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Matthias Dell
Selbstenttarnung via Twitter

Auf unseren Kolumnisten haben Soziale Medien ab und an eine extrem heilsame Wirkung: wenn sich einmal mehr ein prominenter oder mächtiger Mensch durch sein Verhalten auf Twitter und Co. als ahnungslos und uninformiert enttarnt.

Von Matthias Dell | 07.08.2019
Montage aus mehreren geöffneten Mündern und einem Twitter-Vogel.
Social Media kann dazu führen, dass man Autoritätsfiguren mit anderen Augen sieht (imago/ZUMA Press)
In den Sozialen Netzwerken ist jeder nur ein Mensch. Leute, die früher eine herausgehobene Bedeutung hatten, weil ihr Name im Impressum großer Zeitungen steht, weil sie einer Behörde vorstanden oder einer Partei, sind auf Twitter, Facebook oder Instagram nur: Leute. Ein Account unter vielen.
Das ist die Utopie von Enthierarchisierung, von Gleichstellung, für die das Internet in seinen Anfangsjahren stand. In gewisser Weise gilt sie noch immer, weil selbst die privilegierten, prominenten Personen nur mit der Wucht ihrer Bedeutung richtig gut aussehen. Schrumpft diese auf die Größe eines Accounts, ist es ein bisschen wie in den Bergetappen der Tour de France - da muss der Träger des Gelben Trikots irgendwann auch ohne die Hilfe seiner Edelhelfer auskommen und zeigen, was er kann.
Die heilsame Kraft der Desillusionierung
Zu sehen ist dann ein Mensch und keine scheinbar objektive Größe. Diesen Menschen kann man dann als das erkennen, was er ist, ohne seinen Apparat - und zwar an dem, was er postet, wie er kommuniziert. Das hat etwas Desillusionierendes, aber gerade das ist heilsam.
Wenn ein Innenpolitik-Chef einer großen Zeitung, ein ehemaliger Behördenchef oder ein Kommunikationsmitarbeiter einer Partei dubiose und krude Links postet, schwindet rasch der Respekt, den man diesen Personen oder Institutionen zuvor entgegengebracht hatte kraft ihrer Stellung. Sie erscheinen mit einem Mal als wenig distinkte und schlecht informierte Personen, weil sie sich verhalten wie namenlose Privatleute, die irgendwo im Frust ihrer Einsamkeit Hass und Desinformation ins weltweite Netz ballern.
Das ist eklatant, weil Journalisten, Ex-Verfassungsschutzchefs oder Parteipressestellen gerade darin eine Expertise haben sollten - in der Kommunikation. Im Prüfen von Quellen, im Abwägen von Behauptungen, die öffentlich gemacht werden.
Der Verlust analoger Autorität auf digitalem Weg
Es ist in solchen Fällen schwer zu sagen, ob es sich bei dem Posten von dubiosen Links zur scheinbaren Rechtfertigung der eigenen Position um Kalkül handelt oder um nackte Uninformiertheit. Und es ist ebenso schwer zu sagen, was trauriger wäre: dass jemand so abgetakelt und verzweifelt sein kann, bewusst mit falschen Behauptungen Politik machen zu wollen. Oder dass jemand, der doch eigentlich Experte für die Stichhaltigkeit von Argumenten sein sollte, den kruden Mist tatsächlich glaubt - so als Mensch, der er ist, ohne Apparat.
Als Follower lässt sich darauf leicht reagieren - der jeweilige Account verliert an Glaubwürdigkeit, man betrachtet ihn künftig mit anderen Augen, wird auch andere Beiträge skeptischer lesen. Für Medien ist der Umgang dagegen nicht so einfach - auch weil die Enttäuschung, die Desillusionierung mit einer gewissen Verzögerung vor sich geht. Medien müssen erst lernen, dass die Personen mit einstiger Bedeutung auf dem digitalen Weg auch ihre analoge Autorität verspielen. Dass die Menschen, die sie bis gestern für zurechnungsfähige, institutionelle Ansprechpartner oder Auskenner hielten, genau das nicht sind.
Kann man aber auch hinkriegen - man muss sich nur trauen.