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Materialforschung
Zahnfüllungen nach dem Vorbild des Buntbarsches

Wenn wir im Schulalter bleibende Zähne bekommen, vollbringt unser Körper eine erstaunliche Leistung. Doch irgendwann bilden sich die ersten Löcher. Die kann der Zahnarzt zwar stopfen, aber das Füllmaterial ist längst nicht so gut wie das ursprüngliche. Daher versuchen Forscher nun, die Natur nachzuahmen.

Von Hellmuth Nordwig |
Eine Frau wird zahnärztlich behandelt.
Füllmaterial nach dem Vorbild der Natur könnte die Zahl der Zahnbehandlungen reduzieren (www.imago-images.de)
So etwas wie Zähne gibt es seit mehr als 400 Millionen Jahren. So alt sind die Fossilien, die die Chemikerin Elena Sturm von der Universität Konstanz erforscht: Vertreter der ausgestorbenen Tiergruppe der Conodonten - das Wort bedeutet "Kegelzahn". In der Tat sind die Beißwerkzeuge dieser aalähnlichen Tiere oft alles, was von ihnen erhalten ist. Schon damals war Apatit das vorherrschende Mineral im Kauapparat. Derzeit nimmt sich die russische Forscherin die Zähne lebender Fische vor: von Buntbarschen aus dem Viktoriasee in Tansania. Von ihnen gibt es dort mehr als zweihundert verschiedene Arten. Darunter sind solche, die weiches Futter verzehren und andere, die auf harte Nahrung spezialisiert sind.
"Der harte Anteil ihrer Zähne ist spezifisch strukturiert. Das bedeutet, die genaue chemische Zusammensetzung - nämlich Apatit und Kollagen - ist bis zum Nanometerbereich jeweils an die Anforderungen angepasst. Speziell ist bei den Arten, die hartes Futter fressen, die Struktur so optimiert, dass die Zähne viel weniger leicht brechen als bei den Arten, die auf weiche Nahrungsmittel spezialisiert sind."
Löcher füllen, Spalte versiegeln
Genau dieses Prinzip, also eine Feinstruktur mit jeweils etwas unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung, versucht die Forscherin derzeit nachzuahmen. Das Ziel: ein optimiertes Füllungsmaterial für Zahndefekte nach dem Vorbild der Natur. Nach einem natürlichen Material, um Löcher schnell und vollständig zu verschließen sucht auch Meernoosh Neshatian. Derzeit nutzen Zahnärzte meist sogenannte Komposite, die aus einem Kunstharz und mineralischen Bestandteilen bestehen. Ein Problem sei dabei, dass dieses Material nicht dem des natürlichen Zahns entspricht, so die Forscherin von der Universität Toronto.
"Deshalb gibt es einen Spalt, und das ist der Punkt, an dem die Füllung versagt. Wir wollen diesen Spalt mit einem Mineral versiegeln und so erreichen, dass die Füllung länger hält."
Der Bedarf ist groß. Eine kanadische Untersuchung hat gezeigt, dass jede zweite Zahnbehandlung deshalb nötig ist, weil sich in dem winzigen Spalt zwischen Zahn und Füllmaterial erneut Karies bildet. Die Forscherin hat deshalb nach einer Methode gesucht, um diesen Spalt mit natürlichem Material zu schließen.
Ein Protein hilft, Zahn und Füllmaterial zu verbinden
Dazu hat sie Backenzähne, die Patienten in der Zahnklinik entfernt werden mussten, mit Säure angeätzt, um einen Kariesangriff zu simulieren. Die Oberfläche dieser Zähne wurde dann mit Hydroxyapatit - dem Mineral in den Zähnen - in gelöster Form behandelt. Entscheidend dabei: In dieser Lösung war auch ein Protein namens Amelotin enthalten. Es spielt auch eine Rolle beim Wachstum und Aushärten von Zähnen. Im Labor von Meernoosh Neshatian bewirkte es, dass das Mineral sich mit der angegriffenen Oberfläche der Zähne verbinden konnte.
"Zurzeit dauert das etwa zwei Stunden. Aber vor ganz kurzer Zeit konnte ich zeigen, dass es einen Trick gibt, mit dem wir das schon in einer halben Stunde erreichen. Mit den Methoden anderer Forscher braucht es Tage oder Wochen, bis sich wieder eine Mineralschicht auf dem Zahn bildet. Unser Weg ist also der am ehesten realistische."
Das natürliche Material bleibt unerreicht
Wenn die Lösung auf den Zahn aufgebracht wird, kann der Körper sie über die Blutversorgung des Zahnbeins aufnehmen. So kann sich auch weiter Zahnmineral bilden, nachdem ein Loch mit einer Füllung versiegelt wurde. Der Spalt zwischen Zahn und Füllung schließt sich dadurch in kurzer Zeit. Ob das wirklich von Dauer ist und, vor allem, ob es auch bei Patienten so klappt, das wollen Fachleute in Toronto in Kürze ausprobieren. Paul Zaslansky, aus Südafrika stammender Zahnarzt von der Berliner Charité, ist gespannt auf das Ergebnis, denn Amelotin ist nicht der einzige Kandidat, in den Hoffnungen gesetzt werden.
"Es gibt eine ganze Reihe von Molekülen, die derzeit hergestellt werden, das ist hochaktuelle Forschung. Jedes davon wird daraufhin getestet, ob es die mineralischen Strukturen wieder aufbauen kann. Aber keines von ihnen erreicht meines Wissens bisher die Eigenschaften des Materials, das auf natürliche Weise wächst."
Aber indem sie die natürlichen Vorgänge beim Wachstum von Zähnen aufklären, kommen Forschende im Labor dem Material immer näher, das wir als Schulkinder von der Natur frei Haus geliefert bekommen.