Christoph Heinemann: Über Felix Mendelssohn Bartholdy wollen wir im folgenden mit Professor Kurt Masur sprechen, den ich vor der Sendung auf seine Kindheit angesprochen habe. In der Nazi-Zeit wurde Mendelssohns Musik öffentlich nicht gespielt. Das Mendelssohn-Denkmal vor dem neuen Gewandhaus ließen die Nazis 1936 abreißen. Ich habe Kurt Masur gefragt, wie er Mendelssohns Musik überhaupt kennengelernt hat.
Kurt Masur: Ja, als meine Klavierlehrerin, die ich mit 10 Jahren dann bekam – ich spielte schon ein bisschen autodidaktisch -, als sie mir man Noten von Mendelssohns "Lieder ohne Worte" mitbrachte und sagte, so, schau dir das mal an, aber du musst die Fenster zumachen, weil die Musik verboten ist. Da war natürlich für mich bereits der Anreiz, den so jeder junge Mensch hat: verboten, das ist irgendwie ein Nervenkitzel. Ich habe mich damit dann zum ersten Mal beschäftigt.
Es ist unterschwellig natürlich immer wieder über Mendelssohn gesprochen worden. Der berühmte "Hochzeitsmarsch" ist nie vergessen und es wurde darüber gesprochen, dass natürlich in der Nazi-Zeit vieles auf dem Index stand, was verboten oder nicht gerne gehört werden wollte. Das betraf ja im künstlerischen Bereich auch andere Komponisten, aber auch Literaten und so weiter.
Heinemann: Welchen Eindruck hinterließ diese Entdeckung Mendelssohns bei Ihnen?
Masur: Ja wissen Sie, für mich war das kein Unterschied zu Klavierwerken von allen anderen Komponisten. Es war halt eine musikalische Sprache, die eine Form brachte, die niemand vorher gekannt hat. "Lieder ohne Worte" auf dem Klavier ist ja schon ein Widerspruch an sich.
Natürlich war es so, dass man aufwuchs in einem, nun wie soll ich sagen, Kreis von Menschen, die wussten, dass gewisse Dinge nicht erwünscht waren im so genannten Dritten Reich, das, ich würde sagen, mein Vater vielleicht versucht hat, damit einzudämmen, dass er gesagt hat, Junge, wenn du mal anderer Meinung bist und du merkst, die anderen denken was anderes, dann sage lieber nichts, dann halte deine Schnauze, hat er so freundlich gesagt.
Heinemann: Herr Masur, Felix Mendelssohn Bartholdy stammte aus einer jüdischen Familie. Er wurde allerdings protestantisch erzogen. Welche Rolle spielte für ihn Judentum und Protestantismus?
Masur: Ich glaube nicht, dass für Mendelssohn da irgendeine Trennung war, denn seine Musik und auch die Werke, mit denen er sich beschäftigt hat, die "Walpurgisnacht", die "Matthäuspassion", die er ja wieder aufgeführt hat, als er 20 Jahre alt war, die Bach'sche "Matthäuspassion", die vergessen war, dann die Komposition des Paulus und des Elias, auch natürlich des Lobgesanges, beweisen eigentlich, dass er sich damit auseinandergesetzt hat. Aber er hat auf der anderen Seite mit seinem Hauptwerk "Elias" bewiesen, dass es ihm in der Hauptsache darum ging, die Menschen zu vereinen und auch den Unsinn von Religionskriegen zu zeigen. Er wäre heute genauso aktiv, wenn er wüsste, dass wir in demselben Land, in dem er praktisch seinen Grund und seine Ideale gefunden hat, dass in dem gleichen Land heute noch dieselben Auseinandersetzungen vor sich gehen.
Heinemann: Herr Masur, der amerikanische Pianist Charles Rosen hat geschrieben, Mendelssohn sei der Erfinder des religiösen Kitsches in der Musik. Wird Mendelssohn unterschätzt?
