Als positiv bewertete Strobl die Vereinbarung, dass das Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen. Dadurch werde man in Zukunft verstärkt direkt aus den Erstaufnahmelagern Flüchtlinge zurückführen können. Landkreise und Kommunen könnten so "gigantisch entlastet" werden.
Der CDU-Politiker räumte ein, dass durch das Dublin-Abkommen Länder wie Griechenland und Italien besonders belastet würden. Damit Flüchtlinge zügig registriert werden könnten, müsse man diese sogenannten hot spots besser durch Personal und finanzielle Mittel unterstützen.
Die Einreiseerlaubnis für Flüchtlinge aus Ungarn, die die Bundesregierung am Wochenende erteilt hatte, sei eine "einmalige Geschichte", unterstrich Strobl. Man müsse alles dafür tun, dass sich Menschen aus dem Westbalkan nicht auf den Weg nach Österreich und Deutschland machten, da sie keine Aussicht auf politisches Asyl hätten.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich Thomas Strobl, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion und stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender. Guten Morgen, Herr Strobl.
Thomas Strobl: Guten Morgen.
Heckmann: Wie bewerten Sie denn die Beschlüsse der Nacht? Sind die ausreichend, um die Probleme mittelfristig in den Griff zu bekommen, oder sind die ganz schnell Makulatur, wenn die Zahlen weiter steigen?
Strobl: Ich finde, das ist ein ganz großes Paket, wo wirklich an zahlreichen Stellschrauben jetzt angesetzt wird. Schauen Sie, drei weitere sichere Herkunftsländer auf dem Westbalkan. Das wird uns helfen, dass weniger kommen, die aus Gründen kommen, die mit politischem Asyl nichts zu tun haben. Das ist in meinen Augen der Schlüssel. Dass wir umstellen weitestgehend auf Sachleistungen, weg von den Geldleistungen in den Erstaufnahme-Einrichtungen, ist auch etwas, was dazu führen wird, dass weniger Menschen aus asylfremden Gründen zu uns kommen. Ebenso die direkte Rückführung aus den Erstaufnahme-Einrichtungen. Das heißt, die Asylbewerber werden gar nicht mehr auf die Landkreise und Kommunen verteilt. Das ist eine gigantische Entlastung für Landkreise und Kommunen und ich finde es auch sehr wichtig und richtig, dass wir etwa 3.000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei schaffen, also 3.000 Polizistinnen und Polizisten mehr, die uns bei der Bewältigung dieses großen Problems helfen werden.
Heckmann: Die Koalition hat sich auch darauf verständigt, sich starkzumachen auf europäischer Ebene, dass nämlich innerhalb Europas wieder zu den Dublin-Regeln zurückgekehrt wird. Diese Regeln besagen ja, dass Flüchtlinge in dem Land registriert werden und untergebracht werden sollen, in dem sie zuerst die Europäische Union betreten. Seit Jahren aber ist ja klar, dass diese Dublin-Regeln offenbar gescheitert sind, denn weder die Flüchtlinge, noch die Staaten selbst haben ja ein Interesse daran, zumal auch Deutschland diese Staaten im Süden, Griechenland, Italien, mehr oder weniger allein gelassen haben mit dem Flüchtlingsproblem.
Strobl: Sie sprechen beide Punkte an, die richtig sind. Zum einen gibt es ein europäisches Recht, die Dublin-Vereinbarung, die lautet, dort wo ein Flüchtling in Europa aufschlägt, da soll er auch bleiben. Und Sie haben auch recht: Diese Regelung wird natürlich hundertfach, tausendfach nicht angewandt. Und drittens ist auch wahr, wenn wir von Staaten wie Griechenland, wie Italien verlangen, dass sie das bewältigen, werden wir ihnen helfen müssen. Deswegen müssen wir ihnen Personal und Geld anbieten, dass die Flüchtlingsthematik vor Ort in Italien, in Griechenland, auch in Ungarn im Übrigen bearbeitet wird in sogenannten Hotspots. Ich habe das Wort nicht erfunden, aber das hat sich nun so durchgesetzt. Das wird nicht ohne ein stärkeres europäisches Engagement gehen.
Flüchtlingsaufnahme vom Wochenende war "einmalige Geschichte"
Heckmann: Die Koalition spricht von einer Ausnahme, dass jetzt an diesem Wochenende diese Tausende von Flüchtlingen, die sich auch zu Fuß auf den Weg Richtung Österreich gemacht haben, dass die nach Deutschland einreisen können. Denken Sie, dass dieses Signal bei den Menschen, die auf gepackten Koffern sitzen, ankommt? Denn wir sehen ja jetzt schon die Meldungen aus dem Osten Ungarns, dass mehr Flüchtlinge kommen. Was ist denn, wenn sich der nächste Marsch bildet, der nach Österreich und Deutschland hinein will, und sich die nächste humanitäre Katastrophe anbahnt? Dann wird man doch genauso reagieren müssen wie jetzt an dem Wochenende.
