Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen haben Bund und Länder weitere Auflagen zur Eindämmung der Pandemie beschlossen. Die Menschen in Deutschland müssen sich im Alltag also wieder auf strengere Einschränkungen einstellen. Dazu gehören unter anderem Beschränkungen bei Feiern in öffentlichen und privaten Räumen, Bußgelder für falsche Kontaktdaten in Restaurants und Empfehlungen zum Lüften. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte betont, es sei wichtig, bei allen Maßnahmen "regional, spezifisch und zielgenau zu agieren".
FDP-Generalsekretär Volker Wissing befürwortet die Auflagen, setzt aber auch auf die Eigenverantwortung der Menschen. Die hätten in der Pandemie bisher sehr verantwortungsbewusst gehandelt. Es sei zudem weiter wichtig, dort zu reagieren, wo die Infektionszahlen steigen. Die regional unterschiedlichen Maßnahmen seien wichtig.
Das Interview im Wortlaut:
Heckmann: Herr Wissing, Bundeskanzlerin Merkel hat ja intern offenbar gewarnt: Wenn es so weitergehe, hätten wir in Deutschland so hohe Fallzahlen wie in Frankreich. Wie groß ist die Gefahr aus Ihrer Sicht derzeit?
"Wir müssen wachsam sein"
Wissing: Das Corona-Virus ist nach wie vor da. Wir haben zunächst ja gute Entwicklungen der Infektionszahlen in Deutschland erlebt. Jetzt steigen sie wieder an und natürlich haben alle Respekt vor den Wintermonaten, weil wir uns dort mehr in geschlossenen Räumen aufhalten und dort das Infektionsrisiko steigt. Wir müssen wachsam sein und mit "wir" meine ich die gesamte Bevölkerung, denn ohne dass die Menschen eigenverantwortlich auch mit in die Prävention gehen, wird das sehr schwer.
Heckmann: Das heißt, Sie setzen mehr auf Eigenverantwortung als auf Beschränkungen?
Wissing: Beides! Wir brauchen Regeln. Wir müssen bestimmte Regeln auch durchsetzen. Wir können aber nicht so tun, als könnten wir in jedem Zug einen Polizeibeamten mitfahren lassen, der die Maskenpflicht überprüft. Das muss schon auch aus der Bevölkerung heraus verantwortlich mitgetragen werden. Und das Gute ist: Wir haben in den letzten Monaten erlebt, die Deutschen sind sehr verantwortungsbewusst.
Corona-Maßnahmen: "Es kann nicht bundeseinheitliche Regeln dafür geben"
Heckmann: Na ja, da gibt es auch unterschiedliche Wahrnehmungen in dem einen oder anderen Fall. – Jetzt ist es ja so: Gestern wurde beschlossen, dass die Zahl der zulässigen Gäste bei öffentlichen Feiern beschränkt wird, je nach Infektionsgeschehen, und es drohen auch Strafen, sollte man im Restaurant falsche Angaben zur Person machen. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen, auf die sich jetzt Bund und Länder geeinigt haben?
Wissing: Zunächst einmal ist es richtig, dass man die öffentlichen Veranstaltungen oder auch Veranstaltungen in angemieteten Räumen beschränkt, wenn die Infektionszahlen hochgehen, denn wir wissen, dass von dort ein hohes Infektionsrisiko ausgeht. Das muss allerdings immer regional entschieden werden. Es kann nicht bundeseinheitliche Regeln dafür geben. Denn wenn in Bayern die Infektionszahlen hoch sind, kann man nicht in Schleswig-Holstein Restriktionen anordnen. Das ist nicht verhältnismäßig und damit auch nicht verfassungskonform.