Masur: Er wird unterschätzt. Das ist außer Frage. Das hat mit dem Nazi-Reich gar nichts zu tun, denn er wurde ja in anderen Ländern (zum Beispiel Amerika oder England) weiter gespielt. Aber es blieb etwas, was seltsam war. Das wäre bei Schumann so gewesen, es war auch ein bisschen am Anfang: man kannte die Träumerei und meinte, dass Schumann überhaupt ein Träumer gewesen sei. Und bei Mendelssohn kannte man den Sommernachtstraum, Ouvertüre zuerst, bis dann auch einige Kenner entdeckten, dass er mit 16 Jahren, also ein Jahr vor der Sommernachtstraum-Ouvertüre, bereits eines der Meisterwerke der klassischen Kammermusik geschrieben hat, nämlich das Oktett.
Die Bedeutung von ihm wurde immer wieder heruntergemindert, und das kann nicht verwundern. Wenn wir uns heute vorstellen, dass die italienische Symphonie zur gleichen Zeit entstanden ist wie Berlioz Fantastische Symphonie, das sind zwei Welten. Das ist das Gefühl, man ist in einem anderen Jahrhundert. Seine klassizistische Grundhaltung hat er ja nie aufgegeben. Dass er dann später, zum Beispiel auch in der Schottischen, eine Sprache gefunden hat, die man kann gut sagen auch Wagner inspiriert hat, ist außer Frage. Ich habe immer den Witz gemacht, wenn man den Sturm des ersten Satzes von der Schottischen Symphonie sich einmal anhört, dann hätte Wagner genügt, wenn er nur das Hornthema aus der Holländer-Ouvertüre hineingesetzt hätte und es wäre eine gleiche Musik. Aber das Mehr hatte Mendelssohn schon geschaffen.
Heinemann: Herr Masur, Sie haben Richard Wagner eben genannt. Wieso hat Felix Mendelssohn Bartholdy keine Opern geschrieben? Wagner war Altersgenosse.
Masur: Ich glaube, dass Mendelssohn angefangen hat mit der Oper. Sie wissen ja, "Der Onkel aus Boston" ist gerade erst wieder entdeckt worden und das ist also sehr interessant, dass er sich mit dem Bereich immer wieder befasst hat. Aber es war seltsam. Ich glaube, er stellte einfach an seine Stoffe einen höheren Anspruch, einen anderen Anspruch als Wagner. Wagner, der dazu neigte, natürlich in den Nibelungen die Größe der Traditionen der Heroen, der Helden aus dem Germanenreich auch darzustellen, "Tristan und Isolde" mit der wunderbaren Liebesgeschichte, die ja auch sagen wir mal im großen Sinne eine Geschichte aus der Vergangenheit war, die Wagner versucht hat, für seine Zeit lebendig werden zu lassen, und zwar natürlich in großartiger Weise. Bei Mendelssohn war es, glaube ich, ein viel größerer Purismus. Für ihn war Liebe nicht vordergründig erotisch. Für ihn war Liebe etwas Ähnliches wie Schwester-Bruder-Liebe, was sicherlich auch mit seiner tiefen Bindung zu seiner Schwester zusammenhing. Es war eine geistige Ebene, eine Seelenverwandtschaft, die er versuchte darzustellen und die eigentlich er versucht hat, für die ganze Welt erlebbar zu machen. Deswegen sind seine Formen, ganz gleich welche er genommen hat, sehr oft auch angelehnt an alle, denken wir nur an die "Lieder ohne Worte" oder denken wir an seine Lieder überhaupt. Das hat auch sehr oft exotische Züge und er versucht, völlig klar zu machen, dass für ihn das nicht lokalisiert werden kann. Er versucht immer, in die Ferne zu gehen.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit dem Dirigenten Kurt Masur. – Herr Masur, wir sprachen eben über das Dritte Reich. Wie ist die DDR mit Felix Mendelssohn Bartholdy umgegangen?
