Jochen Fischer: Die SPD hat also den langen Auswahlprozess nun hinter sich gebracht und auf ihrem Parteitag den Vorsitz neu bestimmt. Das Ganze Vorauswahlverfahren lief im Internet ab. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wurden dann in der Onlinestichwahl von den Mitgliedern favorisiert. Olaf Scholz, Vizekanzler und Finanzminister mit seiner Partnerin Klara Geywitz hatten dabei das Nachsehen. Walter-Borjans und Esken vertreten linkere Positionen in der SPD genau wie Hilde Mattheis, die wir eben bereits im Beitrag gehört haben. Frau Matheis, die beiden sind also nun gewählt. Beginnt dann jetzt die neue Zeit in der SPD?
Hilde Mattheis: Ja, das hoffen wir alle, denn die Wahl von den beiden bedeutet in meinen Augen, dass es kein "weiter so" geben darf, und ich glaube, das ist auch die Erwartung, die die Gesamtpartei an die beiden hat, und da muss man sie unterstützen.
"Ich habe keine Oppositionssehnsucht"
Fischer: Also Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken jetzt die Stichwahl zum SPD-Vorsitz gewonnen haben, da ging ja ein Raunen durch die Reihen, auch der politischen Beobachter, da haben ja viele gedacht, oder auch die Hoffnung gehabt, jetzt ist die GroKo am Ende. Einen solchen Antrag, die GroKo zu beenden, den haben Sie ja heute auch eingebracht. Der wurde abgelehnt. Haben Sie eigentlich Oppositionssehnsucht?
Mattheis: Ich habe keine Oppositionssehnsucht, sondern ich habe Sehnsucht nach einer starken SPD. Wir haben gesehen, dass wir in den letzten zehn Jahren massiv an Zustimmung verloren haben und dass wir in einer Großen Koalition die große Schwierigkeit haben, unsere Positionen klar darzustellen. Ich bin der Überzeugung, dass wir nicht noch mal zwei Jahre rumwürgen dürfen, sondern jetzt raus, und zwar mit einer klaren Zielsetzung, die Partei zu erneuern, weil wir sind noch nicht über den Berg. Ich meine, zwei Personen können das nicht alleine schaffen, sondern da gilt es, die Debatte in der Partei zu führen, die Kontroversen auszuräumen, die wir ja seit vielen Jahren mit uns rumschleppen. Das ist ein gehöriges Stück Arbeit, und dann kann man wieder anfangen, Glaubwürdigkeit aufzubauen. Das funktioniert nicht in der Großen Koalition meines Erachtens, wenn man nebenher Regierungsarbeit machen muss und dort kompromissbereit sein muss, natürlich, und da von Kompromiss zu Kompromiss geht und die Konturen verwischt, da kann die Partei noch so dolle Sachen beschließen, das interessiert niemanden.
GroKo-Ausstieg nicht am Thema Grundrente aufhängen
Fischer: Aber auch die Koalition hat ja durchaus erfolgreich gearbeitet. Also wenn Sie sich den Initiativvertrag heute ansehen, dann stehen da viele Sachen drin, die die SPD mit der Union oder in der Unionsregierung in der Großen Koalition durchgesetzt hat. Hubertus Heil hat ja heute auch gesagt, es muss rausgeholt werden, was noch möglich ist, und jetzt auszutreten, das würde zum Beispiel bedeuten, den Erfolg der Grundrente aufs Spiel zu setzen.
Mattheis: Das glaube ich nicht, weil die Schwarzen haben nämlich überhaupt keine Lust darauf, in der öffentlichen Wahrnehmung dazustehen als die Partei, die einigen tausend Menschen diese Grundrente verwehrt. Ich glaube, an dem Thema braucht man es nicht aufhängen, und man muss es an dem Thema aufhängen, ob wir uns lediglich als Reparaturbetrieb in der Große Koalition betrachten dürfen oder ob wir als visionäre Volkspartei lange Linien aufzeigen. Das schaffen wir in der Großen Koalition nicht, und deshalb bin ich nach wie vor der Überzeugung, raus da.
Fischer: Nun hat Juso-Chef Kühnert, der hat ja anfangs auch so gesprochen, dann plötzlich war er anderer Meinung, war wohl der Meinung, besser ist es, zu regieren, als eben nicht zu regieren. Ist das denn falsch?
