Ein Immunitätsausweis ist eine Immunitätsbescheinigung, die Betroffene nach einer überstandenen Infektion mit dem Coronavirus erhalten könnten. Die Menschen werden getestet und das Ergebnis dokumentiert – wie bei einer überstandenen Masern-Infektion, die im Impfausweis registriert werden kann.
Der Immunitätsausweis könnte somit den bereits getesteten Menschen ein Stück mehr Freiheit auch im regionalen Lockdown bescheren. Wer eine verbriefte Immunität gegen SARS-CoV-2 hätte, könnte wieder normal Altenheime besuchen oder reisen. Verlockend scheint die Idee auch für Pflegepersonal, Ärzte oder Lehrer, die ihren Beruf wieder etwas befreiter ausüben könnten.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich schon im Mai für eine Immunitäts-Dokumentation ähnlich eines Impfausweises in digitaler Form ausgesprochen. Damals gab es allerdings massiven Widerstand – nicht nur von der Opposition, sondern auch vom Koalitionspartner SPD. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) warnte, dass es um sensible Gesundheitsdaten gehe. Ein Immunitätsausweis dürfe beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Voraussetzung für eine Beschäftigung gemacht werden. Spahn strich den Passus aus dem Mitte Mai beschlossenen zweiten Pandemiegesetz. Dennoch hält er an der Idee fest und hat den Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten.
Mittlerweile hat sich die Perspektive ein wenig verschoben. Wie bei jedem anderen medizinischen Testbefund habe man auch bei einem Corona-Test einen Anspruch auf die Dokumentation des Ergebnisses, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas der neuen Osnabrücker Zeitung. Allerdings warnte sie davor, dass es keine Diskriminierung aufgrund des Immunitätsstatus geben solle – und dass eine Immunität nach wie vor nicht nachgewiesen werden könne.
Der Ethikrat wurde von Gesundheitsminister Jens Spahn um eine Stellungnahme gebeten. Einen solchen COVID-19-Immunitätsausweis lehnte das Gremium am 22. September ab - vorerst. "Der aktuelle naturwissenschaftlich-medizinische Sachstand spricht nach Auffassung aller Ratsmitglieder dagegen, zum jetzigen Zeitpunkt die Einführung einer Immunitätsbescheinigung zu empfehlen", heißt es in einem Tweet des Ethikrats während der Bekanntgabe. Für den Fall, dass die Immunität künftig hinreichend verlässlich nachweisbar werde, gab es demnach unterschiedliche Auffassungen, inwiefern eine Einführung solcher Bescheinigungen zu empfehlen wäre. Die eine Gruppe hält dann unter bestimmten Voraussetzungen einen sutenfweise anlass- und bereichsbezogene Einführung einer Immunitätsbescheinigung für sinnvoll - allerdings nur auf freiwilliger Basis. Druck vom Arbeitgeber oder Versicherungen dürfe es nicht geben.
Die andere Experten-Gruppe beruft sich nicht nur auf die derzeitige wissenschaftliche Ungewissheit, sondern lehnt eine staatlich kontrollierte Immunitätsbescheinigung aus praktische, ethischen und rechtlichen Gründen ab. "Die Koppelung von Rechten oder Pflichten an den Status der Immunität könnte eine ungerechte Verteilung von Chancen und Risiken, von Be- und Entlastungen bewirken, zum Beispiel Verwehrung von Möglichkeiten der Teilhabe oder stärkere Verpflichtung bestimmter Berufsgruppen. So könnten sich Personen etwa aus wirtschaftlicher Not oder um sich individuelle Vorteile zu sichern, mutwillig Infektionsrisiken aussetzen. Gerade in Arbeitsfeldern mit prekären Arbeitsbedingungen und/oder besonderen Infektionsrisiken wäre dies eine gleichermaßen gefährliche wie ungerechte Konsequenz, schreibt der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme.
Die andere Experten-Gruppe beruft sich nicht nur auf die derzeitige wissenschaftliche Ungewissheit, sondern lehnt eine staatlich kontrollierte Immunitätsbescheinigung aus praktische, ethischen und rechtlichen Gründen ab. "Die Koppelung von Rechten oder Pflichten an den Status der Immunität könnte eine ungerechte Verteilung von Chancen und Risiken, von Be- und Entlastungen bewirken, zum Beispiel Verwehrung von Möglichkeiten der Teilhabe oder stärkere Verpflichtung bestimmter Berufsgruppen. So könnten sich Personen etwa aus wirtschaftlicher Not oder um sich individuelle Vorteile zu sichern, mutwillig Infektionsrisiken aussetzen. Gerade in Arbeitsfeldern mit prekären Arbeitsbedingungen und/oder besonderen Infektionsrisiken wäre dies eine gleichermaßen gefährliche wie ungerechte Konsequenz, schreibt der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme.