Masur: Die DDR ist sehr sorgfältig mit ihm umgegangen. Wir haben ja in den 70er-Jahren ein großes Mendelssohn-Fest in Leipzig gehabt. Wir haben damals sehr vieles neu entdeckt. Die Jugendsymphonien sind von uns zum ersten Mal im Gewandhaus sämtlich aufgenommen worden auf Schallplatte. Die ersten Briefe Mendelssohns wurden veröffentlicht. Da habe ich also wirklich ein paar hübsche Begegnungen auch gehabt, zum Beispiel mit unserem damaligen Oberbürgermeister, der sagte, Herr Masur, ich habe gerade die Briefe Mendelssohns an den Rat der Stadt gelesen, jetzt weiß ich erst, wie freundlich Sie mir immer schreiben.
Das sind Dinge, die dann plötzlich im Alltag eine Rolle spielten und plötzlich auch Mendelssohn wieder in den Vordergrund rückten. Es war trotzdem nicht abzuwenden, selbst wenn er woanders überall gespielt worden ist, dass man ihn ein bisschen, na ja, in die zweite Reihe gestellt hat. Das war das Publikum, das waren aber auch die Musikkritiken, die nach seinem Tod nicht mehr so geschwärmt haben. Da war eben der neuere Berlioz, da war Richard Wagner da, und das Kuriose – das hatte ich ja schon genannt – war ja, dass die italienische Symphonie von Mendelssohn zur gleichen Zeit erschienen ist wie Berlioz Fantastische Symphonie. Das wirkt wie ein Anachronismus.
Heinemann: Wie gegenwärtig ist Mendelssohn heute in Leipzig?
Masur: Sehr gegenwärtig! Immer mehr gegenwärtig und wir sind eigentlich glücklich darüber, dass das Bach-Fest ohne Mendelssohn gar nicht mehr denkbar ist, weil wir alle wissen, dass er derjenige war, der Bach wieder zum Leben erweckt hat, mit seiner Aufführung der "Matthäuspassion". Das sind Dinge, wo wir in der ganzen Welt jetzt - meine Frau ist Botschafterin der Mendelssohn-Foundation. Wir haben inzwischen Stützpunkte in Paris, in London, in Tokyo, in Südamerika und natürlich in Deutschland. Das heißt, dort wird für Mendelssohn in großer Weise (in Amerika, in New York sowieso) geworben, um ihm wirklich den Background zu geben, dass man ihn gleichwertig neben die großen Komponisten stellt, da wo er hingehört. Und der Erfolg wird uns Recht geben!
Heinemann: Herr Masur, gibt es für Sie ein Lieblingswerk?
Masur: Das kann ich mir nicht leisten, weil ich professionell bin und nun nicht Amateur. Aber ich muss sagen, alles das, was ich dirigiere, ist an dem Abend auch mein Lieblingswerk.
Heinemann: Und für das Gesamtwerk gilt der Wahlspruch des Gewandhauses: "Wahre Freude ist eine ernste Sache – res severa verum gaudium"?
Masur: Ja, ganz genau. Das war natürlich für mich ein gefundenes Fressen, als ich diese Sehnsucht, Mendelssohn kennenzulernen, in Leipzig bestätigt bekam, und wir haben, glaube ich, in den letzten paar Jahren so viele Male das Oktett gespielt – und zwar Gewandhaus-Quartett mit dem Quartett der New Yorker Philharmoniker, Gewandhaus-Quartett in Tokyo, in Tokyo das Oktett mit nur japanischen Streichern – und eigentlich überall immer wieder die Werke, von denen wir sagen, es sind Meisterwerke, die heute gar nicht mehr weggedacht werden können.
Heinemann: In den "Informationen am Morgen" hörten Sie ein Gespräch mit dem Dirigenten Kurt Masur.
Hinweis:
Zum dritten Mal seit 2007 wird der Mendelssohn-Preis der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung in Leipzig vergeben. Preisträger des Jahres 2009 sind Helmut Schmidt, Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly und der Schauspieler Armin-Mueller Stahl.
Die Preise werden während einer festlichen Gala im Gewandhaus am 2. Februar 2009, 19 Uhr im Gewandhaus überreicht. An diesem Abend spielt das Gewandhausorchester unter der Leitung von Riccardo Chailly gemeinsam mit Lang Lang ein reines Mendelssohn-Programm. Sandra Maischberger führt moderierend durch den Abend.
