"Wir können hier Objekte bis hin zu einem großen Archaeopteryx anschauen und dabei Sachen sehen, die man mit einem medizinischen Scanner nicht sichtbar machen kann."
Alexander Rack steht neben seinem Versuchaufbau - ein stabiles Metallgerüst, erschütterungsarm gelagert auf einer massiven Granitplatte. Im Zentrum ein Drehteller, getrieben von hochpräzisen Motoren. Sie sorgen dafür, dass sich die Proben auf dem Teller mit Mikrometerpräzision durch einen Röntgenstrahl fahren lassen. Dieser Strahl kommt nicht aus einer Röntgenröhre wie in der Arztpraxis, sondern aus einem riesigen, ringförmigen Nachbargebäude, sagt Rack, Physiker an der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF in Grenoble.
"Das ist ein großer Teilchenbeschleuniger, der so ähnlich arbeitet wie das CERN: Elektronen, die wir mit nahe Lichtgeschwindigkeit auf einer Kreisbahn halten."
Der Beschleunigerring hat einen Umfang von nahezu einem Kilometer und schickt seine schnellen Elektronen durch einen speziellen Magneten. Der zwingt die Teilchen dazu, gebündelte Röntgenstrahlung auszusenden, ungleich stärker als die eines Röntgenapparats beim Arzt.
"Unsere stärksten Quellen sind eine Million mal heller. Wir können in Bleiklötze Löcher brennen. Ich möchte also nicht meinen Finger in den Strahl halten."
Zehntausende scharfe 3D-Bilder pro Sekunde
Je intensiver der Strahl, umso schärfer die Bilder und umso kürzer die Belichtungszeit, die man braucht, um Bilder aufzunehmen. Genau das machten sich Rack und seine Leute zunutze, um ihre neue Röntgentechnik zu entwickeln. Dazu lassen sie den Beschleuniger so mit Elektronen befüllen, dass er jede Mikrosekunde einen ultrakurzen Blitz abfeuert. Das Ergebnis: Ein Computertomograf, der pro Sekunde Zehntausende scharfe 3D-Bilder liefert - und damit Röntgenaufnahmen in Superzeitlupe ermöglicht.
"Das ist etwas, wovon wir lange geträumt haben. Was heutzutage mit solchen Quellen und mit den modernen Kameras plötzlich machbar ist – nicht einfach, aber machbar."
Möglich macht das ein eigens entwickelter Detektor. Er wandelt die Röntgenstrahlung extrem schnell in sichtbares Licht um - Licht, das dann von einer professionellen Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen wird. Um das Potenzial der Methode zu demonstrieren, spannten die Forscher eine Glasscheibe in ihren Probenhalter ein.
"Dann haben wir mit einem Stahlbolzen auf diese Glasscheibe raufgeschossen. Das war wie früher mit der Armbrust. Man sieht, wenn die Glasscheibe kaputtgeht, sich eine Art spinnwebenähnliche Struktur bildet. Man kann auch die Rissspitze zeitlich verfolgen."
Neue Methode auch für die Industrie interessant
Die Risse breiten sich im Glas nahezu mit Schallgeschwindigkeit aus, mit 5.000 Metern pro Sekunde. Ihr Weg durchs Glas lässt sich mit der neuen Methode minutiös verfolgen. Ein anderes bereits untersuchtes Material dürfte die Industrie interessieren: Es waren Wafer, also hochreine Siliziumscheiben, aus denen Computerchips gemacht werden. Immer wieder gehen manche der teuren Wafer im Produktionsprozess kaputt, und die Hersteller müssen sie abschreiben.
"Die meisten Wafer, die heute kaputtgehen, da geht man davon aus, dass das bei der Verpackung, beim Versand oder beim Auspacken passiert. Dass das also ein falsches Handling ist. Und welcher der Handgriffe den tödlichen Defekt gibt, das ist nicht klar."
Erste Hinweise lieferte nun das Experiment mit der neuen Röntgenzeitlupe.
"Wir haben einen Wafer genommen. Haben den mit einem Feuerzeug heiß gemacht, bis er 1.100 Grad warm war, und haben ihn dann, während wir Filme gemacht haben, mit Wasser abgeschreckt. Diese Stresswelle, die wir erzeugt haben, hat den Kristall zum Brechen gebracht. Und wir konnten sehen: Wo ist der Kristall gebrochen unter diesem Schock? Und haben zeigen können: Die brechen nicht nur an den schwächsten Stellen, sondern suchen sich sehr verzackte Wege."
Und vielleicht lässt sich daraus künftig mal ableiten, wie man - um den Ausschuss zu minimieren - einen Wafer handeln sollte und wie besser nicht.