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Matthew Herbert's Brexit Big Band
"Eine Form der sanften Diplomatie"

Der britische Musiker und Produzent Matthew Herbert tourt mit einer über 150 Köpfe zählenden "Brexit Big Band" durch Europa. "Mit diesem Projekt wollte ich mich einmischen und nicht bloß den Geschäftsleuten die Entscheidungen und die lauteste Stimme überlassen", sagte Herbert im Dlf.

Matthew Herbert im Corsogespräch mit Robert Rotifer |
    DJ Matthew Herbert bei einem Auftritt in Madrid im Juni 2016 anlässlich der Verleihung der Bollywood Oscars
    Matthew Herbert sieht in seiner Band kein Anti-Brexit-Projekt (Picture Alliance / EFE / J. P. Gandul)
    Das Tauziehen geht weiter. Wie, wem und wann gelingt der Brexit? Bis heute hat London Zeit, um nötige Zusagen zu geben. Wer pokert am besten? Und sind vordergründige Ziele die tatsächlichen? Das fragt sich so mancher auch bei "Matthew Herbert's Brexit Big Band". Das ist eine Formation von an die 150 Musikern, mit denen der britische Musiker und Produzent durch Europa tourt - bis zum geplanten Austritt der Briten aus der EU im März 2019 soll es ein Album zum brisanten Brexit geben. Seit die britische Boulevardpresse davon Wind bekommen hat, ist Matthew Herbert allerdings in einen Sturm der Entrüstung und des Interesses geraten. Sollte der DJ, der für seinen ausgeprägten Hang zu künstlerischen und politischen Manifesten bekannt ist, eine Anti-Brexit Kampagne im Sinn haben? Robert Rotifer hat den Musiker in seinem abgeschiedenen Haus in der Grafschaft Kent besucht.
    Robert Rotifer: Die britische Presse beginnt sich gerade an Ihnen zu verbeißen. Man hegt den Verdacht, Ihre Brexit Big Band sei eigentlich eine Anti-Brexit Big Band. Sie haben nun ein Statement auf ihrer Website veröffentlicht, wonach das nicht der Fall sei.
    Matthew Herbert: Wir haben in Großbritannien momentan eine sehr korrupte und korrumpierende Zeitungslandschaft. Im Grunde ist an der Story nicht viel dran: Wir haben ein bisschen Geld von der BPI, dem Dachverband der britischen Musikindustrie erhalten, der seinerseits wiederum vom Ministerium für internationalen Handel Mittel zur Förderung des Musikexports bekommen hatte. Die Zeitungen machten daraus die Geschichte, dass uns die Regierung eine Europareise finanziert, wo wir uns für den Brexit entschuldigen und den Standpunkt der Regierung unterlaufen. Das ist natürlich unwahr. Sich in die Arena der Nachrichtenwelt zu begeben, ist so, als würde man in einem kleinen Paddelboot durch einen Sturm rudern. Ich hatte einfach genug von den endlosen Debatten über die Wirtschaft und die britische Identität. Mit diesem Projekt wollte ich mich einmischen und nicht bloß den Geschäftsleuten die Entscheidungen und die lauteste Stimme überlassen.
    Kein Anti-Brexit-Projekt
    Rotifer: Sie hatten mit diesen Attacken der Presse sicher gerechnet. Ihre Art von Musik erreicht ja normalerweise nicht so ein breites Publikum, wahrscheinlich auch nicht viele Leute, die für den Brexit gestimmt haben. Und jetzt erreicht zumindest die Kunde von ihrem Werk diese Ohren. Laufen Sie da nicht Gefahr, die Rolle des privilegierten Künstlers zu spielen, dem man öffentliches Geld nachwirft? Könnte das die Meinungen dieser Leute nicht erhärten, oder sehen Sie die Chance, zu den Brexit-Wählern durchzudringen?
    Herbert: Auch wenn ich persönlich den Brexit für eine idiotische Zeit- und Geldverschwendung halte, ist dies kein Anti-Brexit-Projekt. Die Grundfrage ist: Wer wollen wir sein, nachdem wir die Europäische Union verlassen? Ich selbst will im Prinzip immer noch enge kulturelle, freundschaftliche, persönliche, politische, soziale, vertiefte Beziehungen zu unseren nächsten Nachbarn haben; und dieses Projekt macht diese politische Position physisch fassbar. Unser nächstes Konzert ist in Brüssel. Ich fahre da mit 150 Leuten hin, um eine Botschaft der Briten zu überbringen. Bei unserem Konzert in London baten wir die Leute, Briefe an die EU zu schreiben und sie als Papierflieger auf die Bühne zu werfen. Im Januar werden wir diese Papierflieger in Brüssel ins Publikum zurückwerfen. Ich werde nicht alle diese Botschaften gelesen haben, also könnten manche unliebsam, manche pro und manche anti, manche freundlich und manche dumm sein.
