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Kolumne
Ist Mastodon die Twitter-Alternative?

Nach der Twitter-Übernahme von Elon Musk zieht es viele Nutzerinnen und Nutzer auf eine andere Plattform: Das dezentrale Netzwerk Mastodon. Unsere Kolumnistin fühlt sich dort in längst vergessene Zeiten zurückversetzt - ein Vergnügen.

Von Samira El Ouassil |
Ein Handy zeigt die blaue ios-Version der Mastodon-App.
Ist Mastodon eine Alternative zu Twitter? (IMAGO/ZUMA Wire/xAndrexM.xChangx)
Tröt! Da hat Tech-Mammut Elon Musk in der Plattformökonomie einmal ganz schön aufgestampft mit seinem 44-Milliarden Einkauf von Twitter. Der Milliardär, der sich als "Free-Speech-Absolutionist" bezeichnet, möchte die freie Meinungsäußerung auf dem Kurznachrichtendienst vor zu viel Regulierung retten.
Manche befürchten nun kommunikative Eskalationen auf der Plattform, in welcher nur der Lauteste überlebt - also noch mehr als ohnehin schon. Andere sehen keinen Unterschied darin, ob Twitteranteile mehrheitlich im Besitz des saudischen Prinzen Alwaleed bin Talal sind, der in Korruptionsgeschäfte verwickelt war oder eben einem Elon Musk. Wiederum andere kritisieren den Umstand, dass die Verantwortung für eine der einflussreichsten Kommunikationsplattformen der Welt nun in der Hand eines Exzentrikers liegt.

Von Twitter zu Mastodon

Aus vielleicht einem dieser Gründe wanderten gestern einige aus meiner Timeline zu alternativen Kurznachrichtendiensten aus. Etwa zum Mikroblogging-Anbieter Mastodon, der Twitter in Form und Funktion vielleicht am ähnlichsten ist – nur mit Mammut statt Vogel.
Der entscheidende Unterschied ist jedoch: Der Dienst ist dezentral organisiert. Das heißt, das prähistorische Tier gehört als Teil des offenen Fediverse - also einem Netzwerk föderierter, voneinander unabhängiger sozialer Netzwerke und Dienste - niemandem allein. Das macht es als Wechselmöglichkeit von Twitter weg zu diesem Mikrobloggingdienst, der seit über fünf Jahre existiert, für einige attraktiv.
Der Mensch ist wie das Mastodon ein Herdentier. Ich auch, dementsprechend reizt mich ein Plattform-Exodus immer. Also melde ich mich beim paläontologischen Rüsseltier an, auf der Suche nach Anschluss und Vernetzung und muss erstmal einen Tag warten. Aufgrund der dezentralen Organisation müssen Anmeldungen von meist privaten Administratoren und Administratorinnen freigegeben werden.

Timelines, Toots und tröten

Nach geglückter Freigabe sehe ich mich um. Der erste Eindruck ist ein bisschen das Gefühl, das man hat, wenn im Supermarkt alle Waren neu angeordnet wurden. Man ahnt, wo alles ist, sucht aber noch etwas unwirsch durch die Timelines. Es gibt insgesamt drei verschiedene: eine mit den Inhalten der Personen, denen man beschlossen hat zu folgen. Eine mit Inhalten aus der eigenen sogenannten Instanz, die man zu Beginn bei der Anmeldung nach Interessen und Bedürfnissen auswählen konnte. Und die Allgemeine mit allem möglichen, was gerade getrötet wird - achja, hier wird nicht gezwitschert sondern getrötet. Tweets sind Toots und es wird nicht geteilt, sondern man boostet.
Vertraute digitale Gesichter sucht man hier wie auf einer Hochzeit, zu der man aus Versehen eingeladen wurde. Man stückelt sich seine Timeline händisch zusammen - mit Hilfe von Hashtags oder Namen, die man im Kopf hat und hält Ausschau nach Folgeempfehlungen, die von anderen Nutzenden auf Mastodon ausgesprochen werden. Das ist Fluch und Segen zugleich: Es gibt keine algorithmisch selektierten Empfehlungen – alles Handarbeit. Und wichtig zu Beginn: den Hashtag #neuhier tröten. Teil der Netikette ist es, erstmal vorstellig zu werden.
Die Handhabung ist geschmeidig wie ein stumpfer Stein bei der Jagd, die Benutzeroberfläche spielerisch wie AOL-Chats in Keilschrift. Es fühlt sich an, wie aus einer Zeit, als das Internet noch aus Holz war - und bereitet mir ein längst vergessenes Vergnügen. Ein wirklich interessanter Aspekt ist der Umstand, dass die Toots eine Länge von 500 Zeichen haben können, um wie der Gründer Eugen Rochko erklärte, "differenzierte Unterhaltungen" zu ermöglichen.

Es geht um Vernetzung, nicht um Reichweite

Da der Algorithmus nicht ökonomisch motiviert ist - der Dienst profitiert nicht wirtschaftlich davon, wenn man lange dort verweilt, deswegen ist er auch nicht daran interessiert, durch Hochjazzen von Erregungsangeboten und Interaktionen einen dort lang aufzuhalten - bekommt man einfach alles zu sehen, was sich durch das händische Kuratieren der Menschen, denen man folgt, zusammensetzt.

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Bei Mastodon kann man nicht einmal auf Anhieb sehen, wie viel geretweetet - Verzeihung, wie oft ein Toot geboostet wurde. Hier geht es nicht um Reichweite, sondern um Vernetzung. Immer wieder lese ich beim Durchschauen der Mastodon-Timline zur Begrüßung der Neuen, man könne sich entspannen, es sei hier kein Beliebtheitswettbewerb.
Es führt einem die Absurdität unserer Twitternutzung noch einmal kurz vor Augen: Täglich produzieren Millionen von Menschen umsonst Inhalte auf der Plattform, die sich vor allem um Elitefiguren aus Technologie, Politik und Kultur drehen, um nun einem Milliardär bei der Profitmaximierung und seinem Recht Rumzutrollen zu helfen. Im Austausch bekommt man dafür ein anstrengendes Kommunikationsklima, das dazu verführen soll, noch mehr Inhalte zu generieren, aber auch Sichtbarkeit, das Gefühl auf dem Laufenden zu bleiben und Anschluss.
Vielleicht kann gerade der letzte Punkt - die Vernetzung - besser auf Mastodon gefunden werden. Ein Ausprobieren ist es auf jeden Fall Wert. Lästern Sie nur nicht auf Twitter über Mastodon, wenn es Ihnen nicht gefällt, sonst kriegen Sie Ärger mit gleichnamiger Metalband.