrennern zu fördern. Da müssen die Autofirmen jetzt die Preise senken und das selbst hinkriegen.
Heckmann: Markus Söder hat sich im Prinzip mit dem Argument gerechtfertigt, dass ja auch die Mehrwertsteuersenkung der Autoindustrie helfen werde. Aber da gilt das gleiche wie das, was Sie gerade schon gesagt haben, dass das möglicherweise auch ein Strohfeuer sein könnte, nämlich wie bei der sogenannten Abwrackprämie 2008/2009?
Fuest: Genau! Das haben all diese Maßnahmen gemeinsam. Auch eine Autoprämie läuft ja irgendwann aus und wir wissen auch da aus Untersuchungen, dass das Ganze einen temporären Effekt bringt, aber nicht die Zahl der insgesamt verkauften Autos erhöht. Das ist ja auch kein Wunder. Beides sind kurzfristige Maßnahmen.
Mehr Entlastung für Familien
Heckmann: Familien, Herr Fuest, hatten und haben ja bis heute besonders zu leiden unter den Corona-bedingten Einschränkungen. Jetzt soll es einen Bonus von 300 Euro pro Kind geben. Ist das aus Ihrer Sicht eine spürbare, eine sinnvolle Entlastung?
Fuest: Das ist sicherlich eine spürbare Entlastung. Ich finde es aber nicht fair, das jetzt gegenüberzustellen den großen Belastungen für viele Familien, insbesondere auch für Alleinerziehende in der Coronakrise. Das kann jetzt nicht quasi ein sich Loskaufen von der Verpflichtung sein, mehr für Familien und Alleinerziehende zu tun. Die sind wirklich sehr belastet in dieser Krise. Die Schließung der Schulen, die Schließung der Kitas, die ja weitergeht – die Schulen und Kitas laufen ja teilweise doch auf Notbetrieb weiter -, da muss man sehr dringend deutlich mehr tun. Es kann nicht so sein, dass man sich mit diesen 300 Euro von dieser Verpflichtung loskauft. Im Prinzip ist auch das eine ganz effektive Form, Konsum anzukurbeln, vor allem, wenn man die ganz hohen Einkommen hier herausnimmt.
Ich vermute mal, das geht nicht auf, und diese 20 Milliarden könnten am Ende wirklich konjunkturelles Strohfeuer sein.
Heckmann: Wobei man dazu sagen muss, dass gerade Alleinerziehende auch noch mal bedacht werden durch die Beschlüsse des Abends.
Fuest: Genau.
"Gefahr, wenn die Kommunen die Investitionen stoppen"
Heckmann: Kommen wir vielleicht noch mal zu einem wichtigen Punkt, was die Kommunen angeht. Das wurde ja auch breit im Vorfeld diskutiert. Der Finanzminister, Olaf Scholz, der hatte ja gefordert, dass die Altschulden der am meisten verschuldeten Kommunen übernommen werden sollten durch den Bund. Das kommt jetzt nicht. Bund und Länder sollen jetzt aber den Einbruch bei der Gewerbesteuer ausgleichen und es gibt dauerhaft mehr Milliarden für die Kosten für die Unterkunft und für das Heizen von Hartz-IV-Beziehern. Was würden Sie sagen, sinnvolle Maßnahme?
Fuest: Das ist insofern sinnvoll, als es jetzt wirklich eine Gefahr wäre, wenn die Kommunen die Investitionen stoppen, die sie tätigen. Ein Großteil der öffentlichen Investitionen läuft ja über die Kommunen und wenn jetzt wegen der wegbrechenden Gewerbesteuer diese Investitionen angehalten werden, dann wäre das ganz falsch. Im Moment haben ja Baufirmen freie Kapazitäten, auch IT-Firmen. Es ist der Moment für öffentliche Investitionen im Moment.
Gleichzeitig ist richtig, dass man die Altschuldenfrage jetzt mal rausgenommen hat, denn das hat nun wirklich nichts mit der Corona-Krise zu tun. Es ist auch letztlich – davon bin ich überzeugt – nicht die Aufgabe des Bundes, sondern der Länder, mit kommunalen Schulden umzugehen und hoch verschuldete Kommunen auch zu entschulden. Das ist nicht die Aufgabe, in erster Linie jedenfalls nicht die Aufgabe des Bundes. Insofern sollte der Bund sich hier zurückhalten.