Die Sendung Fazit des Deutschlandradio Kultur wird am selben Abend ausführlich über die Preisvergabe berichten.
Kurt Masur: Ja, als meine Klavierlehrerin, die ich mit 10 Jahren dann bekam – ich spielte schon ein bisschen autodidaktisch -, als sie mir man Noten von Mendelssohns "Lieder ohne Worte" mitbrachte und sagte, so, schau dir das mal an, aber du musst die Fenster zumachen, weil die Musik verboten ist. Da war natürlich für mich bereits der Anreiz, den so jeder junge Mensch hat: verboten, das ist irgendwie ein Nervenkitzel. Ich habe mich damit dann zum ersten Mal beschäftigt.
Es ist unterschwellig natürlich immer wieder über Mendelssohn gesprochen worden. Der berühmte "Hochzeitsmarsch" ist nie vergessen und es wurde darüber gesprochen, dass natürlich in der Nazi-Zeit vieles auf dem Index stand, was verboten oder nicht gerne gehört werden wollte. Das betraf ja im künstlerischen Bereich auch andere Komponisten, aber auch Literaten und so weiter.
Heinemann: Welchen Eindruck hinterließ diese Entdeckung Mendelssohns bei Ihnen?
Masur: Ja wissen Sie, für mich war das kein Unterschied zu Klavierwerken von allen anderen Komponisten. Es war halt eine musikalische Sprache, die eine Form brachte, die niemand vorher gekannt hat. "Lieder ohne Worte" auf dem Klavier ist ja schon ein Widerspruch an sich.
Natürlich war es so, dass man aufwuchs in einem, nun wie soll ich sagen, Kreis von Menschen, die wussten, dass gewisse Dinge nicht erwünscht waren im so genannten Dritten Reich, das, ich würde sagen, mein Vater vielleicht versucht hat, damit einzudämmen, dass er gesagt hat, Junge, wenn du mal anderer Meinung bist und du merkst, die anderen denken was anderes, dann sage lieber nichts, dann halte deine Schnauze, hat er so freundlich gesagt.
Heinemann: Herr Masur, Felix Mendelssohn Bartholdy stammte aus einer jüdischen Familie. Er wurde allerdings protestantisch erzogen. Welche Rolle spielte für ihn Judentum und Protestantismus?
Masur: Ich glaube nicht, dass für Mendelssohn da irgendeine Trennung war, denn seine Musik und auch die Werke, mit denen er sich beschäftigt hat, die "Walpurgisnacht", die "Matthäuspassion", die er ja wieder aufgeführt hat, als er 20 Jahre alt war, die Bach'sche "Matthäuspassion", die vergessen war, dann die Komposition des Paulus und des Elias, auch natürlich des Lobgesanges, beweisen eigentlich, dass er sich damit auseinandergesetzt hat. Aber er hat auf der anderen Seite mit seinem Hauptwerk "Elias" bewiesen, dass es ihm in der Hauptsache darum ging, die Menschen zu vereinen und auch den Unsinn von Religionskriegen zu zeigen. Er wäre heute genauso aktiv, wenn er wüsste, dass wir in demselben Land, in dem er praktisch seinen Grund und seine Ideale gefunden hat, dass in dem gleichen Land heute noch dieselben Auseinandersetzungen vor sich gehen.
Heinemann: Herr Masur, der amerikanische Pianist Charles Rosen hat geschrieben, Mendelssohn sei der Erfinder des religiösen Kitsches in der Musik. Wird Mendelssohn unterschätzt?