Mattheis: Also wie dieser Sinneswandel zustande kommt, weiß ich nicht. Er sagt ja auch in der Erklärung, dass es kein kompletter Sinneswandel ist. Er hat heute ja auch erklärt, dass er nicht weiß, ob es in drei Monaten aus der Großen Koalition geht oder in anderthalb Jahren. Also da muss man einfach mit ihm in den Dialog gehen. Ich weiß im Moment auch nicht, was eigentlich seine Neigung ist. Da muss man ihn selber fragen.
"Wir wünschen uns alle Wahlergebnisse über 30 Prozent"
Fischer: Also es ist jetzt ja wohl so beschlossen, Ihr Antrag wurde also abgelehnt.
Mattheis: Zu meinem großen Bedauern, ja.
Fischer: Der Initiativantrag eben nicht, der gibt also nur die Richtung vor. Die SPD will also nun, es heißt, nicht mehr neu verhandeln, sie will jetzt sprechen mit der Union. Da nehmen wir doch mal zum Beispiel das Thema Klima. Da fordert Ihre Partei, die SPD, einen höheren Preis für CO2, und dabei sind die zehn Euro, die jetzt drinstehen, in der Koalition waren die abgestimmt, die hat also Ihre Partei auch mitgetragen. Wenn sich die Partei jetzt als eine Partei der sozialen Gerechtigkeit versteht, da fordern Sie also CO2 teurer zu machen. Sollen Sie diese Absicht nicht lieber den Grünen überlassen?
Mattheis: Also erst mal gebe ich Ihnen recht, dass die schwache Bezeichnung, wir gehen in Gespräche, nicht zufriedenstellen kann. Und der zweite Punkt, der mich auch wirklich richtig aufregt, ist, dass der Parteivorstand dann über das Ergebnis berät und dann beschließt, ob man auf der Grundlage dieses Ergebnisses in der Großen Koalition bleibt oder nicht. Jetzt haben wir wirklich Volten geschlagen, dass die Parteibasis größtmöglich einbezogen wird, und ausgerechnet an dem Punkt wird die Parteibasis wieder außen vor gelassen. Das Versprechen von vor zwei Jahren, dass der Parteitag wenigstens bestimmt, wird nicht eingelöst. Also das kann einen schon ein bisschen wahnsinnig machen.
Aber man muss natürlich nach vorne gucken und schauen, was man jetzt noch da rausholt. Ich habe keine Vorstellung davon, wie man das, die beim Klimaschutz jetzt an Forderungen erhoben werden, berechtigterweise, wie das umgesetzt werden soll mit den Schwarzen, die ja bei dem jetzigen Ergebnis schon furchtbar gewettert haben, und vor allen Dingen bei dem Thema CO2-Bepreisung fehlt mir im Moment auch der Anspruch, dass das sozial gerecht ausgestaltet werden soll. Bei allem, sage ich mal, Zutrauen, dass das über die Pendlerpauschale doch den einen oder anderen richtig trifft, glaube ich nicht, dass es diejenigen in Breite trifft, die wir eigentlich meinen.
"Punkte der Agenda 2010 abräumen"
Fischer: Nun hat ja die neue Parteichefin Saskia Esken gesagt, sie träumt von Wahlergebnissen oder will die SPD wieder auf Wahlergebnisse von über 30 Prozent bringen. Von welcher Bundestagswahl und in welchem Jahr reden Sie denn da?
Mattheis: Also wir wünschen uns alle Wahlergebnisse über 30 Prozent. Das ist wirklich etwas, wovon wir nicht nur träumen wollen, sondern was wir verwirklichen wollen. Die unterschiedliche Sichtweise ist der Weg, den wir beschreiten müssen, um dorthin zu kommen. Meine Haltung ist, wir kriegen es auf diesem Weg in der Großen Koalition nicht hin, sondern es kriegen ausschließlich über einen Erneuerungsprozess hin, wo wir uns unserer Sachen selber wieder sicher sind. Das ist unser Problem, glaube ich, auch. Und das bedeutet auch, Punkte der Agenda 2010 abräumen. Wenn wir diese zwei Leitplanken nicht hinbekommen, können wir noch so lange davon träumen. Wir wachen dann morgens auf und landen bei 13 Prozent.
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