Die immer wieder laut werdenden Rufe von Herrn Söder, alles müsse einheitlich restriktiv gehandhabt werden, sind schlicht und einfach inakzeptabel. Wir müssen unsere Stärken des Föderalismus nutzen und dort, wo das Infektionsgeschehen hochgeht, müssen wir reagieren. Dazu gehört auch, dass wir die Infektionsketten zurückverfolgen können. Deswegen ist es so wichtig, dass die Angaben gemacht werden, beispielsweise im Restaurant. Und nachdem manche gemeint haben, es sei besonders lustig, dort Mickymaus reinzuschreiben, muss dort auch mit Sanktionen klargemacht werden, dass es nicht eine Privatangelegenheit ist.
"Wir brauchen Möglichkeiten zu reagieren, dort wo die Infektionen hochgehen"
Heckmann: Außer in Sachsen-Anhalt! Sachsen-Anhalt hat schon gesagt, das Bundesland ist da nicht dabei, weil es nämlich da gar nicht Vorschrift ist, überhaupt solche Daten zu erheben. Das heißt, der einheitliche Rahmen ist wieder nichts.
Wissing: Noch mal: Wir brauchen Möglichkeiten zu reagieren, dort wo die Infektionen hochgehen. Wir müssen nicht bundeseinheitlich vorgehen. Wir brauchen auch nicht europaeinheitliche Regeln dafür. Das Infektionsgeschehen muss immer dort bekämpft werden, wo es sich negativ entwickelt.
Wir haben den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in unserer Verfassung. Der besagt, wenn Infektionen in Bayern stark ansteigen, dass man deswegen nicht in Berlin oder in Hamburg Maßnahmen ergreifen kann. Das ist doch leicht nachvollziehbar. Man kann auch nichts erreichen, wenn man Restriktionen in Schleswig-Holstein beschließt hinsichtlich des Infektionsgeschehens in Bayern, und deswegen ist das regional unterschiedliche Vorgehen genau richtig. Dass man darüber spricht, ab welchen Infektionszahlen man regional Verschärfungen anordnet, das halte ich für in Ordnung. Allerdings bin ich mit dem Ergebnis zufrieden, dass es weiterhin bei den punktuellen regionalen Maßnahmen bleibt und nicht bundeseinheitlich vorgenommen wird.
FDP fordert Abschaffung der Anordnung der epidemischen Notlage
Heckmann: Herr Wissing, in der Anfangsphase hat die FDP den Kurs der Bundesregierung ja gestützt, auch die Entscheidung zum Herunterfahren des Landes mit allen seinen bekannten Folgen, auch für die Wirtschaft, und die waren ja drastisch, diese Folgen. Vor wenigen Wochen hat Ihr Parteichef Christian Lindner das Ende der Gemeinsamkeit angekündigt. Versucht die FDP jetzt den Unmut, der mit diesen drastischen Maßnahmen verbunden ist und der bei "Querdenken"-Demonstrationen beispielsweise landet oder auch bei der AfD, aufzufangen?
Wissing: Nein! Die FDP hat sich als konstruktive und verantwortungsbewusste Oppositionspartei hier eingebracht. Jetzt sieht es so aus, dass wir merkwürdige Dinge hören. Herr Söder spricht von "Zügel anziehen". Das ist eine Rhetorik, die nicht passt. Die FDP möchte auch, dass stärker das Parlament mit einbezogen wird. Das ist eine zu stark von Regierungsgesprächen im Hinterzimmer geprägte Politik. Wir brauchen eine stärkere Beteiligung auch der Öffentlichkeit. Dann erreicht man im Übrigen auch, dass die Menschen verstehen, was sie tun sollen, warum sie es tun sollen, und dann sieht man auch, dass die Verantwortung und das Verantwortungsbewusstsein steigen. Insofern ist das, was die FDP fordert, die Abschaffung der Anordnung der epidemischen Notlage, um den Deutschen Bundestag wieder stärker ins Spiel zu bringen, das halte ich für richtig. Wir leben ja in einer Demokratie und nicht in einem Obrigkeitsstaat, in dem der bayerische Ministerpräsident die Zügel anzieht.
Wissing: Situation des Gesundheitswesens zurzeit entspannt
Heckmann: Sie sind in dieser Situation dafür, diese epidemische Notlage ganz aktuell wieder zurückzuziehen?