Masur: Er wird unterschätzt. Das ist außer Frage. Das hat mit dem Nazi-Reich gar nichts zu tun, denn er wurde ja in anderen Ländern (zum Beispiel Amerika oder England) weiter gespielt. Aber es blieb etwas, was seltsam war. Das wäre bei Schumann so gewesen, es war auch ein bisschen am Anfang: man kannte die Träumerei und meinte, dass Schumann überhaupt ein Träumer gewesen sei. Und bei Mendelssohn kannte man den Sommernachtstraum, Ouvertüre zuerst, bis dann auch einige Kenner entdeckten, dass er mit 16 Jahren, also ein Jahr vor der Sommernachtstraum-Ouvertüre, bereits eines der Meisterwerke der klassischen Kammermusik geschrieben hat, nämlich das Oktett.
Die Bedeutung von ihm wurde immer wieder heruntergemindert, und das kann nicht verwundern. Wenn wir uns heute vorstellen, dass die italienische Symphonie zur gleichen Zeit entstanden ist wie Berlioz Fantastische Symphonie, das sind zwei Welten. Das ist das Gefühl, man ist in einem anderen Jahrhundert. Seine klassizistische Grundhaltung hat er ja nie aufgegeben. Dass er dann später, zum Beispiel auch in der Schottischen, eine Sprache gefunden hat, die man kann gut sagen auch Wagner inspiriert hat, ist außer Frage. Ich habe immer den Witz gemacht, wenn man den Sturm des ersten Satzes von der Schottischen Symphonie sich einmal anhört, dann hätte Wagner genügt, wenn er nur das Hornthema aus der Holländer-Ouvertüre hineingesetzt hätte und es wäre eine gleiche Musik. Aber das Mehr hatte Mendelssohn schon geschaffen.
Heinemann: Herr Masur, Sie haben Richard Wagner eben genannt. Wieso hat Felix Mendelssohn Bartholdy keine Opern geschrieben? Wagner war Altersgenosse.
Masur: Ich glaube, dass Mendelssohn angefangen hat mit der Oper. Sie wissen ja, "Der Onkel aus Boston" ist gerade erst wieder entdeckt worden und das ist also sehr interessant, dass er sich mit dem Bereich immer wieder befasst hat. Aber es war seltsam. Ich glaube, er stellte einfach an seine Stoffe einen höheren Anspruch, einen anderen Anspruch als Wagner. Wagner, der dazu neigte, natürlich in den Nibelungen die Größe der Traditionen der Heroen, der Helden aus dem Germanenreich auch darzustellen, "Tristan und Isolde" mit der wunderbaren Liebesgeschichte, die ja auch sagen wir mal im großen Sinne eine Geschichte aus der Vergangenheit war, die Wagner versucht hat, für seine Zeit lebendig werden zu lassen, und zwar natürlich in großartiger Weise. Bei Mendelssohn war es, glaube ich, ein viel größerer Purismus. Für ihn war Liebe nicht vordergründig erotisch. Für ihn war Liebe etwas Ähnliches wie Schwester-Bruder-Liebe, was sicherlich auch mit seiner tiefen Bindung zu seiner Schwester zusammenhing. Es war eine geistige Ebene, eine Seelenverwandtschaft, die er versuchte darzustellen und die eigentlich er versucht hat, für die ganze Welt erlebbar zu machen. Deswegen sind seine Formen, ganz gleich welche er genommen hat, sehr oft auch angelehnt an alle, denken wir nur an die "Lieder ohne Worte" oder denken wir an seine Lieder überhaupt. Das hat auch sehr oft exotische Züge und er versucht, völlig klar zu machen, dass für ihn das nicht lokalisiert werden kann. Er versucht immer, in die Ferne zu gehen.
Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit dem Dirigenten Kurt Masur. – Herr Masur, wir sprachen eben über das Dritte Reich. Wie ist die DDR mit Felix Mendelssohn Bartholdy umgegangen?
Masur: Die DDR ist sehr sorgfältig mit ihm umgegangen. Wir haben ja in den 70er-Jahren ein großes Mendelssohn-Fest in Leipzig gehabt. Wir haben damals sehr vieles neu entdeckt. Die Jugendsymphonien sind von uns zum ersten Mal im Gewandhaus sämtlich aufgenommen worden auf Schallplatte. Die ersten Briefe Mendelssohns wurden veröffentlicht. Da habe ich also wirklich ein paar hübsche Begegnungen auch gehabt, zum Beispiel mit unserem damaligen Oberbürgermeister, der sagte, Herr Masur, ich habe gerade die Briefe Mendelssohns an den Rat der Stadt gelesen, jetzt weiß ich erst, wie freundlich Sie mir immer schreiben.
