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Matthew Herbert in Berlin
Big Band gegen den Brexit-Blues

"Die Big Band ist ein Ausdruck von Demokratie", sagt der britische Musiker Matthew Herbert. Mit 60 Gastmusikern aus Deutschland spielte er beim Berliner Wassermusik-Festival: „Goodbye UK - and Thank You for the Music” - dem EU-Austritt setzt er ein Zeichen von Kreativität entgegen.

Aufgezeichnet von Louise Brown |
    Der britische Musiker Matthew Herbert steht in der Mitte seiner Brexit Big Band an den Keyboards beim Festival Wassermusik 2018
    "Goodbye UK – and Thank You for the Music": Matthew Herbert (M.) mit seiner Brexit Big Band beim Festival Wassermusik 2018 (Haus der Kulturen der Welt / Marc Allan)
    Ich heiße Matthew Herbert. Meine Brexit Big Band habe ich kurz nach dem Votum für den Brexit gegründet. Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen - aber ich wusste nicht was. Mein ganzes Leben schon reise und arbeite ich in Europa. Ich wollte versuchen, einige der Gräben in der Gesellschaft, die sich nach der Brexit-Abstimmung aufgetan haben, zu überbrücken.
    Ideen von Toleranz und Mitgefühl
    Was ich gelernt habe? Nun, die Brexit Big Band tourt durch Europa, hält sich - anstatt nur an einem Abend ein Konzert zu spielen - drei Tage an einem Ort auf. Am ersten Tag treffen wir die Musiker und Sänger vor Ort, wir proben zusammen. Am zweiten Tag nehmen wie einige Stücke für die Platte auf, die im März, wenn Großbritannien die EU verlässt, herauskommen wird. Und am dritten Tag spielen wir ein Konzert.
    Das ist wirklich wunderbar, wie vertraut und freundlich das alles abläuft. Am ersten Tag muss man eine Beziehung zu 70 bis 100 Personen aufbauen, die da sind um deine Musik vorzuführen und die deine Vision zu verwirklichen! Das war aufregend für mich, weil es sich fast wie eine Bewegung anfühlt - eine mit gemeinsamen Ideen und Idealen. Ideen von Toleranz und Mitgefühl, Frieden und all die Dinge, die sehr hippiehaft klingen, aber mit jedem Tag wichtiger werden. In Berlin standen wir mit 50 oder 60 Leuten auf der Bühne. Es war fast wie Zauberei, aus Nichts etwas Großes zu schaffen.
    Tja, warum eine Big Band und nicht ein elektronisches Projekt? Es wäre auf jeden Fall weniger Arbeit gewesen... Für den britischen Literaturtheoretiker Terry Eagleton ist die Big Band eine Metapher dafür, wie wir uns als Gesellschaft organisieren sollen, in der jeder seine kleine Rolle spielt, aber man nur gemeinsam etwas Besonderes und Einmaliges schafft. Dafür liebe ich die Big Band, als ein Ausdruck von Demokratie.
    "Unser eigenes Referendum abhalten"
    Ich weiß nicht, wie die Platte sich anhören wird, die wir 2019 herausbringen aber ich habe schon eine Vorstellung, da wir schon die Hälfte aufgenommen haben. Es ist vor allem eine Platte des Gedenkens. Ein Track handelt vom Zweiten Weltkrieg: Denk‘ an den Krieg, an die Konflikte, denk‘ daran, wo Europa seinen Ursprung hat und warum es wichtiger ist, zusammenzuhalten als getrennt zu sein. Es ist eine leise, nachdenkliche Platte, trotz der Tatsache, dass ein tausend Musiker darauf zu hören sein werden.
    Im März, wenn die Platte herauskommt und Großbritannien die EU verlässt, wollen wir einige Events veranstalten, ein Bürgerparlament gründen und unser eigenes Referendum abhalten. Und darüber nachdenken, wie wir uns in Zukunft organisieren können.
    "Für mich klingt der Brexit nach Chaos"
    Ich bin optimistisch, sonst würde ich dieses Projekt nicht machen, das ungeheuer viel Zeit und Geld frisst. Mir gefällt folgender Spruch: Der Optimismus des Handelns ist besser als der Pessimismus der Gedanken. Obwohl ich an der Welt gerade zweifele, glaube ich: Wenn wir unseren Optimismus aufgeben, gibt es keinen Grund mehr, morgens aufzustehen.
    Wie klingt der Brexit? Für mich klingt der Brexit nach Chaos. Einfach nur Lärm. So viele verschiedene Stimmen. Ich weiß auch nicht, wie Großbritannien gerade klingt. Mir geht es wie allen Briten momentan: niemand weiß, was passiert. Die Regierung hat keinen Plan. Deshalb gründete ich die Brexit Big Band. Wir Künstler sollten auch einen Plan haben. Das ist mein Plan: Es geht um Kreativität, Zusammenarbeit, Toleranz, Dissens. Güte, Frieden, Wohlstand. Liebe zur Umwelt, füreinander und zu uns selbst.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Eine Spotify-Playlist mit den besten Songs zum Thema begleitet die Serie - im Deutschlandfunk-Account unter "DLF_BrexitMonday"