Was ich mir gewünscht hätte wäre, dass man außerdem in Aussicht stellt, die Kommunalfinanzen insgesamt zu reformieren. Wir sehen ja, die Gewerbesteuer ist eine schlechte Kommunalsteuer. Sie schwankt sehr stark im Konjunkturzyklus und in jedem Konjunkturabschwung geht die Debatte los, beschweren sich die Kommunen, dass die Gewerbesteuer einbricht. Das ist aber ein Einbruch mit Ansage. Wir brauchen eine Reform der Kommunalfinanzen mit einem Ersatz der Gewerbesteuer.
"Wir brauchen stetigere Einnahmen in den Kommunen"
Heckmann: Was wäre denn besser?
Fuest: Es gibt verschiedene Modelle. Zum Beispiel das Vier-Säulen-Modell der Stiftung Marktwirtschaft. Da werden die Kommunen an der Lohnsteuer beteiligt. Da bleibt auch eine Beteiligung an der Unternehmensbesteuerung, aber sie ist nicht so gewaltig wie bisher. Die Unternehmenssteuer ist besser auf Länder und Bundesebene aufgehoben.
Wir brauchen stetigere Einnahmen in den Kommunen, damit genau das, was wir jetzt sehen, Einbruch im Konjunkturabschwung und dann zurücknehmende Investitionen, damit genau das nicht passiert.
Heckmann: Herr Fuest, alle Wirtschaftsforschungsinstitute sind sich ja einig: Wir stehen vor einer gewaltigen Rezession. Es wird mit rund sieben Prozent Minus gerechnet. Wenn Sie sich dieses Konjunkturpaket des gestrigen Abends anschauen, ist das in der Lage, diese Rezession abzudämpfen? Was meinen Sie?
Fuest: Es ist sicherlich in der Lage, die Rezession zu dämpfen. Aus der Welt schaffen kann man sie natürlich nicht. Die Rezession kommt ja daher, dass wir teilweise schließen mussten im Shutdown, dass bis heute viele Produktionen einfach behindert werden durch die Hygienevorschriften, die ja unbedingt nötig sind, aber viel Geld kosten und die Produktivität senken. Das heißt, man kann hier die Probleme nicht aus der Welt schaffen, aber eine gewisse Dämpfung des Abschwungs kommt auf jeden Fall. Und man darf ja nicht vergessen, dass die Wirtschaftsentwicklung auch stark abhängig ist von Erwartungen über die Zukunft, und hier sind doch viele zukunftsweisende Investitionen dabei. Das Ganze wird der Bevölkerung sicherlich auch Mut machen und den Unternehmen und die Stimmung ein bisschen verbessern. Die Krise selbst ist doch so massiv, dass man sie damit nicht so leicht aus der Welt schaffen kann.
Konjunkturpaket: "Durchdacht, ausgewogen und wirklich sinnvoll"
Heckmann: Apropos Stimmung verbessern. Wird man denn sagen können, die Krise ist überwunden?
Fuest: Nein, die Krise ist noch lange nicht überwunden. Viel, sehr viel wird davon abhängen, ob wir eine zweite Welle der Infektionen bekommen. Das wäre ganz schlecht. Auch damit wird man irgendwie umgehen, aber ich fürchte, wir sind in einer Krise, die längere Zeit anhält.
Heckmann: Längere Zeit heißt?
Fuest: Ja sicherlich bis weit ins nächste Jahr, im Grunde bis effektive Medikamente da sind, bis eine Impfung da ist, oder bis das Virus verschwindet. Bei der Impfung bin ich nicht so optimistisch und auch bei Medikamenten. Ich fürchte, wir werden ziemlich lange mit dem Virus zu tun haben.
Heckmann: Wer werden am Ende die Verlierer sein aus Ihrer Sicht?
Fuest: Das geht ja hier quer durch die Sektoren der Volkswirtschaft. In gewisser Weise sind wir das alle. Wir wissen ja, Gastronomie, Messewesen, der gesamte Bereich des sozialen Konsums, des Sports, viele im künstlerischen Bereich sind Verlierer. Verlierer sind auch Teile des verarbeitenden Gewerbes. Das geht quer durch die Sektoren.
Heckmann: Aber erst mal sind die Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden sollen, aus Ihrer Sicht unterm Strich sinnvoll?
Fuest: Unterm Strich ist das Paket, finde ich, durchdacht, ausgewogen und wirklich sinnvoll.
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