Welche Ethische und moralische Befürchtungen gibt es?
Durch die Einführung solcher Ausweise darf es nicht zu Diskriminierungen, Stimatisierung und einer Zweiklassengesellschaft kommen. Zudem gibt es derzeit nicht genug Antikörpertests, um in Ländern wie Deutschland oder den USA einen Großteil der Bevölkerung zu untersuchen. Datenschützer gehen sogar noch weiter und fürchten, dass das der Einstieg in eine umfassende Registrierung des Gesundheitszustands der Menschen sein könnte.
Zudem warnt unter anderem der Soziologe Armin Nassehi im Dlf vor einem Missbrauch. "Es könnte einen Anreiz geben, sich zu infizieren als junger gesunder Mensch, um diesen Ausweis zu bekommen und Vorteile zu haben", sagte er im Deutschlandfunk. Zudem könnte es verfassungsrechtlich bedenklich sein, "wenn man Menschen je nachdem, ob sie Antikörper haben oder nicht, bestimmte Rechte zuweist, bestimmte Veranstaltungen zu besuchen, einen Arbeitsplatz zu haben oder ähnliches."
Zweifel an dauerhafter Immunität
Es geht in der Debatte vor allem um die Frage, ob es eine Immunität nach einer überstandenen Infektion überhaupt geben kann – wie es zum Beispiel bei den Masern der Fall ist. Es gibt inzwischen zwar Antikörpertests, die eine aktuelle Beurteilung der Patienten erlauben. Aber in der Wissenschaft ist inzwischen eine lebhafte Debatte darüber entbrannt, ob und wenn ja, wie lange Antikörper vor einer erneuten Infektion schützen.
Manche Antikörpertests sind zudem an sich unzuverlässig und könnten Menschen in falscher Sicherheit wiegen. Die Weltgesundheitsorganisation fordert, die Antikörpertests auf ihre Zuverlässigkeit hin zu prüfen. Außerdem steht die Frage im Raum, wie lange ein Immunschutz nach einer Infektion anhält. In Hong Kong wurde bei einem Mann zweifelsfrei eine Re-Infektion mit dem Coronavirus nachgewiesen.
Eine Studie in China mit nur 74 Teilnehmern sorgte trotz der geringen Stichprobe international für Aufmerksamkeit. Denn die in der Fachzeitschrift "Nature Medicine" veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass Patienten mit einem milden Infektionsverlauf eine deutlich geringere Immunität aufweisen als Erkrankte mit schweren Verläufen. Die Autoren der Studie weisen auf die Risiken von Immunitätsausweisen hin.
Diskussion um Einführung der Impfpflicht
Kommt ein Immunitätsausweis, kommt auch die Impfpflicht, befürchten Impfgegner. Diese Debatte ist allerdings Zukunftsmusik: Frühestens im kommenden Frühjahr könnte ein Impfstoff auf den Markt kommen, der auch eine dauerhafte Wirkung hätte. Dann müsste entschieden werden, ob eine Impfung gegen COVID-19 in den Impfausweis eingetragen wird.
Ja, zum Beispiel Chile hat Immunitätspässe eingeführt. Dort nennt man das "Ausgangs-Karten", erklärt
Molekularbiologin Natalie Kofler von der Harvard Medical School im Dlf
. "Sie stellen es praktisch Menschen aus, die die Krankheit überstanden haben. Die können sich dann frei bewegen. Estland will Menschen mit Immunitätspässen bei der Rückkehr zum Arbeitsmarkt helfen." Auch die britische Regierung prüft die Idee.
Kofler geht davon aus, dass Immunitätsausweise gerade in einem Gesundheitssystem wie dem der USA zu Problemen führen könnten. Dort hängt die Versorgung stark vom Einkommen und der Arbeitsstelle ab. Die Immunitätspässe würden somit bestehende Ungleichheiten vergrößern.
Natalie Kofler sieht eine historische Parallele zum 19. Jahrhundert, als in New Orleans das Gelbfieber grassierte. Menschen, die tief in der Stadt verwurzelt waren und dadurch bereits eine Gelbfieber-Infektion überlebt hatten, genossen besondere Privilegien – denn sie galten als immun. Damals ging es so weit, dass irische Immigranten aktiv versuchten, sich mit Gelbfieber anzustecken, um den begehrten Status zu erreichen.