Wissing: Dafür spricht die Situation des Gesundheitswesens, denn wenn man sich die Voraussetzungen für die Anordnung der epidemischen Notlage anschaut, das Kriterium der Überforderung des öffentlichen Gesundheitswesens, haben wir das gegenwärtig nicht.
Heckmann: Das kann aber ganz schnell kommen.
Wissing: Ja, das kann ganz schnell kommen, und dann kann man das ja auch wieder anordnen, wenn es notwendig ist. Aber man kann nicht einen solchen Zustand einfach dauerhaft aufrecht erhalten, weil man ihn mal brauchen könnte.
Heckmann: Herr Wissing, im Bundestag wird derzeit der Haushaltsentwurf für 2021 debattiert. Heute unter anderem der Etat des Kanzleramts. Traditionell ist das ja der Anlass zur Generalabrechnung mit der Bundesregierung. Was wird die Botschaft der FDP sein?
Wissing: Die Bundesregierung war haushaltspolitisch nicht gut vorbereitet auf die jetzige Situation. Die Große Koalition hat die Ausgaben in einem Maße in die Höhe getrieben in den letzten Jahren; das war schlicht unverantwortlich. Jetzt ist sie in einer schwierigen Situation. Die Schulden steigen massiv in Deutschland und wir müssen aufpassen, dass das Land nicht dauerhaft in eine Schieflage gerät.
Herr Scholz redet schon von Steuererhöhungen. Im Grunde genommen bereitet er die jetzt in diesem Haushalt auch schon vor. Die Grünen wollen nicht mehr zu einer Konsolidierungspolitik zurück. Man muss aber wissen, dass Steuererhöhungen das Dämlichste sind, was man in einer Wirtschaftskrise diskutieren kann. Vor dem Hintergrund blicke ich mit Sorge auf die Finanz- und Haushaltspolitik.
"Wir müssen aber jetzt aufhören, das Geld mit der Gießkanne auszugeben"
Heckmann: Das Dämlichste, was man sich vorstellen kann. – Wäre es aber richtig, in die Krise hineinzusparen?
Wissing: Es ist ja nicht in die Krise hineingespart worden, sondern die Schulden sind ja massiv erhöht worden. Die Wirtschaft wurde stabilisiert, das war richtig. Wir müssen aber jetzt aufhören, das Geld mit der Gießkanne auszugeben, so nach dem Motto, die Schuldenbremse ermöglicht uns jetzt Schulden aufzunehmen, weil wir in einer Naturkatastrophe uns befinden, und jetzt nutzen wir die Möglichkeit und schießen aus allen Rohren. Das ist ein riesen Problem, weil das ganze Geld wieder zurückbezahlt werden muss.
Heckmann: Aber ist es nicht richtig, Herr Wissing, der strauchelnden Wirtschaft, den ganzen Selbständigen beispielsweise, auch den großen Unternehmen jetzt durch diese Krise zu helfen, mit auch staatlicher Unterstützung?
Wissing: Es ist nicht richtig, Unternehmen zu helfen, deren Geschäftsmodell schon gescheitert war. Was die Bundesregierung hier macht: Sie differenziert nicht. Sie hilft mit der Gießkanne in der Breite, differenziert aber nicht mehr danach, ob ein Unternehmen überhaupt eine Zukunftsperspektive hat oder nicht. Das schwächt die starken Unternehmen und gleichzeitig bauen wir damit Staatsverschuldung auf, die am Ende von den Bürgerinnen und Bürgern mit ihren Steuergeldern zurückbezahlt werden muss. Auch das lastet in Zukunft auf unserer Volkswirtschaft.
Gleichzeitig haben wir noch eine demographische Entwicklung, die uns das erschweren wird. Gleichzeitig haben wir noch die Transformation in der Fahrzeugindustrie zu bewerkstelligen und insgesamt, gerade auch in dieser Pandemie-Phase, sehen wir, dass wir bei der Digitalisierung, so wie die FDP es seit langem anmahnt, massiv hinterherhinken. Auch dafür brauchen wir in den nächsten Monaten Geld.