    Rotifer: Das wirft die Frage auf: Sind Sie selbst Teil einer Charme-Offensive?
    Herbert: Es ist sicher eine Form der sanften Diplomatie - und ich habe kein Problem damit. Dialog ist weitaus besser als Gewalt und Separation.
    Rotifer: Sie versuchen nun, mit einem politischen Statement eine Wirkung zu erzielen. Denken Sie, die Musiker haben sich zu lange Zeit gelassen, Sie inklusive?
    Herbert: Habe ich genug getan? Absolut nicht, denn wir sind jetzt in einer katastrophalen Lage. Aber der Kapitalismus hat seine schmutzigen Finger schon lange in der Musik drin und korrumpiert die Stimme des Künstlers. Politische Aussagen können ihn einen Teil seines Publikums kosten; und es ist sowieso schon schwer, von der Musik zu leben. Aus demselben Grund will das Reinigungspersonal einer noblen Bank nicht der Gewerkschaft beitreten: Sie wollen keinen Ärger, weil ihre eigenen Jobs unsicher sind.
    "Du bist hier willkommen"
    Rotifer: Reden wir ein bisschen über die Musik.
    Herbert: Seit drei Wochen hat mich schon niemand mehr was über die Musik gefragt!
    Rotifer: Das kann daran liegen, dass man sie nicht hören konnte, wenn man nicht selbst beim Konzert war. Die Leute schicken also drei Sekunden lange Samples ein. Und Sie schreiben auch Songs und Arrangements. Wie kommt das alles zustande?
    Herbert: Ich versuche das immer noch herauszufinden. Zu Beginn dieses Projekts habe ich den Artikel 50 des EU-Vertrags vertont, weil ich mich selbst und das Publikum darüber informieren wollte. Aber wie schreibt man über Nigel Farage und Boris Johnson, ohne ihnen noch mehr Macht zu verleihen? Und das Wort "Farage" in meinem Song zu haben, fühlt sich an wie eine Wasserverschmutzung. Ich versuchte also, all das zu klären und dabei passierte etwas Unerwartetes. Die Texte wurden wesentlich emotionaler. Sie begannen, sich um das Thema "Trennung", "Scheidung" zu drehen und um Mitgefühl.
    Einer der Songs heißt: "You're Welcome Here". Mit 150 Leuten auf der Bühne zu stehen und "Du bist hier willkommen" zu singen, das fühlt sich politisch stark an. Ich habe Leute vom Kontinent im Chor dabei, die sagten, dass ihnen das in England noch niemand gesagt hätte: "Du bist hier willkommen". Und sie fanden das für sich wichtig. Es klingt naiv, banal und ein bisschen lächerlich, zu sagen, dass viele der Songs von der Liebe handeln, aber gerade das brauchen wir jetzt. Wir brauchen es, dass wir zu einander sagen: "Ich sorge mich um dich, ich stehe hinter dir". Musikalisch geht es um die emotionale Reaktion darauf, wie es sich anfühlt, von etwas weggezerrt zu werden, das die ganze Zeit Teil deines Lebens war.
    Rotifer: Das bedeutet auch, dass Ihr Projekt in seinem Fortschreiten wächst. Sie haben ja auch als Veröffentlichungsdatum den 29. März 2019 festgelegt, das anvisierte Datum des Brexit, und Sie haben schon gesagt, dass Ihre Platte an diesem Tag erscheinen wird, ob Großbritannien austritt oder nicht. Aber es klingt so, als könnten Sie schon wesentlich früher was veröffentlichen.
    Herbert: Ja, ich habe das Gefühl, dass wir schon allein wegen des Presse-Echos was in die Welt setzen sollten. Um diese Debatte weiterzuführen. Inzwischen fühlt sich die "Brexit Big Band" schon mehr wie ein Gemeinschaftsprojekt an, nicht als etwas Fixes und Abstraktes wie eine Platte.
    Rotifer: Bis 2019 könnte sich ja auch die Volksmeinung und damit die Richtung der Platte ändern.
    Herbert: Es wäre ein wunderbarer Tag, wenn ich nie dazu komme, sie zu veröffentlichen. Aber das ist eine andere Geschichte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Hören Sie hier das Corsogespräch mit Matthew Herbert in der englischen Originalfassung .