Das sind Dinge, die dann plötzlich im Alltag eine Rolle spielten und plötzlich auch Mendelssohn wieder in den Vordergrund rückten. Es war trotzdem nicht abzuwenden, selbst wenn er woanders überall gespielt worden ist, dass man ihn ein bisschen, na ja, in die zweite Reihe gestellt hat. Das war das Publikum, das waren aber auch die Musikkritiken, die nach seinem Tod nicht mehr so geschwärmt haben. Da war eben der neuere Berlioz, da war Richard Wagner da, und das Kuriose – das hatte ich ja schon genannt – war ja, dass die italienische Symphonie von Mendelssohn zur gleichen Zeit erschienen ist wie Berlioz Fantastische Symphonie. Das wirkt wie ein Anachronismus.
Heinemann: Wie gegenwärtig ist Mendelssohn heute in Leipzig?
Masur: Sehr gegenwärtig! Immer mehr gegenwärtig und wir sind eigentlich glücklich darüber, dass das Bach-Fest ohne Mendelssohn gar nicht mehr denkbar ist, weil wir alle wissen, dass er derjenige war, der Bach wieder zum Leben erweckt hat, mit seiner Aufführung der "Matthäuspassion". Das sind Dinge, wo wir in der ganzen Welt jetzt - meine Frau ist Botschafterin der Mendelssohn-Foundation. Wir haben inzwischen Stützpunkte in Paris, in London, in Tokyo, in Südamerika und natürlich in Deutschland. Das heißt, dort wird für Mendelssohn in großer Weise (in Amerika, in New York sowieso) geworben, um ihm wirklich den Background zu geben, dass man ihn gleichwertig neben die großen Komponisten stellt, da wo er hingehört. Und der Erfolg wird uns Recht geben!
Heinemann: Herr Masur, gibt es für Sie ein Lieblingswerk?
Masur: Das kann ich mir nicht leisten, weil ich professionell bin und nun nicht Amateur. Aber ich muss sagen, alles das, was ich dirigiere, ist an dem Abend auch mein Lieblingswerk.
Heinemann: Und für das Gesamtwerk gilt der Wahlspruch des Gewandhauses: "Wahre Freude ist eine ernste Sache – res severa verum gaudium"?
Masur: Ja, ganz genau. Das war natürlich für mich ein gefundenes Fressen, als ich diese Sehnsucht, Mendelssohn kennenzulernen, in Leipzig bestätigt bekam, und wir haben, glaube ich, in den letzten paar Jahren so viele Male das Oktett gespielt – und zwar Gewandhaus-Quartett mit dem Quartett der New Yorker Philharmoniker, Gewandhaus-Quartett in Tokyo, in Tokyo das Oktett mit nur japanischen Streichern – und eigentlich überall immer wieder die Werke, von denen wir sagen, es sind Meisterwerke, die heute gar nicht mehr weggedacht werden können.
Heinemann: In den "Informationen am Morgen" hörten Sie ein Gespräch mit dem Dirigenten Kurt Masur.
Hinweis:
Zum dritten Mal seit 2007 wird der Mendelssohn-Preis der Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung in Leipzig vergeben. Preisträger des Jahres 2009 sind Helmut Schmidt, Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly und der Schauspieler Armin-Mueller Stahl.
Die Preise werden während einer festlichen Gala im Gewandhaus am 2. Februar 2009, 19 Uhr im Gewandhaus überreicht. An diesem Abend spielt das Gewandhausorchester unter der Leitung von Riccardo Chailly gemeinsam mit Lang Lang ein reines Mendelssohn-Programm. Sandra Maischberger führt moderierend durch den Abend.
Die Sendung Fazit des Deutschlandradio Kultur wird am selben Abend ausführlich über die Preisvergabe berichten.