Wir haben jetzt die Situation, dass Insolvenz-Antragsfristen verlängert werden und keiner mehr weiß, wer hier noch zahlungsfähig ist oder solvent ist und wer nicht. Das alles schwächt unsere Wirtschaft. Kombiniert mit den ganzen Staatsbeteiligungen von Herrn Altmaier bedeutet das, wir tragen schwere Lasten in den nächsten Jahren, und gleichzeitig nimmt die Bundesregierung die Effizienz der Marktwirtschaft aus unserem System. Das kann nicht gutgehen.
"Es ist völling out, jetzt mit Steuererhöhungen und höheren Staatsquoten zu reagieren"
Heckmann: Die FDP setzt auf Entbürokratisierung, auf Marktwirtschaft, auf Steuersenkungen. Sind das aber, Herr Wissing, nicht Ladenhüter einer liberalen Partei, die sich eigentlich mal viel breiter aufstellen wollte? Das wirkt ja alles wie ein Roll-Back, oder?
Wissing: Nein, ganz und gar nicht. Wenn wir auf die effizientesten Systeme unserer Volkswirtschaft setzen, dann ist das aktueller denn je. Wo ist denn die Alternative? Wie sollen wir denn aus dieser Wirtschaftskrise herauskommen, wenn wir nicht unsere wirtschaftliche Stärke dazu nutzen? Insofern ganz klar: Wer jetzt die Effizienz aus der Marktwirtschaft nimmt, der erhöht die Probleme, und deswegen ist es völlig out, jetzt mit Steuererhöhungen und höheren Staatsquoten zu reagieren. Wir brauchen eine Entfesselung der Wirtschaft.
Wir haben große Transformationsprozesse vor uns und die Innovationen entstehen doch nicht in den Ministerien und Parlamenten. Wir lernen auch aus der Corona-Pandemie, dass wir neue Medikamente brauchen. Das Thema Innovation wird dringlicher denn je und deswegen ist die Forderung der FDP auch aktueller und moderner denn je.
Die neuen Medikamente, die wir brauchen, werden nicht in Ministerien oder Parlamenten erdacht. Deswegen brauchen wir dringend eine Entfesselung, mehr Freiräume der Wirtschaft, um Forschung und Entwicklung finanzieren zu können.
"Die FDP möchte sich nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern mit Lösungen für unser Land"
Heckmann: Ist es aktuell und modern, nicht mehr auf Frauen und auf den Osten zu setzen, so wie es die FDP augenscheinlich derzeit tut? Denn mit dem wenig eleganten Absägen von Frau Teuteberg mit einem anzüglichen Herrenwitz am Ende, da sind die nämlich in der ersten Reihe nicht mehr vertreten.
Wissing: Die FDP konzentriert sich auf die Sachthemen. Sie hat ihren Frauenanteil im Präsidium im Übrigen auf dem letzten Parteitag gerade erhöht. Die FDP möchte sich nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern mit Lösungen für unser Land. Wir machen uns ernsthaft Sorgen um unsere Volkswirtschaft. Und ich sage auch ganz klar: Wenn Deutschland nicht wirtschaftlich gestärkt aus dieser Krise herauskommt, werden wir nicht in der Lage sein, unseren notwendigen Beitrag zu leisten, um Europa insgesamt zusammenzuhalten. Das sind die Themen, die uns umtreiben.
Heckmann: Aber es macht doch einen Unterschied, ob Frauen oder Personen aus dem Osten in der allerersten Reihe vertreten sind, oder nicht?
Wissing: Die FDP hat ja in ihrem Präsidium auch eine Frau aus dem Osten und wir haben mehr Frauen im Präsidium, als wir vor unserem Parteitag hatten. Insofern: Wenn das für Sie wichtige Kriterien sind, kann man sagen, die FDP ist hier besser aufgestellt als vorher.
Heckmann: Für mich nicht unbedingt, aber vielleicht doch für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.