Strobl: Na ja. Wissen Sie, es ist ganz, ganz schwierig, hier Voraussagen zu machen. Es gibt ja ganz, ganz kluge Leute, die haben schon vor drei Jahren gewusst, dass wir dieses Jahr 800.000 Flüchtlinge in Deutschland bekommen werden. Die Wahrheit ist: Wenn das damals jemand behauptet hätte, hätte man ihn zum Arzt geschickt, und genauso schwierig ist es in Wahrheit zu sagen, was passiert morgen, was passiert in den nächsten Tagen.
Heckmann: Aber die Meldungen liegen vor, dass im Osten Ungarns wieder mehr Flüchtlinge dazukommen.
Strobl: Ja sicher! Wir wissen, dass auf diesem Globus 50, 60 Millionen im Grunde genommen auf der Flucht und unterwegs sind. Ich finde, die Bundesregierung hat in einer akuten, in einer Notsituation eine richtige Entscheidung getroffen. Klar ist aber auch, dass man sagt, das war eine einmalige Geschichte, das werden wir so nicht dauerhaft wiederholen können.
Heckmann: Und da sind Sie ganz sicher, dass diese Notsituation nicht noch mal auftritt?
Strobl: Na ja, selbstverständlich bin ich da überhaupt nicht ganz sicher. Das kann doch kein Mensch in Wahrheit voraussagen. Wenn so eine aktuelle, akute Notsituation eintritt, dann muss eine Regierung helfen. Jetzt schauen wir mal, wie wir Ungarn helfen können, wie wir das stabilisieren können und wie wir insgesamt Signale aussenden, insbesondere Richtung Balkan, dass sich erst gar nicht so viele Menschen auf den Weg machen von denen, die bei uns sowieso kein politisches Asyl bekommen. Das ist doch der Schlüssel und dafür sind die Beschlüsse des gestrigen Abends, die in der Koalition gefasst worden sind, wie ich meine, ein ganz, ganz guter Ansatz.
Strobl: Notaufnahme darf sich nicht wiederholen
Heckmann: Wir werden sehen, wie sich das weiter entwickelt. - Herr Strobl, Sie haben aber auch die deutliche Kritik der CSU im Vorfeld des Koalitionsausschusses natürlich vernommen. Hat Angela Merkel mit Ihrer Entscheidung, die Flüchtlinge einreisen zu lassen, die falsche Entscheidung getroffen?
Strobl: Nein! Noch einmal: Ich finde, das ist eine richtige Entscheidung in einer aktuellen Notsituation gewesen, wo man einfach schnell entscheiden musste, und diese Entscheidung aus humanitären Gründen so zu treffen, wie sie getroffen worden ist, das kann ich mittragen. Aber klar ist auch, das ist eine einmalige Geschichte gewesen, und wir müssen alles dafür tun, dass sich das nicht wiederholt.
Heckmann: Ganz kurz zum Schluss, Herr Strobl. In der Nacht gab es einen Brand in einem Flüchtlingsheim in Rottenburg bei Tübingen. Das ist Ihr Bundesland. Es gab fünf Verletzte. Noch ist nicht klar, was die Ursache ist, ob es ein Anschlag gewesen ist oder nicht. Klar ist aber, es gibt täglich Angriffe und Übergriffe. Auf was müssen wir uns hier noch gefasst machen?
Strobl: Das ist natürlich schlimm, dass in Deutschland Asylbewerber-Unterkünfte in Flammen aufgehen, dass es das auch in Baden-Württemberg gegeben hat und gibt. Wir müssen alles dafür tun, selbstverständlich die Täter zu fassen, und sie muss die volle Wucht des Gesetzes treffen. Das sind im Übrigen ganz harte Strafen, die auf solche Straftaten stehen, und das ist jetzt, wenn so etwas passiert, die Stunde der Polizei, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte, die - da bin ich ganz sicher - ihre Arbeit sehr, sehr konsequent in solchen Fällen machen.
Heckmann: Und die tun genug? Die Polizei tut genug, um auch diese Heime zu schützen?
Heckmann: Ich habe überhaupt gar keinen Zweifel, dass solche Straftaten von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten mit aller Konsequenz, aller Härte und aller Schnelligkeit verfolgt werden. Dass wir nicht alle Asylbewerber-Einrichtungen in Deutschland rund um die Uhr so sicher schützen können, dass das völlig ausgeschlossen ist, das ist klar. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es im Übrigen nicht einmal für das Bundeskanzleramt.
Heckmann: Der Vizechef der CDU, Thomas Strobl. Danke für das Gespräch.
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